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DHB-Team: Epidemiologe erklärt: "Mannschaftssport kaum noch sicher durchführbar"

Das DHB-Team hat mittlerweile neun Corona-Fälle zu vermelden.
Das DHB-Team hat mittlerweile wohl zwölf Corona-Fälle zu vermelden.Bild: www.imago-images.de / Tilo Wiedensohler
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Wohl zwölf Corona-Fälle in der Deutschen Handball-Nationalmannschaft – Epidemiologe fordert: "Kann nicht der Plan sein, angesteckte Spieler permanent zu ersetzen"

19.01.2022, 13:2319.01.2022, 16:07
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Auch beim abschließenden Vorrundenspiel der Europameisterschaft konnte Handball-Nationaltrainer Alfreð Gíslason jubeln. Deutschland besiegte Polen (30:23) und feierte den dritten Sieg im dritten Spiel. Der Einzug in die Hauptrunde mit einer makellosen Bilanz ist perfekt.

Obwohl Gíslason vor dem Turnier die Erwartungen niedrig gehalten hatte und sich nicht einmal die Favoritenrolle in der Vorrundengruppe zusprechen lassen wollte, waren die Ergebnisse auf der Platte kaum Thema in der öffentlichen Diskussion. Vielmehr überschatteten die insgesamt wohl zwölf Corona-Fälle im deutschen Team die letzten Tage.

Samstag war Julius Kühn noch der erste Fall, ehe am Sonntag der Nachnominierte Hendrik Wagner ebenfalls positiv getestet wurde. Montag kamen fünf weitere Fälle dazu, am Dienstag zwei. Als sei das noch nicht genug, meldete der DHB am Mittwoch erneut positive Fälle. Laut Informationen von Sky sollen drei weitere Spieler mit Corona ausfallen. Der Fernsehsender berichtet von den drei Rückraumspielern Christoph Steinert, Sebastian Heymann und Djibril M'Bengue.

Beschwerden zur Situation in den Hotels

Zwölf Fälle innerhalb weniger Tage, obwohl die Veranstalter der EM auch ein Hygienekonzept ausgearbeitet haben. Wie sicher ist demnach dieses Konzept?

Martin Hausleitner, Generalsekretär des Europäischen Handballverbands (EHF) erklärte gegenüber der Deutschen-Presse-Agentur am Dienstag: "Alle Mannschaften haben ihre eigenen Bereiche in den Hotels. In diesen Bereichen essen sie auch. Teams, in denen es zu mehreren Infektionen kam, sind in Einzelzimmern untergebracht. Was die Hotels anbelangt, befinden sich die Teams im Prinzip schon in einer Blase."

Das war allerdings nicht von Beginn an so. Frankreichs Star Nikola Karabatić bemängelte, dass sich die französischen Spieler im Teamhotel unter Gästen bewegen mussten, die keine Masken trugen. "Die möglichen Missstände wurden angesprochen und behoben", entgegnet Hausleitner.

Trotzdem äußert Markus Scholz, Professor am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie an der Universität Leipzig, Kritik. Gegenüber watson erklärt er: "Ich sehe die Hygienekonzepte im Mannschaftssport als gescheitert an. Mit der Omikron-Variante ist Mannschaftssport kaum noch sicher durchführbar."

Scholz bezieht sich nicht ausschließlich auf Handball, sondern erweitert die Kritik auf sämtliche Teamsportarten. "Generell sind alle körpernahen Mannschaftssportarten zurzeit durch die wesentlich ansteckendere Omikron-Variante beeinträchtigt", führt Scholz aus. Dazu passt, dass beispielsweise in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) Spiele abgesagt werden mussten, weil zu viele Spieler positiv getestet wurden.

"Die Inkubationszeit bei Omikron ist zwar kürzer als bei Delta, fünf Tage erscheint mir aber zu knapp, da hier individuelle Schwankungen möglich sind."
Epidemiologe Markus Scholz

Bei den Iserlohn Roosters erwischte es zwischenzeitlich 25 Spieler, bei Red Bull München waren es 18. Auch in der Basketball-Bundesliga (BBL) fielen am vergangenen Wochenende vier Partien aus. Die Skyliners Frankfurt bekamen kein vollständiges Team mehr zusammen, genauso wie Alba Berlin (elf Corona-Fälle), Würzburg und Bamberg.

Scholz erklärt sich die vielen Fälle im Profi-Sport dadurch, dass "intensiver geatmet" würde, "was die Weitergabe der Erreger begünstigt." Außerdem seien die Umkleideräume häufig beengt, dicht besetzt und es würde laut gesprochen. "All das begünstigt ebenfalls die Übertragung. Zudem sind negative Testergebnisse bei hohen Inzidenzen weniger aussagekräftig."

Positive Handballer dürfen nach sechs Tagen zurückkehren

Beim DHB-Team sind aufgrund der begünstigten Übertragung aktuell zwölf Spieler in Isolation. Nach fünf Tagen können diese Spieler einen ersten PCR-Test durchführen, 24 Stunden später den zweiten. Sind beide negativ und der Spieler symptomfrei, dürfen die Akteure also nach frühestens sechs Tagen die Isolation verlassen und wieder spielen und trainieren.

Julius Kühn, der Samstag der erste Corona-Fall war, dürfte also am Freitag gegen Norwegen (20.30 Uhr) zum zweiten Spiel der Hauptrunde wieder zurückkehren. Am Sonntag zum Spiel gegen Schweden (18 Uhr) stünde die Rückkehr der fünf positiv getesteten Spieler vom Montag an – wenn alles gut geht.

Scholz ist bei diesem Verfahren zwiegespalten. "Die Inkubationszeit bei Omikron ist zwar kürzer als bei Delta, fünf Tage erscheint mir aber zu knapp, da hier individuelle Schwankungen möglich sind, so dass die Inkubationszeit auch länger sein kann." Allerdings sieht er die Absicherung durch einen PCR-Test positiv. Sie würden "nach einer Quarantäne eine höhere Sicherheit" bieten.

Wie kann aber nun das Turnier weitergespielt werden? Von den 19 ursprünglichen Spielern, die Trainer Gíslason nominiert hatte, sind nun fast die Hälfte in Isolation. Scholz ist der Meinung, dass im Einzelfall entschieden werden müsse, ob die Spieler das Risiko einer Infektion tragen wollen oder eben nicht. "Es kann aber auch nicht der Plan sein, angesteckte Spieler permanent durch frische zu ersetzen. Wenn sich das fortsetzt, muss man zurückziehen, um die Infektionsketten zu unterbrechen."

"Wir haben aus meiner Sicht schon das ganze Jahr gut aufgepasst. Darum ist mir das ein Rätsel, wie das bei uns reingekommen ist."
Handball-Nationaltrainer Alfreð Gíslason darüber, wie Corona ins DHB-Team kam

Grundsätzlich würde Scholz einen Rückzug der deutschen Mannschaft als vernünftig bezeichnen. Besonders, weil nicht ausgeschlossen werden könne, "dass es weitere unentdeckte Fälle in der Mannschaft oder in deren Umfeld gibt, so dass sich neue Spieler ebenfalls anstecken könnten. Andererseits kann man durch Impfung das Risiko für einen schweren Verlauf und wahrscheinlich auch für Long-Covid ja deutlich reduzieren."

Einen Abbruch der gesamten Europameisterschaft wird es laut EHF wohl nicht geben. Ob es für das deutsche Team nach der Hauptrunde weitergeht, hängt nun von den nächsten vier Partien gegen Spanien (Donnerstag,) Norwegen (Freitag), Schweden (Sonntag) und Russland (Dienstag) ab. Unklar war lange, ob das DHB-Team von Trainer Gíslason vor dem Spiel gegen Titelverteidiger Spanien überhaupt noch trainieren würde. "Es ist noch nicht klar, ob wir ein Training riskieren", sagte der 62-jährige. Zur Corona-Situation ergänzt er: "Wir haben aus meiner Sicht schon das ganze Jahr gut aufgepasst. Darum ist mir das ein Rätsel, wie das bei uns reingekommen ist."

Fakt ist: Jetzt ist Covid19 erstmal beim DHB angekommen und zumindest laut Scholz auch schwer loszuwerden. Offen bleibt also, ob vor dem Spiel gegen Spanien noch weitere Spieler ausfallen werden. Antreten wird die Nationalmannschaft aber wohl auf jeden Fall.

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