Beendet seine Karriere als Fußball-Nationalspieler: Toni Kroos.Bild: ap / Frank Augstein
Analyse
Constantin eckner
Die Nachricht kam am Tag nach dem deutschen EM-Aus: Toni Kroos beendet seine Nationalmannschaftskarriere. Nach dem schmerzhaften Ausscheiden gegen England zog der 31-Jährige einen Schlussstrich nach 106 Einsätzen im DFB-Trikot. Nicht alle deutschen Fußballfans sind deswegen in Trauer – hierzulande war der Spielmacher nicht bei allen beliebt. Er galt vielen als "Querpass-Toni" oder als defensivschwach. Auch in Fan-Foren während der Europameisterschaft war häufig zu lesen, dass Kroos nicht für die Position vor der Abwehr, die er viele Jahre begleitete, geeignet sei. Ihm fehle dafür schlicht die Härte und Kompromisslosigkeit.
Auch wenn Kroos ein abgeklärter Vollprofi ist, wird er die an ihm über die Jahre geübte Kritik vernommen haben. Und er wird sich vielleicht sogar gewundert haben, warum er quasi in zwei Welten lebte. Denn in Spanien, wo Kroos seit seinem Wechsel von Bayern München zu Real Madrid im Jahr 2014, spielt, wird er gemeinhin als einer der besten Fußballer angesehen. Er gilt dort als kluger Stratege und Positionsspieler, der durch Intelligenz brenzlige Situationen klärt.
Stets unterschätzt
Die Fakten sprechen ohnehin für Kroos: Er hat in seiner Karriere allein viermal die Champions League und zudem unzählige nationale Titel gewonnen. Als er einst die Bayern verließ, hielt sich die Enttäuschung bei einigen Münchenern in Grenzen. Auch dort wurde er vornehmlich von Fachleuten, allen voran Cheftrainer Pep Guardiola, schmerzlich vermisst. Die Bayern sollten nach seinem Abgang jedoch an Stärke verlieren. Ihnen fehlte der Stratege – auch weil Thiago, der Ersatzmann von Kroos, mit Verletzungen zu kämpfen hatte. Wirklich einsehen wollte das im und um den Verein nicht jeder.
Die Wahrnehmung eines Spielers und die etablierten Narrative können jegliche Bewertung beeinflussen. Man nehme nur einen weiteren großen Meilenstein der Karriere von Kroos: den Gewinn der Weltmeisterschaft 2014. Kroos spielte damals an der Seite von Bastian Schweinsteiger im zentralen Mittelfeld. Doch während Schweinsteiger bis heute für seine damaligen Führungsqualitäten gepriesen wird, ist der sportliche Anteil von Kroos am Erfolg ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei war es Kroos, der zusammen mit Mesut Özil, einer anderen Streitfigur des deutschen Fußballs, die spielerischen Fäden zog.
Große Momente fehlten
Es ist einfacher, Bilder wie jenes des blutigen Schweinsteigers im WM-Finale in Erinnerung zu behalten als die 1000 perfekten Pässe von Kroos. Und genau darin lag zumindest in Deutschland immer die Krux für den heute 31-Jährigen. Er machte sehr viele Dinge richtig, aber wenige dieser Dinge waren außerordentlich spektakulär. Kroos war immer ein Schachspieler mit Sinn für die nächsten Züge. Er war aber nie einer, bei dem Trikots zerrissen oder emotionale Ausbrüche über die Kameraobjektive in heimische Wohnzimmer transportiert wurden.
Aber gerade in Deutschland gibt es im Zusammenhang mit Fußball immer noch eine weitverbreitete Sehnsucht nach diesen großen leidenschaftlichen Momenten. Selbst Franz Beckenbauer, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren für sein müheloses Spiel bekannt war und geradezu über den Platz schwebte, hatte solche Momente – etwa, als er mit Arm in der Schlinge gegen Italien im WM-Halbfinale 1970 in der brütenden Hitze von Mexiko einfach weiterspielte und nicht aufgab. Kroos war solch ein Moment in seiner Karriere nie "vergönnt".
Spanier lieben die Künstler
In Spanien, dem zweiten Zuhause des gebürtigen Greifswalders, interessierte das nie jemanden. Die Spanier sind gemeinhin begeistert von sauberem und kreativem Fußball. Natürlich gibt es Figuren wie der feurige Atlético-Trainer Diego Simeone, der gerade wieder die nationale Meisterschaft errang, die sich einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Aber auf dem Rasen genießen die Feingeistigen wie Kroos oder auch Clubkollege Luka Modrić hohes Ansehen. Denn sie können Dinge am Ball, die nur ganz wenige beherrschen. Kroos wurde für seine Spielart ohnehin unterschätzt. Wenn alle Mittelfeldspieler über 100 Zuspiele sauber an den Mann bringen könnte, dann würden sie genau das tun.
Dabei spielen nicht nur Kroos‘ Füße eine Rolle, sondern auch seine Entscheidungsfindung. Er erkennt besser als fast alle anderen, wenn sich Lücken, die gerade noch vorhanden sind, im nächsten Moment schließen werden. Dann tritt er auf den Ball und passt lieber quer. Vor den Fernsehgeräten in Deutschland wird derweil aufgestöhnt.
Defensivkompetenz bei der EM nachgewiesen
Dass der Fußballer Kroos verkannt wird, konnte man auch bei dieser Europameisterschaft gut beobachten. In Partien wie gegen Frankreich und England leistete der 31-Jährige viel Defensivarbeit, war durch kluges Positionsspiel im Gegenpressing da und sammelte zweite Bälle ein. In der deutschen Mannschaft verbuchte nur Abwehrchef Mats Hummels mehr Balleroberungen und Tacklings pro Partie. Trotzdem war etwa vor dem Spiel gegen die Engländer die Rede davon, dass es mit Kroos auf der zentralen Mittelfeldposition nicht funktionieren könnte. Denn ihm fehlte schließlich die Defensivkompetenz.
Obwohl Kroos vor den Augen von über 20 Millionen Fernsehzuschauern bereits den Gegenbeweis geliefert hatte, blieben dieser Ruf hängen. Den Ruf des defensivschwachen Querpass-Toni wird Kroos zumindest an einigen Stamm- und Wohnzimmertischen nicht mehr los. Der 31-Jährige sagte, dass er fortan mehr Zeit mit seiner Familie verbringen und auch deshalb auf die Länderspiele verzichten wolle. Das klingt plausibel. Vielleicht, ja vielleicht, war Kroos aber auch endgültig entnervt von der ungerechtfertigten Kritik an seiner Spielweise.
Noch immer ist nicht so richtig klar, wohin es für den 1. FC Nürnberg in dieser Saison gehen wird. Die Mannschaft ist eine der großen Wundertüten in der zweiten Fußball-Bundesliga.