Mehr erneuerbare Energien, mehr berufstätige Frauen, bessere Ausbildungsbedingungen für die junge Generation. Diese Vorhaben klingen wie die Ziele vieler Länder. Jedoch nur bis zu folgenden Punkten: das Land für nicht-muslimische Tourist:innen öffnen, ein Tourismus-Visum einführen – Dinge, die in den meisten Ländern schon längst gegeben sind. Es ist die "Vision 2030" des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.
2016 wurden die Details des wirtschaftlichen Projekts der saudischen Führung erstmals der Welt vorgestellt. Jetzt, sechs Jahre später, ist die Werbung für dieses Mammutprojekt während der WM 2022 in Katar in der Spiel-Übertragung im deutschen Fernsehen zu sehen gewesen.
Ein Mammutprojekt deshalb, weil dies einen fundamentalen Mentalitäts- und Kulturwechsel der saudischen Bevölkerung und der politischen Führung voraussetzen würde. Trotzdem gilt der Plan als Lieblingsprojekt des Kronprinzen. Es markiert einen Wendepunkt für den saudischen Staat. Denn er ist erstmals seit den 1970er Jahren dazu gezwungen, seine Wirtschaft massiv umzustrukturieren.
Das Projekt wird allerdings sowohl international als auch national kritisch betrachtet. International trifft die saudische Modernisierungsstrategie vor allem auf die raue Wirklichkeit im Land, die geprägt ist von Menschenrechtsverletzungen, Zensur, Unterdrückung und dem Fehlen von Mitbestimmung und Pluralismus. National beäugt die Bevölkerung die Pläne des saudischen Regimes kritisch, weil sie den vorherrschenden Lebensstil massiv beeinflussen. So mussten bereits tausende Menschen für Bauprojekte von neuen Mega-Städten ihr Zuhause verlassen.
Die Vision bezieht sich auf drei Säulen: Gesellschaft, Wirtschaft und Nation. Das bedeutet, dass die Umsetzungsprogramme die ökonomischen, sozialen und religiösen Handlungsfelder betreffen. Dazu zählen aber auch sportliche Mega-Events, wie beispielsweise die Weltmeisterschaft 2030. Bisher wurde dem Sport in Saudi-Arabien weniger Beachtung geschenkt. Das soll sich nun im Zuge der Vision 2030 auch ändern.
Weltfußballer Lionel Messi wirbt für Saudi-Arabien auf Instagram, Fußballstar Cristiano Ronaldo soll laut Gerüchten ab Januar zu einem saudischen Klub geholt werden und der Wüstenstaat will die Weltmeisterschaft 2030 gemeinsam mit Griechenland und Ägypten in das eigene Land holen. Als Fußballnation gilt Saudi-Arabien ebenso wenig wie Katar. Wie will das Land den Fußball im Land dennoch revolutionieren?
Saudi-Arabien sorgte bei der WM 2022 in Katar für eine echte Überraschung: Sie haben gegen den großen Turnier-Favoriten Argentinien mit 2:1 gewonnen. Mittlerweile ist das Team nach dem Vorrunden-Aus aus Katar abgereist. Allerdings war dieser Sieg für den Kronprinzen offenbar so wertvoll und überraschend, dass bin Salman jedem Spieler seines Nationalteams einen Rolls-Royce schenkte und einen Feiertag im Land ausrief.
Für die Austragung der WM 2030 will sich das Land gemeinsam mit Ägypten und Griechenland bewerben. Daraus würde sich ein historisches Novum ergeben: Erstmals würde eine Weltmeisterschaft auf drei Kontinenten stattfinden und so Europa, Asien und Afrika miteinander vereinen. Das wäre auch schon der einzige Grund, eine Weltmeisterschaft nach der Austragung 2026 in Nordamerika wieder auf der arabischen Halbinsel stattfinden zu lassen.
Eine Alternative wäre der Vierer-Verbund aus Argentinien, Chile, Paraguay und dem ersten WM-Gastgeber Uruguay. Zum 100. Fifa-WM-Jubiläum wäre das eine Rückkehr zum Anfang. 1930 hat im Centenario-Stadion von Montevideo das erste Finale zwischen Uruguay und Argentinien (4:2) stattgefunden.
2023 wollen die vier Länder der Fifa ihre Bewerbung vorlegen. Im Jahr darauf will der Fußball-Weltverband entscheiden. Indes wirbt Argentiniens Star Lionel Messi als Saudi-Arabiens Tourismus-Botschafter mit dem Hashtag "#VisitSaudi" für den Wüstenstaat – und somit für die Konkurrenz in Sachen WM-Bewerbung.
Ein weiterer Weltfußballer, der mit Saudi-Arabien in Verbindung gebracht wird, ist Cristiano Ronaldo. Er sollte laut Berichten nicht nur die eigentlich erste Wahl der Saudis für den Posten als Tourismus-Botschafter werden. Der Portugiese hatte zuletzt gemeinsam mit seinem Verein Manchester United die Vertragsauflösung bekannt gegeben. Im Januar 2023 kann sich der 37-Jährige also einem neuen Verein anschließen.
Bereits seit geraumer Zeit gibt es Gerüchte, Ronaldo könnte zu einem saudischen Klub wechseln. "Wir würden diesen Spieler gerne in unserer Liga haben", betonte Jassir al-Missihal, der Präsident des saudi-arabischen Fußball-Verbandes, in einem Interview mit der spanischen Sportzeitung "Marca".
200 Millionen Euro Jahresgehalt soll der Al-Nassr FC dem Routinier laut Berichten geboten haben. Einen möglichen Wechsel hatte Ronaldo allerdings während der WM dementiert. Für den Werbe-Deal mit Saudi-Arabien hätte Ronaldo wohl 5,7 Millionen Euro bekommen. Eine ähnliche Summe streicht dafür nun vermutlich sein Rivale Lionel Messi ein. Während Katar David Beckham rund 11,5 Millionen Euro pro Jahr gezahlt hat, um das Aushängeschild der WM 2022 zu werden.
Nach Katar will nun auch Saudi-Arabien zur nächsten Sport-Großmacht werden und sich in das Interesse der Weltöffentlichkeit spielen und das eigene Image verbessern. Die sportlichen Reformen des Wüstenstaates umfassen daher auch zahlreiche Mega-Events. So fand erstmals im Rahmen der PGA European Tour 2019 ein europäisches Golfturnier auf höchstem Niveau in Saudi-Arabien statt, in den vergangenen Jahren kamen zahlreiche Box-Wettkämpfe dazu und das teuerste internationale Pferderennen, der Saudi Cup.
Teil der Vision 2030 ist auch das Golfturnier "LIV", eine im Jahr 2022 gegründete professionelle Golf-Tour von Saudi-Arabien. Daran sollten die ganz Großen teilnehmen – für maximalen Erfolg und maximale Konkurrenz zu bestehenden Touren, wie der PGA European Tour. Sie bietet den Teilnehmer:innen noch höhere Preisgelder. Doch selbst ein Angebot im mehrstelligen Hundert-Millionen-Bereich konnte Golf-Legende Tiger Woods nicht dazu bewegen, an diesem Turnier teilzunehmen. Zu schlecht die Menschenrechtslage im Land.
Auch die Formel 1 verlagert sich unter anderem immer mehr auf die arabische Halbinsel, wie Formel-1-Experte Christopher Spall im Gespräch mit watson bestätigte. Der F1-Saisonstart für 2024 in Saudi-Arabien ist seit vergangenen Donnerstag ebenfalls beschlossene Sache. "Aus Respekt vor dem Ramadan findet das erste Rennen der Formel-1-Saison 2024 in Saudi-Arabien statt", hieß es in der Mitteilung der Regierung des australischen Bundesstaates Viktoria, wo es bis 2037 ebenfalls mindestens ein Rennen pro Formel-1-Saison geben wird.
Ebenfalls will Saudi-Arabien die Fußball-Asienmeisterschaft 2027 und die asiatischen Winterspiele 2029 ausrichten. Letztere sollen in der Planstadt Neom stattfinden, die ebenfalls Teil der Vision 2030 ist – und flächenmäßig größer als Mecklenburg-Vorpommern werden soll. Dafür mussten bereits etliche Menschen ihr Zuhause verlassen und umgesiedelt werden.
Nach dem Spanischen Supercup, der im Januar in der saudischen Hauptstadt Riad stattfand – und aufgrund des ausverkauften Stadions wohl auch die kommenden drei Jahre dort abgehalten werden soll, soll die Weltmeisterschaft 2030 den Plan zur Sport-Großmacht perfektionieren.