Der Spielraum für Fußballgötter wird enger. Aber es gibt sie trotzdem noch. Spieler, die Übermenschliches leisten und möglich machen. Trainer mit seherischen Fähigkeiten. Geniale Spielzüge und Ergebnisse, die darauf verweisen, dass neben all dem Glück und Pech im Spielverlauf so etwas wie eine gottesgleiche Fügung das jeweilige Ergebnis beeinflusst.
Der Bezug zwischen Fußball und Religion ist offensichtlich. Zuweilen muss das Spiel auch als Ersatzreligion herhalten und den Menschen Zuversicht und Halt geben. Die Hoffnung auf den nächsten Sieg, das Bangen um den Klassenerhalt und die Sehnsucht nach der Meisterschaft verlangen geradezu nach einem Fußballgott, der hin und wieder in Erscheinung tritt, und meiner Mannschaft einen längst verdienten Sieg beschert.
Die Dramatik und Offenheit des Spielausgangs sind die eigentlichen Voraussetzungen für das Gedeihen religiöser Fußballfantasien. Wenn in der Nachspielzeit noch ein abgefälschter Schuss den Weg ins Tor findet oder der gerade eingewechselte "Joker" gleich mit dem ersten Ballkontakt das entscheidende Tor erzielt, dann neigen Fußballfans dazu, eine übermenschliche Instanz für dieses Geschehen verantwortlich zu machen.
Übrigens nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Spieler selbst. So bezeichnete Diego Maradona seinen beim WM Spiel 1986 gegen England per Hand erzielten Treffer als "la mano de Dios" (Hand Gottes).
Angesichts der allgegenwärtigen Präsenz dieser übermenschlichen Dimension liegt es auch nahe, dass die dominanten Akteure auf und neben dem Spielfeld wie Götter verehrt werden und entsprechende Spitznamen verpasst bekommen. Bei den Fans der Frankfurter Eintracht gilt Alex Meier nach wie vor als "Fußballgott". In England kennen wir David Beckham als eine hochspezialisierte Version dieser fußballerischen Qualität, indem man ihn dort "Flankengott" genannt hat.
Selbst Oliver Kahn schaffte es in seiner eigenwilligen, kraft- und kampfbetonten Art als Torwart zu solch einem Spitznamen. Fans nannten ihn ehrfurchtsvoll den "Titan". In der griechischen Mythologie waren die Titanen nicht nur Riesen in Menschengestalt, sondern auch ein mächtiges Göttergeschlecht.
Und weil wir gerade bei den alten Griechen sind: Der deutsche Trainer Otto Rehhagel, der die griechische Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2004 völlig überraschend zum Titel führte, wurde nach dem Titelgewinn von vielen Fußballexperten anerkennend als Otto Rehakles umbenannt und damit in die Nähe des Zeus Sohnes Herakles (Herkules) katapultiert.
Solche Bezüge sind natürlich allesamt nur Metaphern und sie werden in der Theologie belächelt und kritisiert. Gleichwohl handelt es sich hierbei um ein spannendes Phänomen, das auch sehr viel mit Aberglauben gemein hat. Fußballfans und Spieler sammeln Reliquien und pflegen bestimmte Rituale, um ihren "Glauben" zu unterstützen und um das Spielergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen.
In der laufenden Saison der Fußball-Bundesliga ist der Kampf um die Meisterschaft und den Pokaltriumph erfreulicherweise kurz vor dem Saisonfinale wieder einmal offen. So sehr, dass viele Fans und Sportexperten getrost davon ausgehen, dass der Fußballgott endlich wieder mitmischt und den reichen Klubs der Liga Grenzen aufzeigen wird. Deshalb wird die Frankfurter Eintracht im Pokalfinale gegen RB Leipzig eine exzellente Außenseiterchance haben und auf den Fußballgott und den Support ihrer Fans vertrauen können.
Das weitaus größere Fußballwunder brauchen hingegen die Dortmunder, wenn sie die Bayern am letzten Spieltag tatsächlich noch abfangen und deren Titelserie abreißen lassen wollen. Ich halte die Daumen gedrückt, denn ich mag die Chance des Außenseiters und Underdogs. Auch deshalb, weil es gut tut, dass im Fußball nicht nur Wissenschaft, Technologie und Ökonomie für den Erfolg stehen, sondern dass zuweilen auch Überraschungen geschehen und Außergewöhnliches passiert.
Die Fußballgötter finden jedenfalls in diesem kreativen, offenen und sprunghaften Spiel mit dem Ball immer wieder Gelegenheit, sichtbar zu werden. Nach zehn langweiligen Jahren der Abo-Meisterschaften des FC Bayern ist das womöglich die beste Errungenschaft der aktuellen Saison. Lasst uns die letzten Spiele der Saison in diesem Sinne genießen: Alles ist noch möglich und ich halte für jeden die Daumen, der an Wunder und Fußballgötter glauben mag.