Der professionell betriebene Fußball gibt seit Jahren ein ambivalentes Bild ab. In Europa ist die Sportart "Nummer Eins" nach wie vor bestens geeignet, um ein Millionenpublikum prächtig zu unterhalten. Gleichzeitig tauchen im Wochentakt neue Machenschaften und Skandale auf, die am Image des Fußballs kratzen.
Dieses Spiel zwischen Licht und Schatten ist überaus ambivalent. Deshalb stellen sich mir mehrere Fragen: Welchen Fußball wollen wir? Wie soll er organisiert und von wem soll er kontrolliert werden? Vermag er das, was wir erwarten, zu leisten? Oder überfordern unsere Erwartungen die Möglichkeiten dieses Spiels?
Die überzogene Kommerzialisierung in der Bundesliga und anderen europäischen Ländern hatte während der vergangenen Jahre unter Fans und Zuschauern zu einem regelrechten Einbruch des Interesses und der Nachfrage geführt. Die Fans wandten sich millionenfach ab und fanden andere Themen für ihre Freizeitgestaltung.
Die anstehende WM in Katar wird von den Fans abgelehnt. Wir erwarten ein Zuspitzen des Protests bis zum Start dieses Turniers Mitte November und gehen von unterirdischen Einschaltquoten aus. Es sei denn, die Menschen würden die Übertragungen heimlich schauen.
Letzteres würde zur Scheinheiligkeit im Umgang mit dieser WM passen, denn inzwischen gehört es zum guten Ton, die WM zu kritisieren, Missstände anzuprangern oder Ausgleichszahlungen an die Hinterbliebenen der verstorbenen Bauarbeiter zu fordern, ohne selbst Geld in die Hand zu nehmen oder zum Boykott des Turniers aufzurufen. Im Gegenteil: Auch mit dieser WM lässt sich vortrefflich Geld verdienen.
Die Haltung des DFB gegenüber dieser WM wird von den Fans scharf kritisiert und trägt dazu bei, das Image der Chefetage des weltgrößten Fußballverbandes weiter zu beschädigen. Das ist erstaunlich, denn das Bild zum DFB war bereits zu Beginn des Jahres schwach.
Die DFB-Basisstudie der Universität Würzburg brachte den Vertrauensbruch zwischen den Top-Funktionären und den Fußballerinnen und Fußballern an der Basis ans Licht. Den meisten Freizeitfußballern ist demnach klar, dass es denen da oben nur um Macht und Geld und keinesfalls um die Entwicklung eines zeitgemäßen Fußballs geht. Aber: Was genau könnte das sein? Was ist zeitgemäß? Was ist wünschenswert und was trauen wir dem Fußball zu?
Diese Fragen verweisen letztlich alle auf die übergeordnete Frage nach den Werten des Sports bzw. des Fußballs. Auch dort existiert ein Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kultur. Auf der einen Seite stehen vor allem monetäre Werte, die sich in Euro und Dollar klar beziffern lassen. Auf der anderen Seite stehen ideelle Werte, wie z.B. Solidarität, Gerechtigkeit, Chancengleichheit, das Wettkampfprinzip, Fairplay oder Verbundenheit.
Die ideellen Werte, die wir auch dem professionellen Fußball zuschreiben, pumpen diesen Sport mit Erwartungen und Bedeutungen auf. Genau deshalb kann sich der Fußball auch als Medienereignis und Geschäft von allen anderen Unterhaltungsformaten und Freizeitmöglichkeiten abheben. Fußball ist so gesehen im wahrsten Sinne des Wortes "wertvoller". Gleichzeitig wächst aber auch unsere Enttäuschung, wenn diese Werte ins Abseits geraten und von wirtschaftlichen Interessen und Erwägungen dominiert werden.
Beispielsweise indem unsere Top-Funktionäre die Menschenrechtslage in Katar anprangern und gleichzeitig trotzdem dorthin fahren und Geld mit diesem Sportereignis verdienen. Oder wenn Fußballmanager den Einstieg von Investoren bei europäischen Spitzenclubs als Wettbewerbsverzerrung kritisieren und gleichzeitig in der Bundesliga der nationalen Konkurrenz die Talente wegkaufen.
Wenn das Spiel zwischen Kommerz und Kultur derart unausgeglichen verläuft, wird die Wertebasis des Fußballs ausgehöhlt. Im Ergebnis mag das dazu führen, dass der Fußball "wertlos" wird. Vor allem dann, wenn es am Ende nur noch um Geld und Macht geht.
Die Herausforderungen in diesem Spiel waren noch nie größer als sie zurzeit sind. Deshalb halte ich es nach wie vor für eine überaus spannende Aufgabe, über Werte im Sport bzw. im Fußball ins Gespräch zu kommen. Wir werden deshalb auch an dieser Stelle immer wieder über Ergebnisse unseres Projektseminars an der Universität Würzburg zum Thema "Welchen Fußball wollen wir?" und der daran gebundenen Wertedebatte berichten.