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VfB Stuttgart verzaubert die Bundesliga: Das macht den Erfolg der Schwaben aus

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Der Erfolg des VfB Stuttgart dieser Tage hat einen Namen: Serhou Guirassy.Bild: imago / Sportfoto rudel
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Der VfB Stuttgart verzaubert die Bundesliga: Das macht den Erfolg aus

20.10.2023, 19:47
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Der Autor Friedemann Karig bezeichnete Stuttgart einmal als "zubetonierte Karikatur deutschen Selbsthasses" und wer schon einmal dagewesen ist, dem wird es schwerfallen, zu widersprechen. Wenn aber der VfB seine Spiele vor heimischer Kulisse gewinnt, dann hört man plötzlich die Guns n’ Roses singen: "Take me down to the paradise city". Und trotz städtebaulicher Mängel scheint das dieser Tage programmatisch.

Denn in dieser Spielzeit konnten die Stuttgarter Fans bei jedem Heimspiel diese Hymne der Euphorie mitsingen, sie haben nämlich jedes einzelne gewonnen und spielen danach immer den Hit der Kult-Rocker. Der VfB hat den besten Saisonstart der Vereinsgeschichte hingelegt und steht auf dem zweiten Tabellenplatz.

Dabei sind die Schwaben in den vergangenen zwei Jahren nur knapp dem Abstieg entronnen. Wie also lässt sich diese durch und durch paradiesische Momentaufnahme erklären?

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Vincenzo Tino, Co-Host des Fußballpodcasts "drei90" und VfB-Fan, äußert gegenüber watson eine klare Meinung: "Ich glaube, dass mit Hoeneß ein Trainer gekommen ist, der weiß, was die Mannschaft braucht. Auf und neben dem Platz."

Sebastian Hoeneß brachte einen neuen Teamgeist in die Mannschaft

Anfang April dieses Jahres wurde Sebastian Hoeneß in Stuttgart Nachfolger von Bruno Labbadia und somit der vierte Trainer des Vereins in einer Saison. Mit ihm kam auch ein neuer Ton in die Mannschaft, sagt Tino.

Während Labbadia dogmatisch darauf gepocht habe, um sieben Uhr morgens mit dem Training zu beginnen und nur Deutsch zu sprechen, habe sich Hoeneß mehr nach dem Team gerichtet.

"Er ist auf die Mannschaft eingegangen und hat ein Setting geschafft, in dem sich die Leute wohlfühlen. Ich glaube, dass er es geschafft hat, nach dem Abgang der Leistungsträger den Teamgeist zu stärken." Und von den Abgängen gab es vor der Saison einige.

Der damalige VfB-Kapitän Wataru Endō wechselte kurz vor Saisonbeginn zum FC Liverpool, Konstantinos Mavropanos schloss sich West Ham United an und Borna Sosa ging zu Ajax Amsterdam. Dennoch macht sich bei den Stuttgartern in der derzeitigen Verfassung der Umbruch kaum bemerkbar. Auch, weil die Abgänge adäquat ersetzt wurden.

VfB Stuttgart: Angelo Stiller als sofortige Verstärkung

"Es ist krass, dass da Spieler verpflichtet wurden, bei denen von den VfB-Fans keiner gesagt hat, der hilft uns jetzt groß weiter", sagt Tino. "Aber gerade ein Angelo Stiller ist auf der Sechser-Position dermaßen eingeschlagen – und das innerhalb von Wochen."

Vor der Saison wechselte Angelo Stiller von der TSG Hoffenheim nach Stuttgart und spielt dort nun abermals unter Hoeneß. Bereits in der U19 des FC Bayern wurde Stiller von Hoeneß trainiert, und erneut in Hoffenheim. Als Stratege vor der Abwehr macht er den Abgang von Endō nahezu unvergessen.

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Angelo Stiller gehört zu den derzeit stärksten Spielern des VfB Stuttgart. Bild: dpa / Tom Weller

Nicht weniger wichtig ist die Person, die in Stuttgart aktuell zwischen den Pfosten steht und ebenfalls eine Bayern-Vergangenheit hat: Alexander Nübel. Mit Fabian Bredlow und Florian Müller hatte Stuttgart in den vergangenen Jahren zwei Torwarte, die schwankende Leistungen hatten. Auch wenn Nübel selbst noch nicht ganz davon gefeit ist.

Alexander Nübel: ein konstanter(er) Rückhalt im Tor

"Nübel war in Monaco kein Sicherheitsgarant, er hatte da auch seine Patzer. Und die hat er tatsächlich immer noch", sagt Tino. "Aber es ist in Summe schon eine andere Qualität, er gewinnt auch die Spiele für den VfB. Und man merkt ihm die Erfahrung und das Talent auf jeden Fall an. Ich glaube, er hat auch Bock, den Leuten zu zeigen, dass er besser ist als Sven Ulreich."

Es sind aber auch die Spieler, die schon länger in Stuttgart spielen, und erst jetzt von der sprichwörtlichen Flut, die alle Boote hebt, profitieren. "Chris Führich und Enzo Millot sind für mich die Spieler, die den größten Sprung gemacht haben und vielleicht immer noch die am meisten unterschätzten Spieler im VfB-System", sagt Tino. Führich gab jüngst sein DFB-Debüt für die Nationalmannschaft, Millot wurde erstmals für Frankreichs U21 nominiert.

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Mit Alexander Nübel hat der VfB Stuttgart einen konstanteren Torwart verpflichten können.Bild: dpa / Tom Weller

Was den derzeitigen Höhenflug des VfB Stuttgart aber so bemerkenswert macht, ist vor allem die Art, mit der sie ihre Spiele bestreiten. Sie unterscheidet sich stark von etatmäßig abstiegsgefährdeten Mannschften. Ein Paradebeispiel dafür, wie man mit wenig Mitteln erfolgreich sein kann, war in den vergangenen Jahren Union Berlin.

Union hielt in der Regel nichts davon, das Spiel selbst zu machen, sondern wollte kompakt und körperlich auftreten und dann über das Umschaltspiel, Flanken und Standards zum Torerfolg kommen. Das war mitunter wenig unterhaltsam anzusehen, aber eben effektiv. Sebastian Hoeneß wählt einen gänzlich anderen, ungleich aufregenderen Weg – und lässt sich dabei von einem Italiener inspirieren.

Die Schule von Brighton & Hove Albion und Roberto De Zerbi

Auf seinem Weg zum Cheftrainer hospitierte Sebastian Hoeneß unter anderem bei Roberto De Zerbi, den er später auch als eines seiner taktischen Vorbilder bezeichnete. De Zerbi trainiert derzeit sehr erfolgreich den englischen Erstligisten Brighton & Hove Albion, bei dem beispielsweise auch die Neu-Entdeckung der Nationalmannschaft, Pascal Groß, unter Vertrag steht.

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In der Spielanlage erinnert der VfB Stuttgart an Roberto De Zerbi und Brighton.Bild: imago/ shutterstock

Ähnlich zur Spielidee von Brighton lockt Stuttgart den Gegner und wartet darauf, dass dieser zum Pressing übergeht. Die beiden Secher lassen sich dabei tief fallen, überspielen bemerkenswert druckresistent und extrem ballsicher die erste Angriffsreihe, um dann mit langen Bällen hinter die Kette zu kommen. Selbst nach Rückstand verlieren sie in diesem Jahr nicht das Konzept.

"Es ist auch ein bisschen die VfB-DNA", sagt Tino. "Zerstörerischen Fußball können wir gar nicht so gut. Aber du brauchst halt auch die Spieler, die damit umgehen können." Dabei sticht einer aktuell ganz besonders hervor. Denn wenn Stuttgart hinter die Kette gekommen ist, war das Bild in den vergangenen Wochen immer dasselbe: Guirassy, Tor.

Serhou Guirassy: die Stuttgarter Lebensversicherung

In sieben Spielen hat Serhou Guirassy bereits 13 Tore geschossen, nur drei weniger als der Torschützenkönig der kompletten vergangenen Saison. In Stuttgart ist er unbedingter Zielspieler, kaum ein Angriff läuft ohne ihn. Während der zwei Jahre beim 1. FC Köln wurde sein Vorname noch konsequent falsch geschrieben (Sehrou statt Serhou) mittlerweile kennt ihn ganz Fußball-Deutschland – auch unter anderen Namen.

Eine kleine Auswahl: "Gierassy" hat wieder "gui­ras­siert" und das Stuttgarter Stadion sollte eigentlich "Gui­rassyc Park" heißen. Die Abhängigkeit von einem Spieler führe aber dazu, dass der derzeitige Erfolg auch auf entsprechend wackeligen Beinen stehe, sagt Tino.

Im Januar werde Guirassy mit Guinea zum Afrika-Cup reisen, bei Führich wisse man nicht, wie er von der USA-Reise zurückkehre und das Mittelfeld sei in der Breite generell dünn besetzt. "Das ist alles auf Kante genäht", sagt Tino. "Deswegen genießen wir die 18 Punkte, die wir haben. Weil wir wissen, das sind 18 Punkte weniger, die wir für den Klassenerhalt brauchen."

VfB Stuttgart: der Traum vom Europapokal

Von den ganz großen Saisonzielen könne er sich ob der Umstände aber auch nicht ganz frei machen: "Meine Hoffnung wäre tatsächlich ein Europapokalplatz", sagt Tino. "Realistisch muss ich aber sagen, dass ich sehr viel Sorge vor der Rückrunde habe." Afrika-Cup, mögliche Abgänge der Leistungsträger im Winter, Ablenkung durch Wechselgerüchte und Berater – die Sorgen sind umfangreich. Angesichts der vergangenen Jahre aber auch eine gewisse Art von Luxus.

"Uns fehlen ja tatsächlich 'nur noch' circa 18 Punkte für den Klassenerhalt", sagt Tino. "Ich denke schon, dass die Mannschaft frühzeitig nichts mehr mit dem Abstieg zu tun hat." Der von den Guns n' Roses besungene paradiesische Zustand bemisst sich schließlich auch an den eigenen Ansprüchen.

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Bayer Leverkusen ist durch den späten 2:2-Treffer gegen den VfB Stuttgart erneut denkbar knapp einer Niederlage entgangen. Damit hat die historische Ungeschlagen-Serie der Leverkusener weiterhin Bestand: Seit 46 Pflichtspielen hat der neue deutsche Meister nicht mehr verloren. Nie zuvor schaffte das ein Team aus den europäischen Top-Fünf-Ligen.

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