Auf einem Fußballplatz ist kaum jemand so starken Anfeindungen ausgesetzt wie die Schiedsrichter:innen. Treffen sie eine Entscheidung, stehen sie meist im Mittelpunkt der Aufregung. Nicht selten stürmen beide Mannschaften auf sie zu, am Spielfeldrand reden die Trainer:innen auf sie ein und von den Tribünen werden sie mit Schmähgesängen überzogen.
Der Druck auf die Unparteiischen ist im Fußball so groß, dass er inzwischen schon auf die abfärbt, die die Entscheidungen der Referees lediglich erklären. In Deutschland ist dafür der Fußball-Podcast "Collinas Erben" bekannt. Die Betreiber haben es sich zur Aufgabe gemacht, das aktuelle Fußballgeschehen aus der Perspektive der Schiedsrichter:innen zu beleuchten.
Doch aufgrund der massiven Anfeindungen am Wochenende hat sich "Collinas Erben" jetzt von Twitter zurückgezogen. "Wir sind so etwas durchaus gewöhnt, Fußball ist emotional, sowas muss man aushalten. Aber was gestern war, mit über 200 Beleidigungen, Schmähungen, Herabwürdigungen – da muss man sich selbst schützen", sagte Mitbegründer Alex Feuerherdt am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Der Twitter-Account ist inzwischen offline.
Auslöser der heftigen Reaktionen war eine Einschätzung von "Collinas Erben" zu einem Handspiel im Bundesliga-Spiel Hertha BSC gegen Bayer Leverkusen (2:2). Der Herthaner Jean-Paul Boetius hatte beim Stand von 2:2 Leverkusens Verteidiger Odilon Kossounou den Ball an die Hand geschossen. Schiedsrichter Benjamin Brand entschied nicht auf Strafstoß, weil er kein absichtliches Handspiel erkannt hatte. Auch der Videoassistent schritt nicht ein.
"Wenn man regeltechnische Erklärungen anbietet, ist man bei Twitter zu Kürze gezwungen, das kann dann schwierig werden. Twitter ist dann schnell erhitzt", erklärte Feuerherdt. Die gestrige Dimension sei aber neu gewesen, sagte er und ließ offen, ob der Account jemals wieder aktiviert wird. "Jetzt geht das Ganze erst mal in die Pause. Ob es weitergeht und wann, wissen wir noch nicht."
Der Rückzug löste in der deutschen Fußball-Fachwelt eine Welle der Entrüstung aus. Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich teilte auf Twitter vor allem gegen die aus, die die Hass-Nachrichten gegen "Collinas Erben" verfasst hatten. "Auf welcher Basis nehmt ihr euch das Recht heraus, so mit Menschen umzugehen? Stadion oder Internet, wie wenig reflektiert kann man sein?", fragte er bei Twitter. "Collinas Erben" habe seit langer Zeit wertvolle Arbeit geleistet, für die jeder Fan dankbar sein sollte.
Auch andere prominente Stimmen meldeten sich zu Wort. Für Max-Jacob Ost, der bekannt ist für seinen Fußball-Podcast "Rasenfunk", erklärt der Gegenwind, den "Collinas Erben" erhalten hätten, "warum DFB und Schiedsrichter von wenigen Ausnahmen abgesehen diesen Job nicht machen wollen".
Taktik-Experte Tobias Escher, der unter anderem die Youtube-Fußballshow "Bohndesliga" mitmoderiert, berichtet von eigenen Erfahrungen mit Online-Hass. Er könne den Rückzug von "Collinas Erben" darum "voll und ganz" verstehen, schreibt er bei Twitter. Er frage sich aber, "woher das Verlangen rührt, den Überbringer der Botschaft zu erschießen".
(nik/ mit Material von dpa)