Cristiano Ronaldo ist schon seit dem Winter da. In diesem Sommer folgte mit Karim Benzema der amtierende Weltfußballer. In wenigen Tagen wird wohl auch Bayern-Star Sadio Mané hinzukommen und künftig an der Seite von Ronaldo stürmen. Schon zuvor taten es den drei Weltstars zahlreiche Spieler gleich: Immer mehr aktuelle oder ehemalige Champions-League-Sieger und Top-Stars verkündeten ihre Wechsel nach Saudi-Arabien.
Besonders hart erwischte es Jürgen Klopp beim FC Liverpool. Kapitän Jordan Henderson schloss sich nach zwölf Jahren bei den Reds Al-Ettifaq an. Für Klopp sei es "traurig, absolut seltsam, weil er der einzige Kapitän ist, den ich hier in Liverpool hatte", sagte er. "Aber so ist der Fußball", stellte er ungewohnt resigniert fest.
Henderson wechselt ausgerechnet zu dem Klub, bei dem auch Liverpool-Legende Steven Gerrard seit Sommer Trainer ist. Zuvor zog es bereits Angreifer Roberto Firmino von Liverpool zu Al-Ahli nach Saudi-Arabien.
Bisher sind es vor allem alternde Stars aus der Premier League, die sich zu ihrem Karriereende noch einmal fürstlich entlohnen lassen. Doch was passiert eigentlich, wenn die saudischen Klubs auch intensiver an (deutschen) Nationalspielern aus der Bundesliga interessiert sind und die Vereine die unmoralischen Angebote nicht ablehnen können?
Bei Werder Bremens Marvin Ducksch war es im Sommer beinahe so weit. Der Angreifer hatte ein hoch dotiertes Angebot aus dem Wüstenstaat vorliegen. Vergangene Saison gehörte er mit zwölf Toren und sieben Vorlagen noch zu den torgefährlichsten Spielern der Bundesliga.
Der 29-Jährige entschloss sich am Ende jedoch für eine Verlängerung an der Weser. "Klar hat das viele Geld eine Rolle gespielt. Ich bin in einem guten Fußballeralter. Aber ich fühle mich in der Mannschaft, in der Stadt und in der Umgebung wohl", sagte er im Interview mit Sky. Bestätigt Ducksch seine Leistungen aus der abgelaufenen Saison, könnte er auch nochmal ein Thema für Bundestrainer Hansi Flick für die kommende Heim-EM werden.
Andere Profis in seinem Alter sehen das mit dem sportlichen Wettkampf in europäischen Top-Ligen ein wenig anders.
Ruben Neves (26 Jahre), einer der besten zentralen Mittelfeldspieler der Premier League, entschied sich bewusst gegen einen Wechsel zum FC Barcelona und für Al-Hilal. Dort bildet er künftig mit Sergej Milinković-Savić (28) eine Mittelfeldzentrale, die sich fast jeder europäische Top-Klub wünschen würde. Der Serbe war vergangene Saison Co-Kapitän beim italienischen Vize-Meister Lazio Rom und kam auf neun Tore und acht Vorlagen. Mit seinem Wechsel verzichtet er sogar auf die Teilnahme an der Champions League.
Ein solcher Schritt kann verheerende Folgen für die Karriere haben. "Mittelfristig wird es so laufen, dass die Spieler in ihrer Form, Fitness, Spielintelligenz nachlassen und nicht mehr konkurrenzfähig sein werden", sagt Sportwissenschaftler und Fanforscher Harald Lange im Interview mit watson. Besonders für ihre Nationalmannschaften wäre das der Super-GAU.
Und große Namen helfen nicht immer. Am Wochenende verlor Al-Hilal gegen Bundesliga-Aufsteiger FC Heidenheim deutlich mit 2:6. Trainer Frank Schmidt stellte hinterher fest: "Insbesondere die Qualität des Gegners war nicht das, was wir als Herausforderung im Trainingslager brauchen."
Mit Matthias Jaissle zog es kürzlich auch eines der größten deutschen Trainertalente nach Saudi-Arabien. Zwei Tage vor Saisonstart verließ er Red Bull Salzburg und trainiert nun Firmino, den amtierenden Champions-League-Sieger Riyad Mahrez und Edouard Mendy, der 2021 mit Chelsea die Königsklasse gewann, bei Al-Ahli.
Für eine große Anziehungskraft sorgte dabei natürlich der Wechsel von Cristiano Ronaldo zu Beginn des Jahres zu Al-Nassr.
Eine Entwicklung, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mit Sorge beobachtet.
"Durch die Anwesenheit von Cristiano Ronaldo oder anderer Fußballstars ist es sehr wahrscheinlich, dass von der katastrophalen Menschenrechtssituation abgelenkt werden soll. In Sachen Sportswashing ist Saudi-Arabien ein echter Vorreiter", ordnet Amnesty Pressesprecherin Ellen Wesemüller im Gespräch mit watson ein.
Von Verhandlungen zwischen Bundesligisten und Klubs aus Saudi-Arabien ist es abgesehen vom sich anbahnenden Mané-Transfer bisher wenig bekannt.
Leverkusens Geschäftsführer Fernando Carro kann dem Wechselwahn nichts abgewinnen. "Ich würde als Sportler nicht da hingehen. Meine persönliche Meinung ist: Es ist teilweise wahnsinnig, nicht rational zu verstehen", sagte er im Trainingslager der Werkself.
Ganz anders sieht das Dirk Zingler, Geschäftsführer beim 1. FC Union Berlin. "Ich werde nie jemanden moralisch verurteilen, weil er irgendwo hingeht, um für sich und seine Familie mehr Geld zu verdienen. Das sind doch keine schlechteren Menschen dort", sagte er im Trainingslager der Berliner.
Laut Zingler werde die arabische Welt den westlichen Demokratien "in den nächsten Jahrzehnten den Rang ablaufen." Man müsse sich auf Veränderungen einstellen. "Diese moralische Überhöhung Europas über den Rest der Welt geht mir richtig auf den Zeiger."
BVB-Boss Sebastian Kehl warnte im "kicker", dass sich der Fußball in eine Richtung entwickelt, die ihm sicher schaden wird.
Am Ende entscheiden jedoch nicht nur die Klubs über einen Wechsel, sondern der Spieler muss dem auch zustimmen. Und da kommen die Berater ins Spiel. Einige wittern mit den Deals natürlich die große Provision, doch auch in deutschen Beratungsagenturen ist man sich noch uneinig, wie mit der Situation umzugehen ist.
Öffentlich äußern wollte sich keine der Agenturen, mit denen watson sprach. Zu groß sind noch die Fragezeichen zwischen der moralischen Verantwortung und dem möglicherweise doch großen Geld.
Nur alle machten deutlich, dass das Thema rund um Wechsel von deutschen Spielern in den Wüstenstaat in Zukunft noch enorm an Fahrt aufnehmen wird.
Ganz neu ist das Phänomen indes nicht. 2016 und 2017 startete China eine ähnliche Transferoffensive und lockte alternde Stars und ein paar junge Talente mit überdimensionalen Geldversprechungen ins Reich der Mitte. Lange hielt dieser Boom jedoch nicht an.
Das wird laut Sportwissenschaftler Lange in Saudi-Arabien nicht so schnell passieren. Dafür hat das Projekt einen zu hohen innen- und außenpolitischen Wert. Das Problem bleibt jedoch das gleiche wie in China: Wie gelingt eine nachhaltige Entwicklung des Fußballs? Lange sagt:
Die einzige Hoffnung für den Wüstenstaat: auch der europäische und Nord- und südamerikanische Fußball öffnet sich gegenüber dem Land mit Testspielen und Turnieren. Passend dazu wird die kommende Klub-WM im Dezember in Saudi-Arabien stattfinden – auch wenn dort noch kein Team aus dem Königreich dabei sein wird. Das könnte schon 2025 anders sein, wenn 32 Teams am Turnier teilnehmen.