Die am häufigsten gestellten Fragen zur laufenden Fußball-Europameisterschaft betreffen den Vergleich mit dem sogenannten Sommermärchen, der WM 2006, die einst von Franz Beckenbauer ins Land geholt wurde.
Dieser Maßstab liegt wie ein Schatten über dem Turnier, denn im Grunde war jedem Fußballfan von vornherein klar, dass diese Europameisterschaft in allen Punkten anders verlaufen wird.
Der EM fehlt der Glamour von 2006. Statt Beckenbauer war es diesmal Reinhard Grindel, der als DFB-Präsident die EM ins Land holte, um kurze Zeit später wegen einer Luxusuhr vom Amt zurückzutreten.
Beckenbauer war damals mit dem Hubschrauber von Spiel zu Spiel geflogen, um der Fußballwelt seine Ehre zu erweisen. Damals spielte die CO₂-Bilanz keine Rolle. Heute ist sie Markenzeichen dieser Europameisterschaften. Turnierdirektor Philipp Lahm fährt deshalb mit der Bahn und kommt zu spät zum Spiel.
Vor 18 Jahren waren die Zugverbindungen pünktlich, aber sie wurden nicht für die große PR-Kampagne gebraucht. Heute fahren die Züge der Deutschen Bahn zu spät oder fallen aus und wenn sich Teams wie die Schweizer oder Belgier dennoch trauen Bahn zu fahren, werden sie medial gefeiert.
In diesem Licht hat die "Süddeutsche Zeitung" vor wenigen Tagen eine interessante Enthüllung bekannt gegeben: DFB-Präsident Bernd Neuendorf nutzte in der Vergangenheit offensichtlich Privatjets für einige seiner Reisen.
Die sind verschwenderisch luxuriös und teuer, denn man kann von bis zu 6000 Euro pro Flugstunde ausgehen. Außerdem wirken sie als Schlag ins Gesicht derer, die bei ihrem Reiseverhalten auf die Klimabilanz oder zumindest auf die PR-Kampagne von Uefa und DFB achten.
Gleichzeitig liefert der DFB-Präsident durch diesen Hang zum Luxus ein weiteres Bild zur Maßlosigkeit führender Fußballfunktionäre. Der "SZ"-Journalist Thomas Kistner bilanziert deshalb, Neuendorf habe sich nach nur wenigen Jahren seiner Tätigkeit als Fußballfunktionär auf den "Kaviaretagen des internationalen Sportfunktionärstums" eingelebt.
Neben der Nutzung von Privatjets stößt an dieser Stelle auch das Jahresgehalt des DFB-Präsidenten auf. Durch Beschluss des DFB-Bundestags im März 2022 war es möglich, die ohnehin üppige Präsidentengage für das höchste "Ehrenamt" im Land von 265.000 Euro auf einen Betrag von knapp 500.000 Euro beinahe zu verdoppeln. Knapp die Hälfte davon wird übrigens direkt von der Fifa überwiesen.
Interessanterweise verweigert der DFB Auskunft darüber, welche Kosten hier anfallen und wer die begleichen muss. Möglicherweise wurden die Flüge auch von Dritten spendiert, was Fragen zur Compliance aufwerfen würde. Schauen wir mal, was in den kommenden Monaten noch so ans Licht der Öffentlichkeit gelangt und welche Konsequenzen daraus beim DFB gezogen werden.
Diese Doppelmoral passt allerdings ausgezeichnet zum Begriff des "Sommermärchens", denn in jedem Märchen gibt es Schurken und Bösewichte. Übertragen auf den Fußball während und vor der WM 2006 waren es Vorwürfe um Bestechungen und Vorteilsnahmen im Zuge der Vergabe des Turniers.
Diese Ungereimtheiten wurden weder vom DFB aufgeklärt, noch sind sie juristisch sauber aufgearbeitet, unter anderem, weil ein entsprechender Prozess in der Schweiz wegen Verjährung geplatzt ist.
Jedes Märchen transportiert eine andere Handlung. Beim EM-Sommermärchen 2024 geht es auch um Fußball und eine ausgelassene Partystimmung. Gleichzeitig aber auch um die Doppelmoral, die uns in Sachen CO₂-Bilanz und Reiseverhalten von Fans, Spielern und Funktionären vorgeführt wird.