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Ein gefühlvoller Doppelpass im Mittelfeld, ein kraftvoller Sprint Richtung Tor, uneinholbar für alle Gegenspieler, gekrönt von einem überlegten Abschluss ins lange Eck: Leroy Sané startete mit einer Szene in die aktuelle Bundesliga-Saison, die so typisch für sein Spiel ist. Die zeigt, wozu der 28-Jährige imstande ist.
Mit seinem Treffer zum 1:0 gegen Werder Bremen am 1. Spieltag leitete der Offensivmann nicht nur den perfekten Auftakt für den FC Bayern ein, der dieses Eröffnungsspiel mit 4:0 gewinnen sollte, sondern auch für sich persönlich.
Praktisch die komplette erste Saisonhälfte über wirbelte Leroy Sané regelrecht durch die gegnerischen Abwehrreihen, entwurzelte mit seinen ebenso geschmeidigen wie explosiven Dribblings Abwehrbäume von Bremen bis Bochum, brachte die bemitleidenswerten Verteidiger staunend zu Fall.
"Ankle Breaker", sagt man dazu im Basketball. "Wenn ich Leroy Sané seit Wochen anschaue, dann lacht einem das Herz im Leibe", sagt man hingegen im Fußball, in diesem Fall Uli Hoeneß.
Es war die Hinrunde, in der Bayerns flinker Angreifer eine Topperformance an die nächste reihte. Zu den atemberaubenden Dribblings gesellten sich einsatzfreudige Auftritte gegen den Ball sowie eine enorme Effektivität vor dem gegnerischen Tor. Acht Treffer erzielte er so selbst in den ersten 17 Bundesliga-Partien, zehn weitere bereitete er vor.
Über diese Konstanz staunten nicht nur Fans, sondern auch Mitspieler. "Alle drei Tage ist er bei uns mit der beste Spieler", würdigte Joshua Kimmich seinen Landsmann, Thomas Müller sprach von "einer Augenweide, ihn spielen zu sehen". Und Thomas Tuchel stellte im September gar die Menschlichkeit von Leroy Sané infrage: "Er ist eine Maschine!"
Ziemlich genau sechs Monate später klingen die Kommentare zum Bayern-Star ganz anders. "Da gibt es im Moment Luft nach oben", bemängelte der Trainer im Januar die fehlende Körperlichkeit seines Schützlings.
Auch die Zahlen lesen sich mittlerweile deutlich weniger berauschend. 22 Partien in Folge hat Leroy Sané nicht mehr für seinen Klub getroffen, beim Länderspiel zwischen Deutschland und Österreich dafür ins Gesicht von Gegenspieler Phillipp Mwene. Ob der Roten Karte, die er sich damit eingehandelt hat, fehlte er zuletzt im DFB-Team.
Gegen Frankreich und die Niederlande konnten sich in der Offensivreihe vor allem Florian Wirtz und Jamal Musiala in den Vordergrund spielen. Beim nächsten Test gegen die Ukraine dürfen sie sich ebenso wie Kapitän İlkay Gündoğan erneut empfehlen, denn Leroy Sané wurde von der Fifa für drei Partien gesperrt.
Das heißt allerdings nicht, dass der Linksfuß bei der Europameisterschaft keine Rolle spielen wird. "Bei der EM ist er natürlich einer der Kandidaten für die drei Zehner-Positionen", erläuterte Julian Nagelsmann kürzlich. Klar dürfte dabei aber auch sein: Der Nationalspieler muss sich im Klub wieder steigern, um für diese Rolle infrage zu kommen.
Dass ihm dies gelingen kann, steht trotz seiner grundsätzlichen Probleme in Rückrunden außer Frage. In saisonübergreifend 64 Hinrundenspielen beim FCB erreichte Leroy Sané 45 Scorerpunkte, in 57 Rückrundenpartien sind es hingegen nur 18. Gerade in dieser Spielzeit gibt es aber plausible Erklärungen für seinen Durchhänger.
Zum einen hatten die Bayern insgesamt Schwierigkeiten, mussten mehrere Rückschläge hinnehmen. In der Hochphase rund um die Verkündung der Trennung von Thomas Tuchel konnte so etwa auch Harry Kane nicht glänzen. Noch entscheidender aber: Leroy Sané kämpft seit Wochen mit seinem eigenen Körper.
Zunächst plagten ihn Probleme an der Patellasehne, zuletzt kamen auch noch Schmerzen an der Leiste dazu. Der 28-Jährige hat trotzdem fast immer gespielt, sammelte in dieser Saison schon jetzt mehr Pflichtspielminuten als in der gesamten Vorsaison.
"Leroy ist seit ein paar Wochen in einem Wellental mit den Schmerzen. Er ist extrem hart im Nehmen, aber das merkt man seinen Bewegungsabläufen momentan an", erläuterte Thomas Tuchel die Probleme seines Offensivspielers Ende Februar: "Er beißt ständig auf die Zähne, vielleicht auch ein bisschen zu viel."
Sowohl der Trainer als auch Leroy Sané scheinen aktuell genau daraus zu lernen. Gegen Freiburg fehlte der Linksfuß komplett im FCB-Kader, gegen Mainz und Darmstadt wurde er vorzeitig ausgewechselt. Dazu kam gegen die Hessen eine besondere Maßnahme: Der Profi hielt sich während der Halbzeitpause auf dem Rasen warm, anstatt 15 Minuten in der Kabine runterzufahren.
"Man hat das Gefühl, dass es für ihn angenehmer ist, wenn er draußen bleibt und weiter was macht, dass er nicht nach der Viertelstunde mehr oder weniger neu starten muss. Er hatte mich gebeten, dass er nach der kurzen Ansprache rausgehen darf", sagte Thomas Tuchel.
Und auch die aktuelle Länderspielpause passt zur zunehmenden Awareness, die Leroy Sané für seinen Körper zu entwickeln scheint. Anstatt Urlaub zu machen, absolvierte er an der Säbener Straße jeden Tag Reha-Training, ließ sich zudem behandeln.
"Ich will die Zeit jetzt nutzen, um körperlich für den Saisonendspurt in einem Topzustand zu sein", erklärte er seine Maßnahmen der "Bild".
Helfen könnten ihm dabei auch seine Mitspieler. Mit Serge Gnabry fiel eine Option für die offensiven Außenbahnen über Monate aus, zuletzt feierte er ein starkes Comeback mit zwei Treffern in zwei Kurzeinsätzen. Auf Ähnliches werden die FCB-Bosse bei Kingsley Coman hoffen. Der Franzose fehlt seit Ende Januar, kämpft sich momentan aber zurück.
Beide geben Thomas Tuchel in der Offensive zusätzliche Optionen und damit die Gelegenheit, Leroy Sané häufiger Verschnaufpausen zu geben. Gerade in der Bundesliga, in der die Münchener keine allzu große Chance mehr auf den Titel haben, dürfte der 28-Jährige künftig häufiger auf der Bank sitzen.
Gebraucht wird sein Potenzial als Unterschiedsspieler schließlich vor allem in der Champions League. Mit dem FC Arsenal haben die Bayern den Tabellenführer der Premier League vor der Brust, in einem möglichen Halbfinale würde es gegen Triple-Gewinner Manchester City oder CL-Rekordsieger Real Madrid gehen. Größer geht es eigentlich nicht.
Was den Münchenern dabei entgegenkommen dürfte: Vor allem die englischen Vertreter haben den Ball sehr gerne in den eigenen Reihen. Das galt einst auch für den FCB, hat sich unter Thomas Tuchel aber etwas gedreht. Gerade in Spitzenspielen wie gegen den VfB Stuttgart (3:0) oder den BVB (4:0) wurde deutlich, dass der Trainer mehr und mehr einen Umschaltansatz verfolgt.
In der Liga lässt sich dies nur bedingt umsetzen, viele Gegner ziehen sich lieber zurück. Arsenal und Manchester City hingegen wollen ihr Spiel durchdrücken, die Bayern können in diesen Duellen sehr wahrscheinlich auf Konter setzen. Das wiederum ist ein Stil, der speziell Leroy Sané entgegenkommt.
Mit fast 36 km/h gehört er schließlich nicht nur zu den aktuell schnellsten Spielern der Bundesliga, sondern auch der Champions League.
Ist der 28-Jährige dann dank Pausen an den Wochenenden in den Beinen und im Kopf so frisch wie in der Hinrunde, ist alles angerichtet, damit Leroy Sané für den FC Bayern im Saisonfinale wieder den Unterschied macht.
Angetrieben wird er dabei nicht nur vom Kampf um einen neuen Vertrag, aktuell ist er bis 2025 an den FCB gebunden, sondern auch vom Traum einer glorreichen Heim-EM: "Ich will ein sehr gutes Turnier spielen im Sommer. Ich bin hochmotiviert und will unbedingt gemeinsam mit dem Team erfolgreich sein." Es klingt wie eine Drohung an seine Gegner.
