Kamila Valieva holte Gold im Teamwettbewerb, im Einzel kam sie auf Platz 4. Bild: www.imago-images.de / Mickael Chavet
Analyse
Am Donnerstag um 14.55 Uhr deutscher Zeit war Kamila Valieva den Tränen nahe. Die 15-Jährige hatte gerade ihre Eiskunstlauf-Kür im Einzel beendet und rieb sich danach vor Enttäuschung die Augen. Am Ende waren es zu viele Fehler und es reichte für Valieva nicht mal für eine Medaille.
Dabei wäre selbst im Falle einer Medaille offen geblieben, ob sie den Titel überhaupt hätte behalten dürfen. Die Russin steht unter Dopingverdacht. Solange bis dieser nicht ausgeräumt ist, hätte sie keine Medaille bekommen und die Zeremonie wäre ausgefallen.
Siegerzeremonie findet doch statt
Während der Olympischen Spiele kam erst heraus, dass Valieva bei einer Dopingprobe vom 25. Dezember 2021 positiv getestet wurde. Aus diesem Grund gab es auch keine offizielle Auszeichnung im Teamwettbewerb.
Valieva hatte mit der russischen Auswahl Gold gewonnen. Zur ausbleibenden Siegerzeremonie hatte IOC-Mitglied Denis Oswald in einer Presserunde gesagt: "Wir verstehen die Situation der Zweit- und Drittplatzierten, aber es wäre sehr schwer, die Medaillen zu vergeben auf Grundlage eines Ergebnisses, von dem wir nicht wissen, ob es Bestand haben wird." Im Einzel wurde nun eine Zeremonie durchgeführt, vermutlich, weil Valieva nicht unter den ersten drei Sportlerinnen war.
Noch muss die B-Probe analysiert werden, weshalb ein finales Urteil erst nach den Winterspielen zu erwarten ist. Der Internationale Sportgerichtshof Cas hatte Valieva im Eilverfahren vorläufig eine Teilnahme auch am Einzelwettbewerb erlaubt, auch weil sie als Minderjährige noch als besonders schutzbedürftig gelte.
Nur Performance und Leistungsfähigkeit zählten
Wegen dieser Vorfälle und gleichzeitig auch ihren sportlichen Erfolgen ist Valieva nun seit fast zehn Tagen das bestimmende Thema der Olympischen Spiele. Am Dienstag nach der Kür schwänzte die Russin eine Pressekonferenz, hatte offensichtlich keine Lust sich öffentlich zu äußern.
Sportpsychologen René Paasch rät Valieva nun nach dem großen medialen Aufkommen der letzten Tage, dass "sie sich jetzt von den Medien entfernt, um zur Ruhe zu kommen." Sie sei die "ganze Zeit in einem Tunnel" gewesen, "in dem Performance und Leistungsfähigkeit zählt." Dieser Tunnel sei nun aufgebrochen worden durch die Enthüllung der positiven Dopingprobe. "Sie wird Zeit brauchen, um medial wieder offen auftreten zu können", sagt er im Gespräch mit watson.
Der Sportpsychologe arbeitete unter anderem im Profi-Fußball beim VfL Bochum, Schalke 04, betreute aber auch Boxer, Golfer oder Olympiateilnehmer 2016 in Rio de Janeiro oder auch Teilnehmer bei Olympia in Tokio.
René Paasch ist Dozent an der DHGS-Hochschule.
Zumindest teilweise scheint Valieva diese Taktik bereits angewandt zu haben. Am Dienstag nach dem Kurzprogramm tauchte Valieva ab, schwänzte eine Medienrunde. Eine Vielzahl an Journalisten und Journalistinnen soll auf sie gewartet haben.
"Das hat nichts mehr mit Leistungsfähigkeit zu tun, sondern ist einfach nur menschenverachtend."
Sportpsychologe René Paasch über die Trainingsmethoden von Valievas Trainerin Eteri Tutberidze
Leistungssportlerin mit Makel
In Zukunft wird Valieva aber vermutlich noch öfter zum Doping-Vorwurf gegen sie gefragt werden. Gegenüber dem Cas gaben ihre Anwälte an, dass die 15-Jährige wohl aus einem Glas getrunken habe, das zuvor ihr Großvater genutzt habe. Der Großvater leide an Herzproblemen und werde mit Trimetazidin behandelt. Eben jenes Medikament, das bei Valieva in der A-Probe nachgewiesen wurde und verboten ist. Welche Folgen wird dieser Vorfall auf die Psyche der Russin haben?
"Sie wird es schwer haben, weil sie nun nicht mehr nur als Leistungssportlerin gesehen wird, sondern auch als Sportlerin, die womöglich gedopt hat", erklärt Paasch. Zunächst müsse Valieva aber lernen, "sich selbst zu verzeihen und zu akzeptieren, dass sie den möglichen Missbrauch von Substanzen nicht mehr rückgängig machen kann."
Um dann ihr Image wieder zu verbessern, sieht Paasch nur die Möglichkeit, dass sie zeigt, "dass sie auch unabhängig von Substanzen Leistung bringen kann. Durch negative Testungen und starke Leistungen muss sie zeigen, dass sie auch sauber zu den Besten gehört. Dafür braucht es aber sicherlich mehrere Jahre."
Harte Kritik an Trainingsmethoden
Die Frage dabei ist nur: Ob sie so lange auch aktiv sein kann. Denn viele ehemalige Athletinnen ihrer aktuellen Trainerin Eteri Tutberidze mussten die Karriere früh beenden.
Sie hat 2018 die Olympiasiegerin Alina Sagitowa und die Zweite, Jewgenija Medwedewa, trainiert. Beide beschwerten sich danach über die Trainingsmethoden. Sagitowa sagte beispielsweise offen: "Die Ernährung war sehr eingeschränkt. Wir haben nicht mal Wasser getrunken. Wir haben nur unseren Mund ausgespült und es wieder ausgespuckt."
Medwedewa hat sogar mittlerweile ihre Karriere beendet. Sie leidet an chronischen Rückenproblemen, kann sich im Alltag nur noch zu einer Seite drehen, obwohl sie erst 22 Jahre alt ist. Ein Grund könnten dabei die 12-Stunden-Trainingseinheiten sein, die Tutberidze ihren Athletinnen zumutet.
Von diesen Trainingsformen hält Paasch nichts: "Wenn man die Geschichten über die Trainerin hört, dürfte sie eigentlich gar nicht mehr arbeiten. Da muss man rigoros sein. Das hat nichts mehr mit Leistungsfähigkeit zu tun, sondern ist einfach nur menschenverachtend."
Eteri Tutberidze im Gespräch mit Valieva.Bild: imago images / Sergei Bobylev
Ein weiteres Problem im Leistungssport sei der Umgang mit Angst. "Oft heißt es: 'Wenn du da nicht mitmachst, bist du weg vom Fenster'," erklärt Paasch. Dadurch seien Athleten und Athletinnen oft ihren Trainern und Trainerinnen ausgeliefert.
Für Valieva könne nun aber auch der Absturz in ein mentales Loch folgen. Sollte sie regelmäßig leistungssteigernde Substanzen zu sich genommen haben, sieht Paasch das als realistisch. Demnach sei es bewiesen, dass die mentale Verfassung abnehmen könne, wenn die Substanzen nicht mehr eingenommen werden.
Der Hintergrund: Durch die ausbleibende Einnahme der leistungssteigernden Mittel könne das hormonelle Level nicht gehalten werden.
Paasch widerspricht Witt
Nachdem der Dopingfall der 15-jährigen Athletin öffentlich wurde, hatte unter anderem die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt gefordert, ein Mindestalter bei Olympischen Spielen einzuführen. Über Nachwuchssportler und -sportlerinnen zwischen 14 und 18 Jahren sagte sie: "Sie sind noch nicht erwachsen und sollten die Zeit bekommen, es mit viel Vorsicht und Bedacht zu werden."
Paasch sieht das kritisch. Für ihn gebe es viele junge Sportlerinnen und Sportler, deren Eltern und Verbände vorbildlich handeln würden und die Jugendlichen auf den Leistungssport gut vorbereiten würden. "Ich persönlich bin nicht für generalisierte Aussagen", sagt er deshalb.
Dennoch betont der Sportpsychologe, dass es auch bei jungen Athletinnen und Athleten enorm wichtig sei, die Folgen eines Dopings aufzuzeigen. Dadurch würde die körperliche Entwicklung auch langfristig beeinflusst und besonders im Alter könnten viele Spätfolgen auftreten und den Körper vor Probleme stellen.
Es sind Informationen, die auch Kamila Valieva bekommen sollte, auch völlig unabhängig davon, ob sie am Ende nach allen Untersuchungen des Dopings überführt wird oder nicht.