In der Rückrunde erwartet Hertha BSC dasselbe wie in den vergangenen Jahren: der Kampf um den Klassenerhalt. Während das in den letzten beiden Spielzeiten jedoch jeweils einen Realitätscheck bedeutete – und sich die Berliner vorwerfen mussten, mit überzogenen Erwartungen in die Saison gegangen zu sein – ist der Verein diesmal vorbereitet.
"Wir werden alles dafür tun, in dieser Saison die Runde im Mai zu beenden und nicht im Juni", erklärte Vereinspräsident Kay Bernstein zuletzt die Zielsetzung. Heißt: Diesmal soll der Klassenerhalt ohne Relegationsspiel gelingen. Dafür müsste Hertha mindestens Platz 15 aus der Winterpause verteidigen.
Die Hertha-Bosse sind zuversichtlich, dass das klappt. Auch die Stimmung in der Mannschaft ist nach dem Trainingslager in Florida gut. Allerdings nicht, weil man den Ernst der Lage verkennt, wie Trainer Sandro Schwarz betont: "Wir sind uns bewusst, in welcher Tabellenregion wir uns befinden."
Der Tabellenregion entsprechend wurde das Team in Florida auf Fitness und Laufbereitschaft gedrillt. "Vor allem, was die physischen Komponenten betrifft, haben wir einen sehr guten Eindruck hinterlassen", zeigt sich Schwarz im Nachhinein zufrieden. Zudem hat der 44-Jährige mit seinem Team an der Spieleröffnung gearbeitet, um in der Offensive produktiver zu werden.
In den USA-Testspielen holte Hertha gegen kleinere Gegner drei Siege und ein Unentschieden, bei einem Torverhältnis von 19:3. "Da waren viele gute Sachen dabei. Gerade das Umschaltspiel war sehr gut", resümiert Geschäftsführer Fredi Bobic die Freundschaftsspiele.
"Vor allem haben auch unsere Offensivspieler viel getroffen, was sehr wichtig für ihr Selbstvertrauen ist", weiß Bobic. Die Offensive war nämlich in der Liga bisher erschreckend harmlos: In 15 Bundesliga-Spielen gelangen nur 19 Treffer.
Sinnbildlich dafür steht Wilfried Kanga: Der 24-jährige Mittelstürmer war im Sommer für vier Millionen Euro von den Young Boys Bern gekommen, konnte bisher aber erst zwei Pflichtspieltore beisteuern. Bei den Tests in Amerika kam er zweimal zum Einsatz, traf vier Mal und wird als großer Gewinner der Vorbereitung gehandelt.
Dass Kapitän Marvin Plattenhardt aufgrund einer fehlenden Covid-Impfung die Einreise in die USA verwehrt wurde (weshalb er elf Tage lang mit der U23 trainieren musste), trübt die Stimmung ein bisschen. Mit Chidera Ejuke verletzte sich zudem Herthas Top-Vorlagengeber am Knie, der 25-Jährige wird wohl mehrere Wochen lang ausfallen.
Verstärkungen wird es aufgrund des von Bobic ausgerufenen Spar-Kurses und der zuletzt extrem schlechten Geschäftszahlen (79,75 Millionen Euro Verlust in der Saison 21/22) nicht viele geben. Der Transfer von Florian Niederlechner (Augsburg) sollte eigentlich erst im Sommer stattfinden. Doch der FCA fand schnell Ersatz und die Vereine einigten sich auf eine Ablöse von 500 000 Euro. Somit geht der Angreifer schon in der Rückrunde auf Torejagd für die Hertha. Als Neuzugang für den Sommer steht zudem Fabian Reese (Kiel) fest.
Stattdessen will Bobic den Kader eher verschlanken und Großverdiener loswerden. Die "Bild" hatte zuletzt eine vermeintliche Abschussliste des Geschäftsführers veröffentlicht, wonach ganze 20 Profis gehen können.
Für Davie Selke (1. FC Köln) und Vladimir Darida (Aris Saloniki) hat der Hertha-Boss inzwischen Abnehmer gefunden. Eine Ablöse kassiert der Verein in beiden Fällen nicht; Bobic war wohl froh, die Spieler überhaupt von der Gehaltsliste zu kriegen.
Ohne teure Neuzugänge muss der Klassenerhalt also mit dem vorhandenen Personal gelingen. Im Gegensatz zu den Vorjahren – wo die Mannschaft stets bunt zusammengewürfelt schien – zeichnet sich inzwischen immerhin ein fester Mannschaftskern ab: Ganze acht Spieler bestritten mindestens 13 der bisherigen 15 Bundesliga-Spiele. Auf ihren Schultern wird auch der Abstiegskampf lasten.
Zudem sieht die Vereinsführung Anzeichen dafür, dass sich Hertha im Herbst unter Wert verkauft hat. "Die Leistungen haben nicht zum Punkteschnitt gepasst", erklärt Bernstein. Soll heißen: Hertha hat zwar in 15 Spielen nur 14 Punkte geholt, hatte aber in jedem Spiel seine Chancen und sich nie abschießen lassen.
Gerade im direkten Vergleich mit anderen Abstiegskandidaten wie Augsburg (2:0), Schalke (2:1), und Köln (2:0) erfüllten die Berliner ihre Pflichtaufgaben.
Mit einem wegweisenden "Sechs-Punkte-Spiel" startet Hertha nun auch in die Rückrunde: Am Samstag (15.30 Uhr) gastiert die Alte Dame beim VfL Bochum. Gewinnt Hertha, haben die Berliner erstmal ein Paar Punkte Luft nach unten. Verliert Hertha, zieht Bochum vorbei und Hertha rutscht in die Verfolger-Rolle.