Es lief die 26. Spielminute, als Anfang April beim Premier-League-Spiel zwischen Everton und Tottenham das Spiel unterbrochen wurde. Nicht, weil Fans den Platz gestürmt hatten, oder irgendwas anderes außerplanmäßiges passiert war, sondern weil Schiedsrichter David Coote vom englischen Fußball-Verband schon vorher die Anweisung bekommen hatte.
Es ist Ramadan und in dieser Zeit werden Premier-League-Spiele nach dem Sonnenuntergang unterbrochen, damit die Profis, die den muslimischen Fastenmonat einhalten, Flüssigkeit zu sich nehmen können. Das ist wichtig für den Körper und besonders für dessen Flüssigkeitshaushalt. Trinken Sportler zu wenig, kann es zu Beschwerden und Problemen kommen.
Im Gespräch mit watson erklärt Dr. Andrew Lichtenthal ausführlich, welche Risiken Sportler in der Zeit des Ramadan auftreten könnten. Er ist leitender Arzt im Deutschen Leichtathletik Verband und stellt von Beginn an klar, dass nicht das fehlende Essen beim Fasten zu Problemen führt: "Der Verzicht aufs Essen im Ramadan kann beim Sport verkraftet werden, da das ja nur eine beschränkte Zeit ist. Natürlich sollte darauf geachtet werden, dass vor Sonnenaufgang ausreichend gegessen wird und sofort nach Sonnenuntergang auch. Das eigentliche Problem ist allerdings die Flüssigkeit."
Durch intensives Training oder Training bei hohen Temperaturen wird viel geschwitzt, was zu einem Verlust von Elektrolyten und Salzen führen kann. Lichtenthal betont, dass der Verlust, der im Ramadan durch Trinken nicht ausgeglichen wird, zu "muskulären und/oder Herz-Kreislauf-Problemen" führen kann.
Es sei sehr wichtig, auf das Flüssigkeitsmanagement zu achten. Besonders in der Zeit vor dem Sonnenaufgang und nach dem Untergang müsse genug getrunken werden, damit der Verlust der Flüssigkeit und der darin enthaltenen Elektrolyte über den Tag hinweg ausgeglichen werden könne.
Elektrolyte wie Natrium, Kalium, Magnesium und Kalzium seien dafür zuständig, dass die Nervenleitung und die Kontraktionsfähigkeit der Muskeln erhalten bleiben. Ein Mangel eines bestimmten Elektrolyts könne Defizite nach sich ziehen.
Lichtenthal betont: "Während Olympia in Tokio zum Beispiel zeigte sich bei einigen Läufer:innen ein niedriger Natriumspiegel durch starkes Schwitzen. Da war die Gefahr eines Hitzekollaps groß, weswegen der Natriumspiegel immer kontrolliert wurde. Und bei einem niedrigen Kaliumspiegel können zum Beispiel Herzprobleme auftreten."
Lichtenthal macht jedoch auch deutlich, dass die beschriebenen Nebenwirkungen nicht sofort eintreten müssten, sondern verschiedene Faktoren dazu führen können, dass es zu einer "Entgleisung" kommt. Vorerkrankungen oder andere gesundheitliche Probleme der Sporttreibenden könnten auch dazu beitragen.
Wenn es um das Training im Ramadan geht, empfiehlt Lichtenthal deshalb, den Zeitpunkt des Trainings – wenn möglich – zu verschieben, um das Fasten besser in den Trainingsplan zu integrieren. "Sinnvoll wäre es, später zu trainieren, sodass der Athlet oder die Athletin mit dem Ende der Einheit etwas zu sich nehmen darf", führt Lichtenthal aus. Dadurch könnte die Einhaltung religiöser Regeln mit einem leistungsorientierten Training gut kombiniert werden.
Und wie schaut es im Vergleich zwischen Profi- und Amateursportlern aus? Lichtenthal äußert die Vermutung, "dass ein Profi sich besser ans Fasten im Ramadan anpassen kann". Die Erklärung ist einleuchtend: "Er ist besser trainiert im Schwitzen. Umso höher der Trainingsumfang ist, umso weniger Elektrolyte werden über die Haut ausgeschieden. Der Amateur ist da nicht so gut geschult."
Zwar stimme auch die Tatsache, dass sportliche Menschen schneller und mehr schwitzen als unsportlichere, gleichzeitig passt sich aber wohl auch die Zusammensetzung des Schweiß' an: ein großer Vorteil für Profis.
Ein Indiz dafür, dass Sporttreibende nicht gut auf lange Aktivitäten im Ramadan vorbereitet sind, nennt Lichtenthal auch: "Es gibt Menschen, die haben bei einem langen Lauf eine kleine Salzkruste auf der Haut. Diese Menschen würden Probleme bekommen, dies ist ein Hinweis darauf, dass diese Personen viel Natrium über den Schweiß verlieren und da etwas vorsichtig sein sollten, weil sie ihre Elektrolyte zu schnell verlieren."
Mit dem Wissen, dass Elektrolyte bei sportlicher Betätigung schnell verloren gehen können, befürwortet Lichtenthal das Vorgehen der Premier League mit den Unterbrechungen bei Abendspielen: "Allerhöchsten Respekt für die Regelung in der Premier League. Ich finde den Schritt, Spiele zu unterbrechen, damit Muslime nach Sonnenuntergang trinken können, absolut sinnvoll. In der Leichtathletik ist das leichter, weil die Athleten nicht permanent auf dem Platz stehen."