100 Tage Amtszeit gestehen wir Journalisten Amts- und Würdenträgern gerne als Einarbeitungszeit zu. Als Frist, um erste Erfolge vorzuweisen. Das ist eine Faustregel unserer Zunft.
Oliver Kahn hat diese magische Marke bald erreicht, er ist seit dem 7. Januar dieses Jahres Vorstandsmitglied des FC Bayern München.
Der ehemalige Fußballprofi, der als Torwart-Titan langjähriger Kapitän von Bayern war, läuft seitdem an der Seite des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge mit, um dessen Posten dann ab dem 1. Januar 2022 zu übernehmen.
Apropos 100. Bereits bei seiner Vorstellung verkündete Kahn voller Tatendrang, dass fortan gelte: "100 Prozent Bayern München ab dem heutigen Tag." Und er hat in seinen ersten 100 Tagen schon gezeigt, wo die Rekordmeisterreise mit ihm in den kommenden Jahren hingehen wird.
Herbert Hainer, der neue Präsident des FC Bayern, hat dieses kleine Jubiläum bereits hinter sich. Im März sprach er an seinem Hunderttägigen auch über den neuen Vorstand Oliver Kahn und war voll des Lobes: "Mir gefällt, dass er sich nicht scheut, bestimmte Dinge infrage zu stellen: Ist das alles so richtig, wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben? Und wenn nicht, was können wir verändern?", sagte der ehemalige Adidas-Chef in einem Interview mit dem Klub-Magazin "51".
Das, was Hainer da ansprach, war immer typisch Kahn. Schon als Spieler nahm der damals bisweilen hitzköpfige Weltklassekeeper kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, Kritisches anzusprechen ("Eier, wir brauchen Eier!").
Doch die forschen Zeiten der "Vulkahn"-Ausbrüche sind passé. Kahn wechselte nach seiner aktiven Karriere bewusst die Branche und versuchte sich außerhalb der Welt des Fußballs. Er studierte an einer Privatuniversität "General Management" mit Nebenfach Sportmanagement und baute nebenher einige Unternehmen auf. Dabei sei seine Emotionalität, wie er sie auf dem Platz an den Tag legte, nicht so hilfreich, erklärte Kahn bei seiner Vorstellung: "Ich werde also nicht durch den Meeting-Raum grätschen."
Kahn vereint Fußball- und Wirtschaftskompetenz und er hat, ganz wichtig an der Säbener Straße, das Bayern-Gen, weiß was "Mia san mia" bedeutet. Aufgrund dieser Kombination war es auch Ex-Präsident Uli Hoeneß, der sich Kahn ausdrücklich für die Chefetage der Münchner wünschte. Der ehemalige Bayern-Boss sah in Oliver Kahn die Toplösung für den Vorstand des FC Bayern: "Es ist ganz wichtig, einen ehemaligen Fußballer im Büro zu haben."
Uli Hoeneß hat ihm nun nach dessen Start im Vorstand des FC Bayern schon ein erstklassiges Zeugnis ausgestellt. Hoeneß bezeichnete Kahns Wirken an den ersten 100 Tagen als "optimal", wie er dem "Kicker" am Dienstag sagte: "Er hat alle meine Erwartungen zu 100 Prozent erfüllt. Und ich bin sehr optimistisch, dass es die total richtige Entscheidung war, Oliver da einzubauen. Das sieht man schon jetzt", sagte Hoeneß. Auch Sportdirektor Hasan Salihamidzic, der im Sommer Sportvorstand wird, lobte seinen Ex-Mitspieler als "absoluten Teamplayer" und ergänzte: "Oliver gibt viel Input, er ist eine Bereicherung in jeder Diskussion."
Und, so wie es scheint, hat Oliver Kahn in seiner Amtszeit auch schon viel Einfluss beim Rekordmeister nehmen können. Nicht umsonst sagte Hoeneß dem "Kicker", dass man es "schon jetzt" sehe, dass Kahn die "total richtige Entscheidung" war.
Seit Tag eins predigt der designierte Bayern-Vorstandsboss Geschlossenheit, aber gleichzeitig auch Diskussionsfreudigkeit. Man dürfe "auch hart" diskutieren, und unterschiedliche Ansichten haben. "Sinnvoll finde ich es, wenn man das intern tut", erklärte Kahn. Gut möglich, dass er mit diesen Aussagen bei seiner Vorstellung bereits indirekt mahnte, dass Hasan Salihamidzic und Trainer Hansi Flick ihren etwa zu dieser Zeit aufkeimenden öffentlichen Transferstreit beilegen oder zumindest hinter verschlossenen Türen austragen sollten.
Auch, dass die Bayern kürzlich Abstand von der Verpflichtung von Leroy Sané genommen haben sollen, fällt in die Amtszeit von Oliver Kahn. Laut "Kicker" sollen Zweifel an der Mentalität Sanés gewachsen sein. Aber ob diese sich innerhalb der vergangenen Monate grundlegend geändert hat? Kaum. Was sich aber in den vergangenen Monaten grundlegend geändert hat: Oliver Kahn hat etwas zu sagen.
Kahn stellt auch seit Beginn seiner Amtszeit gerne heraus, dass er gerne Siegertypen aus dem eigenen Bayern-Nachwuchs entwickeln und den "regionalen Charakter" des Vereins erhalten will. Neue Schweinsteigers und Müllers braucht der FCB. Keine Sanés.
Gleichzeitig will Kahn die bereits Etablierten im Verein halten. Bei seiner Vorstellung sagte er: "Wir verfolgen bei Bayern das familiäre Element. Die Spieler müssen sich wohlfühlen. Das ist ein wichtiger Aspekt, der den FC Bayern in der Vergangenheit von allen anderen Vereinen unterschieden hat." Ein Aspekt, der in den kommenden Jahren wichtiger werde als jemals zuvor.
Deswegen verwundert es auch nicht, dass der Verein am Dienstag die Vertragsverlängerung Müllers verkündete. Hier hatte Kahn sicher ebenfalls seine Finger im Spiel. Er sagte: "Wir sind froh, so eine Identifikationsfigur wie Thomas Müller im Klub halten zu können. Er prägt den Verein seit mehr als zehn Jahren mit großartigem Fußball und mit seiner sympathischen Art."
Rummenigge kommentierte die Vertragsverlängerung Müllers so: "Oliver und Hasan (Kahn und Salihamidzic, d. Red.) haben das prima gemacht." Lob vom Boss für seinen Erben und den baldigen Sportvorstand.
Nicht zuletzt fällt auch die Vertragsverlängerung von Erfolgstrainer Hansi Flick bis 2023 in die Zeit des Wirkens von Oliver Kahn. Flick lobte die Verhandlungen mit Rummenigge, Kahn und Salihamidzic. Sie seien "von großem gegenseitigem Vertrauen geprägt" gewesen. Kahn unterstrich in diesem Zusammenhang nochmal die Wichtigkeit, dass man die Philosophie des Vereins verstehe: "Hansi war Spieler beim FC Bayern, er war Co-Trainer. Jetzt wird er dauerhaft Cheftrainer." Und weiter: "Ich freue mich, dass wir nun mit ihm unsere Idee von Vereins- und Spielkultur in den kommenden Jahren gemeinsam entwickeln können."
Die Amtszeit von Oliver Kahn ist gerade mal 100 Tage jung. Er hat all die genannten Zukunftsentscheidungen natürlich nicht alleine getroffen. Aber, um es mit Salihamidzics Worten zu sagen: "Oliver gibt viel Input."
Der FC Bayern ist im Umbruch. Hoeneß ist weg, Rummenigge wird gehen. Es zeigt sich schon, in welche Richtung es mit Kahn gehen wird: Regionale Identifikation, Jugendarbeit, diplomatisches Geschick und Geschlossenheit scheinen die Grundzutaten für sein Erfolgsrezept für den FC Bayern zu sein. Und so richtig losgeht es für ihn ja erst im Jahr 2022. Bis dahin sind es noch einige 100 Tage.