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Fußball-Kolumne

Fußball und Sexismus – gilt Moral nicht für Funktionäre?

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Jennifer Hermoso fordert Konsequenzen für Spaniens Fußball-Präsident Luis Rubiales, der sie bei der Siegerehrung der WM auf den Mund küsste.Bild: Imago Images / Zuma Wire
Fußball-Kolumne

Sexismus und die Rechtfertigung im Fußball – gilt Moral nicht für Top-Funktionäre?

In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
24.08.2023, 11:54
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Wenn es um die Moral geht, wird im Fußball zuweilen mit zweierlei Maß gemessen. Auch wenn die Regeln grundsätzlich für alle gelten, gibt es für die Bosse in den Chefetagen vielsagende Ausweichmöglichkeiten.

Beim DFB wurde im Sommer 2021 sogar einmal die Ethikkommission abgeräumt, was den damaligen Interimspräsidenten Rainer Koch vorerst aus der moralischen Patsche geholfen hatte. Ein Jahr zuvor schützten die Top-Funktionäre des Deutschen Fußballs den Milliardär Dietmar Hopp vor den Schmähungen der Fans. Sie bauten dabei auf den Drei-Stufen-Plan der Uefa, der eigentlich zum Schutz der Spieler vor Rassismus entwickelt wurde (dafür aber in der Bundesliga noch nie zur Anwendung kam).

Fanforscher Harald Lange.
Fan-Forscher Harald LangeBild: Uni Würzburg
Über den Autor
Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg. Er leitet den Projektzusammenhang "Fan- und Fußballforschung" und gilt als einer der bekanntesten Sportforscher in Deutschland. Der 55-Jährige schreibt und spricht täglich über Fußball, auch in seinem Seminar "Welchen Fußball wollen wir?"

Am 29. Februar 2020 erfolgte im Spiel zwischen Hoffenheim und den Bayern ein Quasi-Spielabbruch, nachdem der Mäzen von den Bayernfans übel verschmäht wurde. Damals zeigte Karl-Heinz Rummenigge Solidarität und spazierte Hand in Hand mit Dietmar Hopp über das Spielfeld. Dafür bekamen die beiden von der "Sport Bild" den Award "Geste des Jahres".

Am vergangenen Montagabend verlieh die "Sport Bild" noch einen Ehrenpreis an Rummenigge und der ergriff die Gelegenheit, um sich erneut mit einem der mächtigsten Fußballbosse Europas solidarisch zu zeigen. Er verteidigt den ekelhaften sexistischen Übergriff des spanischen Fußballpräsidenten Luis Rubiales, mit dem er gemeinsam in der Uefa–Exekutive sitzt. Dieser hatte sich während der Siegerehrung nach dem WM-Endspiel gegenüber der kompletten spanischen Frauen-Nationalmannschaft übergriffig gezeigt und eine Spielerin gegen ihren Willen auf den Mund geküsst.

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Der Moment, der für Aufsehen und Unverständnis gesorgt hat: Rubiales küsst Jennifer Hermoso auf den Mund.Bild: Imago Images / Noe Llamas

Für Rummenigge kein Problem: "Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay." Diese Erklärung ist genauso peinlich wie das Schweigen der deutschen Fußballbosse zu diesem Vorgang und seiner Rechtfertigung durch einen Aufsichtsrat des FC Bayern.

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Wo seid ihr und wo ist eure Stimme, wenn jemand aus dem Kreis der Topfunktionäre Sexismus gegen Fußballerinnen rechtfertigt? An der Fußballbasis, in den Medien und der Politik ist die Empörung zurecht riesengroß. Die spanische Regierung fordert sogar den Rücktritt dieses unsäglichen Fußballfunktionärs und am Freitag kommen die Spitzen des spanischen Fußballverbandes zu einer außerplanmäßig einberufenen Sitzung zusammen, um Konsequenzen aus dem unsäglichen Treiben zu ziehen.

Die Sachlage ist klar. Nationalspielerin Jennifer Hermoso hat nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters gemeinsam mit der Spielerinnengewerkschaft "beispielhafte Maßnahmen" gegen den Präsidenten des spanischen Fußballverbands (RFEF), Luis Rubiales, gefordert: "Wir setzen uns dafür ein, dass Handlungen wie die, die wir gesehen haben, niemals ungestraft bleiben, dass sie sanktioniert werden und dass beispielhafte Maßnahmen ergriffen werden, um Fußballerinnen vor Handlungen zu schützen, die wir für inakzeptabel halten."

"Weshalb fällt dem DFB Präsidenten Bernd Neuendorf nicht mehr ein als zu sagen: 'Ich glaube, ich hätte nicht so gehandelt.' Und was sagt der große FC Bayern?"

Wie ist es um ihren moralischen Kompass bestellt, Herr Rummenigge? Was sind eigentlich die Maßstäbe der "Sport Bild", wenn sie Sportler und Funktionäre mit ihren Preisen auszeichnet? Haben die "Sport Bild Awards" mit so einem Preisträger an Wert verloren? Was sagen die vielen Promis, die am Montag mit Rummenigge gefeiert haben? Weshalb fällt dem DFB Präsidenten Bernd Neuendorf nicht mehr ein als zu sagen: "Ich glaube, ich hätte nicht so gehandelt." Und was sagt der große FC Bayern?

Offiziell hört man aus den Kanälen an der Säbener Straße in München nichts zur Causa Rummenigge. Dabei ist man beim FC Bayern gerade sehr emsig und hat ein wirklich gutes Projekt zum Thema Awareness aufgelegt. Unter diesem Begriff verstehen wir einen wertschätzenden und respektvollen Umgang miteinander. Wir achten auf uns und unsere Mitmenschen, um respektlose oder diskriminierende Verhältnisse zu minimieren.

ARCHIV - 31.01.2022, Bayern, Gr�nwald: Karl-Heinz Rummenigge, ehemaliger Fu�ballspieler und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der FC Bayern M�nchen AG, aufgenommen bei einem Gespr�ch mit der Deutschen  ...
Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge verteidigte den spanischen Verbandspräsidenten.Bild: dpa / Sven Hoppe

Wenige Stunden nach dem Rummenigge-Fauxpas, am Dienstag, wurde über die Homepage des FC Bayern verkündet, dass der Verein gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt und dem Fanprojekt München eine Awareness-Initiative unter dem Begriff "Obacht" ins Leben gerufen hat, die dazu beitragen soll, dass in der Allianz Arena eine Kultur des Hinsehens geschaffen wird.

Fans, Spieler, Mitarbeiter und Gäste des Klubs sollen Haltung zeigen und aufeinander achtgeben. Sie sollen aufstehen und andere in Schutz nehmen. Auch wenn es um das Thema Sexismus und andere Übergriffe geht. Dadurch sollen sich alle Menschen bei den Heimspielen noch sicherer fühlen.

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Michael Diederich, der sich für dieses Projekt verantwortlich zeigt, bringt das Ziel auf den Punkt: "In der FC Bayern-Familie geht es um Zusammenhalt: Jeder Mensch soll sich willkommen, wohl und sicher fühlen. Grenzüberschreitendes, übergriffiges und diskriminierendes Verhalten wird bei uns nicht toleriert."

Damit schließt sich der Kreis in diesem Text und ich frage die Fans, Mitarbeiter, Funktionäre und Sponsoren des FC Bayern ob die Ziele ihres neu aufgelegten Awareness-Programms wirklich für alle gelten sollen. Oder gibt es für den mächtigen Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge eine Ausnahme?

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Die Trainer-Suche beim FC Bayern ist seit Wochen das bestimmende Thema rund um den Klub. Durch den Einzug ins Champions-League-Halbfinale und die zahlreichen Absagen der Wunsch-Kandidaten der Bayern-Bosse wurden schnell Wünsche und Forderungen laut, doch mit Thomas Tuchel weiterzumachen.

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