Noch vor einer Woche gab sich Bayern-Boss Oliver Kahn schwer beeindruckt von Manuel Neuer. "Ich war schon erstaunt, wie reflektiert er die ganze Situation wahrgenommen hat", lobte der Vorstandsvorsitzende die Reaktion seiner langjährigen Nummer eins auf die Verpflichtung eines zweiten Weltklasse-Keepers. "Das zeigt einfach, was er für ein großartiger Charakter ist."
Nachdem Neuer mehr als elf Jahre lang der sichere Rückhalt des FC Bayern gewesen ist, war nicht abzusehen, dass er die Verpflichtung von Torwart-Konkurrent Yann Sommer einfach so schlucken würde. Insbesondere, da Bayern ja auch auf den langjährigen Neuer-Vertreter Sven Ulreich hätte vertrauen können.
Neuer akzeptierte aber die Verpflichtung, nach seinem Ski-Unfall konnte Neuer sich immerhin nicht beschweren. Dass dann aber auch noch Towarttrainer und Neuer-Vertrauter Toni Tapalović gefeuert wurde, wollte der DFB-Keeper nicht unkommentiert lassen.
In einem Interview mit der "Süddeutschen" – das nicht mit den Vereinsbossen abgesprochen war – ließ Neuer seinen Emotionen freien Lauf. "Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen [...] Das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe", kommentierte er die Entlassung seines Torwarttrainers.
Nun klingen die Aussagen der Bayern-Bosse über ihren Keeper deutlich anders: Mit seiner öffentlichen Kritik werde Neuer "weder [sich selbst] als Kapitän noch den Werten des FC Bayern gerecht", poltert Kahn. Neuer habe "persönliche Interessen über die des Klubs gestellt", wirft ihm Sportvorstand Hasan Salihamidžić vor.
Während es zwischen Neuer und den Vereinsbossen brodelt, gilt es für Übungsleiter Julian Nagelsmann, die Ruhe in der Mannschaft zu bewahren. Dafür muss er dem im Team hochgeschätzen Nationalkeeper auch die Möglichkeit zur Rehabilitation lassen.
"Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch und meine Tür ist nicht geschlossen", zeigte er sich auf der Pressekonferenz vor dem Wolfsburg-Spiel zu Gesprächen bereit. Auch wenn Nagelsmann selbst natürlich "einen anderen Weg gewählt hätte." Wie der "Kicker" berichtet, soll das Verhältnis zwischen Neuer und Nagelsmann jedoch schon vor dem Ski-Unfall "arg belastet" gewesen sein.
Dem Bericht zufolge stört sich Neuer daran, dass Nagelsmann bei der Vermittlung seiner Spielideen auf eine enge Zusammenarbeit mit Vize-Kapitän Joshua Kimmich setzt, während der Trainer das Gespräch mit Neuer eher selten sucht.
Zudem bemängelt Neuer wohl die Kompromisslosigkeit in der Personalpolitik seines Trainers. Dass auch verdiente Vereinsmitarbeiter um ihre Position fürchten müssen, entspräche nicht den Werten des Klubs, der sich selbst gern als Bayern-Familie beschreibt.
Zu den abgesägten verdienten Mitarbeitern zählt nun auch Torwarttrainer Tapalović. Bei seiner Entlassung hatte sich die Geschäftsführung auf "Differenzen im Trainerteam" berufen. Laut "Kicker" genoss der 42-Jährige jedoch den Respekt von Team und Staff. Reibungspunkte gab es demnach hauptsächlich mit Trainer-Chef Julian Nagelsmann.
Dem Bericht zufolge hegt Neuer zwar keine Pläne, den FC Bayern im Sommer zu verlassen oder seine Karriere zu beenden. Gleichzeitig scheint Nagelsmanns Macht im Verein jedoch mehr und mehr zu wachsen. Da Salihamidžić seinerzeit eine Rekordablöse von bis zu 25 Millionen Euro in Nagelsmann investierte, muss der Sportvorstand hoffen, dass sich der 35-Jährige als erfolgreiche Trainer-Lösung entpuppt.
Daher ist Neuers Zukunft beim Rekordmeister wohl in erster Linie von Nagelsmanns Gnaden abhängig. Dass sich der Trainer gesprächsbereit zeigt, ist hilfreich. Letztendlich wird der Coach seine Aufstellung jedoch vom Sportlichen abhängig machen, Neuers Verdienste für den Verein dürften nachrangig sein.
Die Möglichkeit, dass Nagelsmann auch nächste Saison Yann Sommer im Team haben will, ist daher durchaus gegeben – ob sich Neuer diesem Konkurrenzkampf stellt, ist dagegen mehr als fraglich.