Nach acht Jahren und 344 Pflichtspieltoren für den FC Bayern München ist die Zeit von Robert Lewandowski beim Rekordmeister und in der Bundesliga seit Samstag vorbei. Von nun an will der polnische Nationalspieler für den FC Barcelona Tore schießen und Titel sammeln.
Der Wechsel ging allerdings nicht reibungslos über die Bühne. Von Oliver Kahns "Basta", das einem Wechsel den Riegel vorschieben sollte, über Aussagen von Lewandowski in polnischen Medien ("Da ist etwas in mir kaputtgegangen") bis hin zu täglichen Verspätungen am Trainingsplatz, wie die "Bild" berichtete.
Nachdem der Transfer (45 Millionen Euro plus 5 Millionen Euro Bonus) nach Barcelona in der Nacht zu Samstag vollzogen wurde, sprach Robert Lewandowski über die vergangenen zwei Monate. Gegenüber "Bild" sagte der 33-Jährige: "Es waren unnötige Dinge dabei, von beiden Seiten." Kurz darauf fügte er an: "Aber vielleicht mussten eben gewisse Dinge passieren, damit der Wechsel am Ende möglich war. Ich denke, dass nun beide Seiten zufrieden sind."
In Deutschland hat Lewandowski für sein Verhalten teilweise Kritik kassiert – besonders, als Gerüchte um einen Trainingsboykott bekannt wurden, die sich allerdings nie bewahrheiteten.
Neben der deutschen Perspektive ist allerdings auch die Sicht auf Lewandowski aus seinem Heimatland interessant. Wie wird das Verhalten des Nationalmannschaftskapitäns in Polen gesehen? Wie wird dort der Wechsel nach Barcelona eingeschätzt?
Marcin Wesołek ist jemand, der diesen Blickwinkel gut beschreiben kann. Seit 2019 ist er Sportchef der zweitgrößten polnischen Tageszeitung, "Gazeta Wyborcza". Vorher berichtete er unter anderem als Reporter über Lech Posen, lernte dort auch Robert Lewandowski kennen.
Zum Theater vor dem Barcelona-Wechsel hat Wesołek eine klare Meinung zu Lewandowskis Verhalten. Gegenüber watson sagt der Journalist: "Wir waren sehr überrascht, dass er so klar äußerte, dass er Bayern verlassen will. Er war bekannt als Spieler, der Kontroversen vermeidet."
Nachdem Lewandowski im Mai klar gesagt hatte, dass er seine Zeit in München als beendet sehe, haben laut Wesołek alle Parteien gesprochen, die an dem Wechsel beteiligt waren. Die Bayern, Lewandowski, seine Berater und Freunde. Dadurch seien "Informationen, Teilinformationen und Gerüchte" an die Öffentlichkeit gekommen, die für Wirbel gesorgt hätten.
Gesprächsstoff gab es auch, als Lewandowski zu seinen letzten drei Trainingseinheiten vor dem Barcelona-Wechsel zu spät am Münchner Vereinsgelände erschien.
Wesołek ordnet das so ein:
Neben Lewandowski spricht Wesołek auch über das Verhalten der Bayern-Verantwortlichen. Lange bestand Vorstandschef Oliver Kahn darauf, dass Lewandowski seinen Vertrag (bis 2023) erfüllen müsse. Der polnische Top-Stürmer hatte darauf gehofft, dass die Bayern ihn aus Dankbarkeit für die gemeinsamen Erfolge früher ziehen lassen.
Wesołek erklärt das Münchner Verhalten:
Wesołek führt dazu aus, dass niemand erwartet habe, so viel Geld für einen 33-jährigen Spieler zu bekommen, der nur noch eine Vertragslaufzeit von einem Jahr habe. Der Journalist stellt aber auch klar, dass der Wechsel am Ende drei Gewinner habe: "Lewandowski, weil er sein neues Abenteuer beginnen kann. Barcelona, weil sie einen Top-Stürmer bekommen und Bayern, weil sie so viel Geld verdienen."
Lange bevor ein Wechsel von Lewandowski im Raum stand, wollten die Münchner mit dem Stürmer verlängern. Sportvorstand Hasan Salihamidžić soll einen Vertrag bis 2024 angeboten haben – zu kurz für Lewandowski. Die Devise in München ist klar: Bei Spielern über 30 Jahren, werden kaum Verträge über einen größeren Zeitraum als zwei Jahre abgeschlossen.
Laut "Sport1" unterschrieb Lewandowski nun in Barcelona für drei Jahre bis 2025 mit der Option auf ein weiteres Jahr. Die "Bild" berichtet sogar von einer Laufzeit bis 2026.
Wesołek sagt:
Während in München bei älteren Spielern immer mit Vorsicht verlängert wird (auch Thomas Müller und Manuel Neuer unterschrieben bis 2024), traut Wesołek seinem Landsmann zu, noch lange auf Top-Niveau zu spielen:
Lewandowski selbst sagte im Bild-Interview, dass er sich körperlich und mental sehr stark fühle und Barcelona das genauso sehe. "Ich weiß noch nicht, wie es dann weitergeht, aber selbst 2026 muss nicht Schluss sein. Ich will noch viele Jahre auf Top-Niveau spielen", ergänzte der Pole.
Auf der einen Seite steht also die Frage, wie lange Lewandowski unverletzt bleibt und auf Top-Niveau abliefern kann. Auf der anderen Seite muss der Pole zeigen, wie schnell er Barcelona wieder in die sportliche Erfolgsspur bringen kann.
In den vergangenen drei Jahren verpasste Barcelona jeweils die spanische Meisterschaft. Eine ähnlich lange Durststrecke hatten die Katalanen zuletzt zwischen 2000 und 2004. Dazu kam das blamable Ausscheiden in der vergangenen Saison in der Gruppenphase der Champions League. In dieser Liga erreichte Barcelona zuletzt 2015 das Finale.
Wegen des sportlichen Misserfolgs und der geschätzt über eine Milliarde Euro Schulden soll Lewandowski für Barcelona der neue Erfolgsgarant werden. Denn: Titel garantieren auch wieder Erfolgsprämien für den Verein, erhöhen die Einnahmen auf dem TV-Markt und können auch zu höheren Sponsoreneinnahmen führen.
Wesołek traut Lewandowski zu, dass er Barcelona wieder an die spanische und europäische Fußballspitze schießen kann: "Er wird einen großen Einfluss auf Barcelona haben."
Neben der längeren Vertragslaufzeit und einer Veränderung des Wohnorts sieht Wesołek aber noch weitere Gründe, die für den Lewandowski-Wechsel sprechen: "Ich glaube, er war von Bayern gelangweilt. Er hat achtmal in Folge die Bundesliga gewonnen und wollte etwas Neues sehen, mit neuen und jungen Spielern spielen." Diese Herausforderung habe er nun in Barcelona gefunden.
Nach Wesołeks Wahrnehmung kommt der Wechsel bei einem großen Teil der polnischen Bevölkerung gut an. Für Fußball-Fans und die Medien sei es eine große Sache, Lewandowski in Barcelona spielen zu sehen. "Fans aus ganz Polen werden in Flugzeuge steigen, um ihn im Camp Nou spielen zu sehen", erklärt Wesołek.