"Glaubt ihr, dass Özil extra so schlecht gespielt hat?", ist eine Frage auf gutefrage.net, die seit dem Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft am Mittwochabend trendet. Und diese Frage ist Sinnbild für eine Özil-zentrische Frustration in Deutschland, die völliger Schwachsinn ist – aber leider sehr verbreitet.
"Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für @MesutOzil1088 und den ein oder anderen, aus der Nationalmannschaft zurückzutreten", verstieg sich ProSieben in einer vielkritisierten Aufforderung.
Natürlich pöbelte auch Rechtsaußen gegen Özil. AfD-Bundestagsabgeordneter Jens Maier schrieb auf Twitter: "Ohne Özil hätten wir gewonnen."
Der Frust zeigte sich nicht nur im Netz, sondern schon wenige Minuten nach dem 0:2 gegen Südkorea.
Als Özil den Platz verlassen will, gerät er am Kabineneingang in ein Wortgefecht mit einigen deutschen Zuschauern. Er gestikuliert wild in Richtung der wütenden Fans.
Der aufgebrachte Özil kann erst von Torwarttrainer Andy Köpke und die Fans von einem Bodyguard beruhigt werden. Was genau die Fans zu ihm riefen, ist nicht bekannt.
Die Häme und die Härte, mit der Özil kritisiert wird, ist schon krass genug. Der Vorwurf, er handle absichtlich – mehr als problematisch.
Tatsächlich war das Spiel keine Glanzleistung. Das fand sich so auch in der Bewertung der Berichterstattung wieder. Sport1 gab ihm die Note 6, die Bild gab erst gar keine Noten, "weil es keine Noten gibt, die dieses Debakel beschreiben könnten". Özil war kein Lichtblick, doch er war sicherlich nicht Deutschlands schlechtester Spieler – im Gegenteil.
Mit sieben Torschuss-Vorlagen war Özil der aktivste Vorbereiter. Er hatte die zweitmeisten Ballkontakte, spielte nach Kroos die zweitmeisten Pässe (95). Die Özil-Flanke auf Mats Hummels war eine der besten Situationen im Spiel und hätte zum 1:0 führen müssen. "Den einen Kopfball in der 68. Minute muss ich machen", sagte Hummels nach dem Spiel. (“whoscored”/”Huffpo”)
Auch Özils Zweikampfquote war mit 62,5 Prozent nicht sonderlich schlecht und ein Mittelwert im deutschen Team. (Spiegel Online)
So weit, so unsportlich.
Was Özil außerdem immer noch anhaftet: das Treffen mit Erdogan. Das Foto von ihm, Teamkollege Ilkay Gündogan und dem türkischen Präsidenten sorgte für massive Kritik. Das brachte zusätzliche Unruhe ins Team bis hinein ins Trainingslager. Sind die beiden überhaupt noch deutsch? Unterstützen sie Erdogan? Solche Fragen wurden vor der WM mit so viel Wut gestellt, dass selbst die Bundeskanzlerin die beiden schließlich in Schutz nahm, obwohl die Kritik an den Fotos durchaus berechtigt war.
Özil äußerte sich – anders als Gündogan – nicht zu dem umstrittenen Treffen. Das dürfte ihn nicht gerade bei denen beliebter gemacht haben, die ihn so scharf angingen. Im Gegenteil: Als Özil nun wie gewohnt die deutsche Nationalhymne nicht mitsang, witterte anscheinend nicht nur Rechtsaußen einen Verrat am deutschen Team und am deutschen Land.
Was sicherlich in die Art und Weise mit reinspielt, wie über Özil gesprochen wird: Weltmeister Özil ist ein brillanter Fußballer, von dem andere Dinge erwartet werden, als von seinen Mitspielern.
Kein anderer deutscher Nationalspieler hat mehr Tore vorbereitet (39) als er. Er ist der einzige Profi, der in den drei stärksten Ligen Europas (Bundesliga, Primera División und Premier League) der beste Vorlagengeber der Saison war. Zeit Online schrieb deswegen zu recht über ihn: "Özil beherrscht etwas, das seine Mitspieler nicht können, auch an schlechten Tagen."
Spielt er mal schlecht, wird sofort über seine Ausstrahlung und seine Körperhaltung diskutiert. Ihm wird nicht ein schlechtes Spiel eingeräumt.
Der DFB als Verband und das Team der Nationalmannschaft müssen sich nach dem schlechtesten WM-Ergebnis seit 1954 natürlich hinterfragen. Es braucht eine Analyse, die weit über die WM-Leistung hinausgehen muss. Das geht von der Ausbildung in den DFB-Leistungszentren, dem Generationswechsel innerhalb der A-Nationalmannschaft bis hin zur Außenkommunikation und dem Krisenmanagement des Verbandes. Jeder Stein muss umgedreht werden. Nur so kann bei der EM 2020 wieder nach dem Titel gegriffen werden.
Mesut Özil wegen eines dummen Schnappschusses neben dem Platz und einigen schlechten Spielen auf dem Platz als Bauernopfer für das WM-Aus verantwortlich zu machen, hilft da nicht nur wenig, es ist im schlimmsten Fall auch noch unterschwellig rassistisch.