Sport
Analyse

Mainz 05 und die neuen Bruchweg-Boys: Wie Henriksen den Klub wachküsste

Fussball, Bundesliga, Deutschland, Herren, Saison 2024/2025, 25. Spieltag, Borussia Park M
Richtet den Blick nach Europa: Mainz-Trainer Bo Henriksen.Bild: IMAGO/ Uwe Kraft
Analyse

In Mainz glaubt man an Wunder – und Bo Henriksen

14.03.2025, 18:4115.03.2025, 12:37
Mehr «Sport»

Der 37 Jahre alte Jürgen Klopp hat mal gesagt, dass es zwei Möglichkeiten gebe, einen Menschen zu motivieren. "Ich kann ihn unter Druck setzen und ihm Angst vor negativen Konsequenzen machen. Oder ich schildere in schillernden Farben die positiven Folgen."

Neben seiner ausgeklügelten Pressing- und Gegenpressing-Taktik, war sein Mantra; Spieler zu motivieren, ihnen Vertrauen zu schenken, sein größtes Erfolgsrezept. Und der Grund, warum Mainz am 23. Mai 2004 in die Bundesliga aufgestiegen ist.

Fans, manche mehr, manche weniger, trauerten Klopp, der den Verein 2008 in Richtung Dortmund verließ, deshalb lange hinterher. Man vermisste ihn, den Menschenfänger und seine Fähigkeit, eine ganze Stadt zu beflügeln (damals noch ohne Energie-Drink). Nur gut, dass Zeit bekanntlich alle Wunden heilt.

Inzwischen ist der Schmerz in der Brust verschwunden, die Tränen sind getrocknet. Mainz 05 hat sich neu verliebt. Diesmal in Bo Henriksen, der, anders als Klopp, in Dänemark und der Schweiz coachte, aber genauso wie er, eine Kultur des Mutes geschaffen hatte. "Mein wichtigster Job als Trainer ist es, den Spielern die Angst zu nehmen", sagte Henriksen im Interview mit "11Freunde", "während alle versuchen, Angst zu verbreiten".

Von ihm werde man nie hören, dass die Mannschaft verloren hat, weil jemand einen Fehler gemacht hat. "Die Zügel loszulassen, dass er die Mannschaft mit in Entscheidungen nimmt", sagt Jan Budde, Host des Mainz-Podcasts "Die Hinterhofsänger", "das zeichnet ihn als Trainer aus".

Mainz 05: Vom Abstiegskandidaten zum Traum von Europa

Seit nunmehr fünf Wochen ist Mainz ungeschlagen, thront mit 44 Punkten nach 25 Spieltagen auf Rang drei, auf einem Champions-League-Platz. Medien titeln vom Mainzer Höhenflug, von dem Überraschungsteam der Saison – dank Henriksen.

Dabei galt Mainz vor einem Jahr, als der Däne eine strauchelnde Mannschaft auf dem vorletzten Tabellenplatz übernahm, als tot geglaubt. Zwölf Punkte hatte der FSV bis dahin, neun Zähler Rückstand auf den ersten Nicht-Abstiegsplatz. Und Bo Henriksen?

Motivierte "seine Jungs", schilderte "die positiven Folgen", wie es einst Klopp tat und kletterte zum Saisonende auf den 13. Platz. Bo Henriksen hatte die "Nullfünfer" wachgeküsst, die ganze Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen. Dass Mainz also mit hoher Wahrscheinlichkeit bald europäisch spielen wird, habe nichts mit Glück zu tun, sagt Jan Budde, "sondern mit konstanter Arbeit" und eben jener gelebten Kultur unter Henriksen.

Paul Nebel: "Seine Geschichte ist Werbung für Mainz 05"

Die Chemie in der Mannschaft stimme, sagt Paul Nebel im Interview mit dem SWR. Und weil das so sei, "ist man unterbewusst auch bereit, mehr zu machen auf dem Platz". Was das heißen soll?

Fragt man Sportvorstand Christian Heidel, dann verweist er auf Nebels Laufleistung. 232 Kilometer hat Nebel in dieser Saison bereits abgespult. Mit jedem gelaufenen Kilometer hat er sich zu einem entscheidenden Spieler von Mainz 05 entwickelt. "Dass er so einschlägt und am Ende seiner ersten richtigen Bundesligasaison vermutlich eine zweistellige Trefferquote verbuchen wird", sagt Budde, "das ist außergewöhnlich".

NEBEL Paul Team 1.FSV Mainz DFL Bundesliga Saison 2024 - 2025 Spiel Borussia Moenchengladbach - Mainz 05 1: 3 am 07. 03. 2025 in Moenchengladbach DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS as IMA ...
Sieben Tore hat er in der laufenden Saison erzielt, an vier war er beteiligt: Paul Nebel.Bild: IMAGO/ Laci Perenyi

Der 22 Jahre alte Nebel kehrte im Sommer 2024 zurück nach Mainz, seinen Reifeprozess sollte er beim Karlsruher SC als Leihspieler fortführen. Und siehe da, der Plan ging auf. Bo Henriksen setzte Nebel, beidfüßig stark, meist im Halbraum hinter Stürmer Jonathan Burkardt ein. Am achten Spieltag stand er zum ersten Mal von Beginn an auf dem Platz. Seither ist er aus der Startelf nicht mehr wegzudenken, elf Scorerpunkte sprechen für ihn.

Mainz 05 setzt auf seine Eigengewächse

Paul Nebel habe sich das erarbeitet, sagt Christian Heidel im Interview mit "Bild". "Seine Geschichte ist Werbung für Mainz 05." Für einen kleinen Verein, "der auf den eigenen Nachwuchs setzt", sagt Budde.

Mainz 05 zählt zu den besten Nachwuchsleistungszentren der Liga. Die im Verein ausgebildeten Spieler, darunter Robin Zentner, Paul Nebel, Jonathan Burkhardt, Stefan Bell und Nelson Weiper kommen zusammen und wettbewerbsübergreifend auf insgesamt 7545 Spielminuten. Der zweitbeste Wert unter den 18 Erstligaklubs, toppen kann das nur der SC Freiburg (8411 Minuten).

"Darauf aufbauend kannst du wunderbar etwas entwickeln", sagt Budde. Einer, der das verstanden habe, sei Nadiem Amiri. "Er hatte Bock, sich an der Geschichte zu beteiligen."

Nadiem Amiri wächst unter Henriksen über sich hinaus

Sein Wechsel zum damals akut abstiegsbedrohten Mainz 05 sorgte für Verwunderung. Immerhin war er ein halbes Jahr Teil der ungeschlagenen Leverkusener Meister-Mannschaft und einstiger Nationalspieler. Und zu überqualifiziert für den Karnevalsverein?

Nein, Amiri ist der richtige Mann für Mainz und Mainz der richtige Ort für Amiri. "Einen Spieler von der Qualität hat Mainz noch nie gehabt", sagt Budde. Auf merkwürdigste Art und Weise schaffe Amiri, Kämpfer und Ballakrobat gleichzeitig zu sein. Unter Bo Henriksen hat der 28-Jährige zu seiner Rolle gefunden, die ihm andernorts verwehrt geblieben ist. Weil er Vertrauen bekommt, und man nicht versuche, wie Budde sagt, ihn in ein "enges Korsett" zu zwängen.

Dank Henriksen wächst Amiri in Mainz über sich hinaus, avanciert, von Joachim Löw einst aussortiert, unter DFB-Trainer Julian Nagelsmann erneut zum Nationalspieler. Genauso wie Mainz' bester Torschütze Jonathan Burkhardt. "Das gab es zuletzt unter Thomas Tuchel und den Bruchweg-Boys", sagt Jan Budde.

Die "Nullfünfer" zeigen: Not macht erfinderisch

Innerhalb von zwölf Monaten mauserte sich Mainz vom Abstiegskandidaten zum Champions-League-Aspiranten, verkaufte zwischendrin mit Leandro Barreiro, Sepp van den Berg und Brajan Gruda, wie Budde sagt, unter anderem "gestandene Führungsspieler" und zeigte einmal mehr, dass Not erfinderisch mache. Genau das, zeichne Mainz aus.

Sei es ein Henriksen, dem man einen kleinen Kader – wohlgemerkt den kleinsten der Liga – vor die Nase setzt oder ein Jürgen Klopp, den man vom Spieler zum Trainer befördern musste. "Das sind einfach so Geschichten, die können nur in Mainz geschehen, hat man das Gefühl."

Angst, dass die unvorhersehbare Geschichte der "Nullfünfer" schneller wieder vorbeigeht, als sie begonnen hatte, habe Budde nicht. Schließlich, sagt er, könne man nirgendwo so schön scheitern wie bei dem Verein, der bei dem Versuch, in die Bundesliga aufzusteigen, dreimal am Ziel vorbeischrammte – innerhalb von sieben Jahren.

In der Fastnachtshochburg müsse man nun mal an Wunder glauben. "Und vielleicht muss diese Stadt nur dann und wann ein bisschen wachgeküsst werden." Eine Handvoll Trainer haben es in der jüngsten Vergangenheit jedenfalls versucht, aber Henriksen, so Budde, "hat den Mund getroffen".

BVB-Verteidiger Nico Schlotterbeck: England ruft, Dortmund hofft
Nico Schlotterbeck ist verletzt. Er verpasst den Saisonendspurt des BVB, doch seine Zukunft bleibt Gesprächsthema. Besonders ein Klub aus England buhlt intensiv um den Innenverteidiger.

Borussia Dortmund muss den Saisonendspurt ohne Nico Schlotterbeck bestreiten – und könnte ihn langfristig sogar verlieren.

Zur Story