3:1, 4:2, 3:2, 4:0, 5:0, 6:0. Die vergangenen sechs Auswärtsspiele beim FC Bayern endeten für Borussia Dortmund allesamt wenig erfolgreich.
In Fußball-Deutschland stellte sich so fast eine gewisse Gleichgültigkeit ein, wenn der BVB zum vermeintlichen Spitzenspiel nach München reiste. Zu weit waren die Münchner dem BVB enteilt. "Es gab Zeiten, da ging es im April in München nur um Ehre und Stolz", kommentierte auch BVB-Coach Edin Terzić.
Auch Ex-Bayern-Verteidiger Holger Badstuber sagt mit Blick auf die vergangenen Jahre im Gespräch mit watson: "Der Abstand am Ende der Saisons war teilweise immens." Während der vergangenen zehn Meisterschaften des FC Bayern wurde der BVB sechsmal Vize-Meister, die durchschnittliche Punkte-Differenz betrug dabei 12,8 Punkte.
"Dortmund wurde phasenweise der zweite Rang in Deutschland von Teams wie RB Leipzig abgelaufen", fügt Badstuber an. 2017 und 2021 landeten die Leipziger vor dem BVB auf Rang zwei. Hinzu kommen die Überraschungs-Vizemeister der Jahre 2015 (Wolfsburg) und 2018 (Schalke).
An diesem Samstag ist die Ausgangssituation zum ersten Mal seit Jahren eine andere. Der BVB ist Tabellenführer, die Münchner auf Platz zwei. Dennoch meint Badstuber: "Die Brisanz des Klassikers setzt Fußball-Deutschland nicht mehr so unter Spannung wie damals."
Mit "damals" meint der ehemalige Bayern-Star die absoluten Hochzeiten der Rivalität, die er hautnah auf dem Feld miterlebte. Einerseits die aus Bayern-Sicht bitteren Spielzeiten 2010/11 und 2011/12, als der BVB jeweils Deutscher Meister wurde, sowie die 2:5-Klatsche im DFB-Pokalfinale 2012, bei der Badstuber 90 Minuten auf dem Platz stand.
Andererseits erlebte der heute 34-Jährige in der Saison 2012/13 auch seinen größten Triumph auf Vereinsebene gegen den BVB: den Sieg im Champions-League-Finale. Auch wenn Badstuber das Endspiel damals verpasste, weil er sich ausgerechnet im Hinspiel in der Bundesliga gegen den BVB einen Kreuzbandriss zugezogen hatte.
Er stand im Bayern-Trikot in insgesamt neun Spielen gegen den BVB auf dem Platz.
Seitdem ist viel passiert. Oder wie es Badstuber auf den Punkt bringt: "Bayern München hat viel investiert, während der BVB viele Transfererlöse generieren konnte."
Konkret bedeutet das: Die Münchner haben in den vergangenen zehn Jahren über 860 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Der BVB zwar nur etwas mehr als 800 Millionen, doch dafür nahmen die Borussen über 918 Millionen Euro allein an Transfererlösen ein.
Die Dortmunder setzen auf junge, talentierte Spieler, die sie anschließend teuer zu den europäischen Topklubs, vorzugsweise aus der Premier League, verkaufen.
Erling Haaland, der für 60 Millionen Euro zu Manchester City wechselte, Jadon Sancho, der sich für 85 Millionen Manchester United anschloss, Ousmane Dembélé, den Barcelona für 140 Millionen Euro verpflichtete und Christian Pulisic, für den der FC Chelsea 64 Millionen Euro bezahlte, sind nur die jüngsten Beispiele.
"Dortmund hat sich eher zu einem Verein entwickelt, bei dem Spieler den nächsten Schritt machen wollen, um dann zum nächsten großen, internationalen Team zu wechseln. Früher war das nicht so, da wollten die Spieler beim BVB bleiben", sagt Badstuber. Die einzige Konstante aus den damaligen Duellen mit dem BVB ist Marco Reus. Der Angreifer steht seit Sommer 2012 bei seinem Jugendklub unter Vertrag.
In diese Reihe der jungen Top-Stars wird sich bald wohl auch Jude Bellingham einreihen. Der 19-Jährige wird seit Monaten mit allen europäischen Top-Vereinen in Verbindungen gebracht. Die Spekulationen über seine Ablösesumme liegen aktuell häufig bei über 100 Millionen Euro.
Wie wichtig der Mittelfeldstar jedoch für den aktuellen Tabellenführer ist, unterstreicht auch BVB-Legende Jörg Heinrich im Gespräch mit watson. "Bellingham marschiert mit seinen jungen Jahren absolut voran. Diese Mentalität brauchen wir bei Borussia."
Vielleicht könnte genau das am Samstagabend den Unterschied machen, damit der BVB seinen Vorsprung an der Tabellenspitze ausbauen kann. Seit 2014 warten die Westfalen auf einen Sieg in München.
Das will BVB-Coach Terzić ändern: "Wir haben einen Lauf. Das macht uns sehr zuversichtlich. Wenn wir nicht nur mit einer Portion Respekt, sondern auch mit Mut in die Partie gehen, dann haben wir eine große Chance."
Der Lauf kann sich durchaus sehen lassen. In den vergangenen zehn Spielen holte der BVB 28 von 30 Punkten. Lagen die Dortmunder in der Winterpause noch neun Zähler hinter den Münchnern auf Rang 6, stehen sie jetzt an der Tabellenspitze mit einem Punkt Vorsprung.
"Dieses Gefühl, sich zweieinhalb Monate diese Scheißtabelle anzugucken, hat viel Energie geweckt bei uns", blickt Terzić deutlich auf die Winterpause zurück.
Beim FC Bayern steht Neu-Trainer Thomas Tuchel unterdessen vor der schwierigen Aufgabe, das strauchelnde Team wieder dauerhaft in die Spur zu bringen. Und das mit nur einer Trainingseinheit vor dem Spiel, bei dem alle Spieler anwesend sein werden.
Er plane deshalb zunächst "keinen großen Wechsel in der Systematik und den Abläufen", kündigte Tuchel an. Vielleicht "quetsche" er aber sogar noch am Samstag, wenige Stunden vor dem Gipfel, "eine Einheit rein". Zumal die Herausforderung "nicht größer sein" könne. Denn für die Münchner zählt am Samstagabend nur ein Heimsieg.
(mit Material von dpa)