Es ist ja nicht so, als hätten sie es seit 1966 nicht versucht: 1986 stoppte sie die Hand Gottes und ein Diego Maradona außer Rand und Band, 1990 das verflixte Elfmeterschießen und 2010 die deutsche Rache für Wembley: England sehnt sich seit über fünf Jahrzehnten nach dem zweiten WM-Titel, doch seit jeher decken sich Erwartungen und Erfolge nicht miteinander.
Nun soll der drittjüngste Kader der WM 2018 das schaffen, was weder Lineker, Shilton und Gascoigne noch Beckham, Lampard und Gerrard gelang: das Mutterland des Fußballs zur besten Mannschaft der Welt zu krönen. Und die Chancen stehen so gut wie noch nie – was insbesondere an der Lagerbildung im 23-Mann-Kader von Gareth Southgate liegt.
Der Coach, der im EM-Halbfinale 1996 den entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland verschoss, nutzt die Arbeit seiner Vereinskollegen wie kein anderer WM-Verantwortlicher für sich. Southgate gilt als analytischer Beobachter des Spiels, es vergeht kaum ein Wochenende, an dem er nicht mindestens auf einer Tribüne in Liverpool, Manchester oder London gesichtet wird.
Dabei knobelt er nicht aus, wie er die von ihm betrachteten Spieler im Sinne eines kleinstmöglichen gemeinsamen Nenners in sein System einbauen kann, sondern versucht eine Spielidee zu kreieren, die die Schnittstelle zwischen den taktischen Grundzügen darstellt, die die englischen Nationalspieler in ihren Clubs stark machen.
Dabei kommt Southgate entgegen, dass immer mehr englische Vereine – besonders die sogenannten Top 6 – auf einheimische Talente setzen. Allein die drei Clubs Manchester United, Tottenham Hotspur und Meister Manchester City stellen 13 der 23 für Russland berufenen Kicker. Southgate lässt Schlüsselspieler wie John Stones, Eric Dier, Dele Alli und Harry Kane die Rollen einnehmen, die sie auch bei den Lilywhites und den Skyblues bespielen.
Wird Lagerbildung üblicherweise kritisch betrachtet (wir erinnern uns nur an die nervtötenden BVB-Bayern-Diskussionen im DFB-Team), ist sie bei den "Three Lions" das mögliche Siegrezept. Das sieht selbst der ansonsten so mürrische Jose Mourinho so.
Für "The Special One", Trainer bei Manchester United, die vier Spieler im englischen WM-Kader vorzuweisen haben, zählt England zu den Titelkandidaten.
Die von "Mou" angesprochene Premier League gilt für Skeptiker jedoch als Hauptgrund, warum es nicht für ein englisches Sommermärchen reichen wird: keine Winterpause, zwei nationale Pokalwettbewerbe und gleich fünf Vereine, die in der Champions League vertreten waren, geben einem Großteil der Nationalspieler kaum Regenerationsmöglichkeiten.
Dazu bemängelt der ehemalige Kapitän Paul Ince einen Mangel an Führungsspielern – und argumentiert seine These damit, dass es sich bei den "Three Lions" 2018 um eine "ruhige Mannschaft" handle. ("Daily Mirror"/"fussball.news")
Es ist grotesk, dass Ince der Mannschaft Geschlossenheit und Ruhe vorwirft, zerfleischten in den vergangenen zwei Jahrzehnten die britischen Medien und Experten doch eben die Konfrontations- und Lebenslust der Generation Gascoigne und Rooney. Es scheint, als wüsste die englische Öffentlichkeit selbst nicht, was sie will: eine Mannschaft, die als solche agiert und Erfolg hat – oder einen Sauhaufen aus Lebemännern, die – wenn sie wollen – großen Fußball spielen kann. #gazza
In seiner Kritik vergisst Ince jedoch Spieler wie Liverpools Jordan Henderson, der das tonnenschwere Erbe Steven Gerrards als Captain der "Reds" angetreten ist und sich den Respekt der "Scousers" erarbeitet hat. Oder den 32-jährigen Ashley Young, der als er als Mittelstürmer keine Einsatzzeiten mehr erhielt, sich auf die Acht und dann auf die Linksaußenposition fallen lassen hat – und so seit sieben Jahren seinen Stammplatz bei Man Utd behauptet.
Nicht zu vergessen sind die beiden Defensivdenker John Stones und Eric Dier: Stones, für kurze Zeit der teuerste Verteidiger der Welt, wird nicht ohne Grund "Barnsley Beckenbauer" genannt: seine Ruhe und Präzision im Spielaufbau sind ebenso wichtig für das englische Spiel wie die Unnachgiebigkeit des Sechser-Rammbocks Eric Dier: Dier, aufgewachsen und ausgebildet in Portugal, verquickt Körperlichkeit mit iberischem "joga bonito" und spielt gerne den ein oder anderen 70-Meter-Diagonalpass auf seinen durchstartenden Teamkollegen Dele Alli.
Angesprochener Alli wiederum kann im Offensivdrittel auf seinen Tottenham-Knipser Harry Kane vertrauen. Seine Laufwege kennt Alli schließlich aus schon drei gemeinsamen Jahren bei den "Spurs" im Schlaf.
Diese Vetrautheit im englischen Team stimmt Gareth Southgate "vorsichtig optimistisch", wie er der BBC verriet. "Wir sind nur ein paar Kumpels, die zusammen wegfahren, um bei einer Weltmeisterschaft zu spielen", kokettiert er mit dem Erfolgsdruck. ("BBC"/"FAZ")
Es wäre die wohl englischste aller Erfolgsgeschichte, wenn dieser Haufen "mates" als Weltmeister nach Hause zurückkehren würden.