Die Tampa Bay Buccaneers haben es zum zweiten Mal geschafft und die Vince Lombardi Trophy errungen – das letzte Mal war vor knapp 18 Jahren. Für den Sieg sorgte vor allem die Quarterback-Legende Tom Brady. Für ihn war es bereits der zehnte Super Bowl als aktiver Spieler und er konnte den siebten Ring mit nach Hause nehmen. Brady hat als Schlüsselspieler die Teamleistung der Bucs um Klassen verbessert. Der Ex-Patriot ist bekannt dafür, mit rigorosem Training zu neuen Höchstformen aufzulaufen. Sein eiserner Wille hat dem 43-Jährigen geholfen, so lange an der Spitze zu spielen.
Für watson erklärt die Expertin für Sportpsychologie Miriam Kohlhaas, wie ein einzelner Spieler einen so großen Einfluss haben kann. Sie schildert, was einen Spitzenspieler wie Brady ausmacht und wie er durch seine Vorbildfunktion den Teamkollegen zum besseren Spiel verhilft.
Kohlhaas ist Teil des Netzwerks "die-sportpsychologen.de". Sie war schon für Proficlubs aus der ersten Fußball-Bundesliga tätig und hilft den Spielen durch mentales Training, ihre Bestform zu erreichen.
watson: Tom Brady im zehnten Finale seinen siebten Super Bowl gewonnen. Er wirkte ruhig und abgeklärt, während Kansas unkonzentriert schien. Wie schafft man es auf den Punkt genau fokussiert zu sein und jedes Mal eine Top-Leistung abzurufen?
Miriam Kohlhaas: Ich bin mir sicher, dass Tom Brady in den vielen Jahren, in denen er Hochleistungssport treibt, seine mentalen Tools nutzen gelernt hat. Er bringt sie ja auch in allen seinen Lebensbereichen unter. Auf die Frage, was sein Lieblingsessen ist, antwortet er mit der Gegenfrage: 'Zu welcher Uhrzeit?' Er isst keine Süßigkeiten. Er achtet penibel auf für Sportler wichtige Säulen. Das sind Ernährung, Ausdauertraining, Krafttraining, Techniktraining – und die letzte Säule ist für einen Profisportler immer auch mentales Training.
Ich bin mir sicher, dass Brady da in den vergangenen Jahren mindestens genauso hart an sich gearbeitet hat wie in allen anderen Bereichen seines Lebens auch. Mit diesen Tools schafft er es dann, total fokussiert auf sich selbst zu sein.
Viele Quarterbacks treffen in Drucksituationen schlechte Entscheidungen, auch Brady blieb nicht immer ganz fehlerfrei. In entscheidenden Momenten erlaubt er sich allerdings kaum Fehltritte. Kann man sowas trainieren?
Auf jeden Fall. Wettkampfvorbereitung ist ein großes Thema in der Sportpsychologie. Da gehen wir mit dem Athleten die letzten 24 Stunden vor einem Gameday durch und versuchen, Routinen zu erkennen, die gut sind. Man muss aber immer aufpassen, wenn Routinen wegfallen, damit man nicht unsicher wird und denkt: 'Oh Gott, meine rote Lieblingsunterhose ist nicht da, ich kann heute nicht spielen'.
Auch sollte man als Sportler wissen, wann man in den Fokus gehen muss. Das ist auch etwas, was junge Sportler lernen müssen: nicht zu früh in den Fokus hineinzugehen, sonst lässt die Anspannung mitten im Spiel nach. Man kann nicht über so eine lange Dauer in diesem Tunnel bleiben.
Für ein wichtiges Spiel wie den Super Bowl: Wann sollte man anfangen, sich zu fokussieren?
Das muss man mit dem Mentaltrainer vorher besprechen, denn da geht es um individuelle Erregungszustände. Da gibt es eine bekannte Kurve von Yerkes und Dodsen, die besagt, dass es nur ein kleines Fenster gibt, in dem Sportler ihre Höchstleistung abrufen können. Dafür darf der Erregungs- und Anspannungszustand eines Sportlers weder zu niedrig noch zu hoch sein.
Viele junge Spieler, die im Super Bowl stehen, sind zu angespannt, weil der Druck so hoch ist. Regulieren würde man sich mit Entspannungstechniken, autogenem Training, Atemübungen, kurzer Meditation, Musik, Videos und Bildern. Ist man aber zu wenig angespannt und versucht, vor dem Spiel ganz locker und cool zu sein, dann muss man sich vor dem Spiel aktivieren. Das funktioniert zum Beispiel durch körperliche Bewegung, einer Beschleunigung der Atmung oder aktivierende Bilder und Videos. Das ist das Allerwichtigste im Super Bowl: Man muss sein eigenes Erregungsniveau kennen und es halten können.
Inwieweit hilft es auch, dass Brady bereits sechs Super Bowls gewonnen hat und so neben dem absoluten Fokus auch eine gewisse Entspanntheit hinzukommt – nach dem Motto: „Ich muss es keinem mehr beweisen“?
Ich glaube nicht, dass er zu entspannt ist. Gestern hat er in einem Interview gesagt, er hätte seine Frau und Kinder 13 Tage vor dem Spiel gebeten, von Zuhause auszuziehen, damit er sich bestmöglich konzentrieren kann. Ich bin mir ganz sicher, dass ein mental so unfassbar starker Spieler wie Brady das niemals auf die leichte Schulter nimmt. Ganz im Gegenteil, ich denke, er nimmt das mindestens genauso ernst wie das erste Mal, als er im Super Bowl stand.
Der Super Bowl ist eines der größten Sportevents der Welt. Wie vermeidet man es da, sich nicht von Kleinigkeiten ablenken zu lassen? Es gab die Szene mit dem Trash-Talk vonseiten Tyrann Mathieu, wonach Brady sehr außer sich war. Hat das mit der jahrelangen Erfahrung zu tun, dass er danach trotzdem konzentriert weiterspielen kann?
Ich glaube, das sind so ganz seltene Momente, in denen man einen Spieler wie Brady wirklich aus der Fassung bringt. Das muss etwas relativ Schlimmes für ihn persönlich gewesen sein, was ihn getriggert hat. Er ist so ein erfahrener Spieler, dass er sich durch Trash-Talk – den wir in der Sportpsychologie auch gezielt nutzen – eigentlich nicht aus der Fassung bringen lässt.
Was ihn dann aber so besonders stark macht, ist, dass er danach nicht in diesem Gefühl verweilt, sondern sich unfassbar schnell wieder auf das fokussiert, was wichtig ist. Das macht aber einen Profi aus, dass er umschalten kann, wann er will.
Mit Brady kam der Heilsbringer nach Tampa, alle schwärmten von ihm und seiner Gewinnermentalität. Wie kann ein Mann die Einstellung eines ganzen Kaders verändern?
Ich glaube nicht, dass ein Spieler alleine eine Championship gewinnt, egal in welcher Sportart. Tom Brady reinzuholen war nicht das einzige, womit Tampa den Super Bowl gewonnen hat. Aber es war ein wichtiger Faktor. In den Vorberichten wurde immer gesagt, dass Brady den Druck und die Verantwortung den anderen Spielern in seinem Team abnehmen kann. Dadurch, dass er da ist und sagt 'Jungs ich hab‘ hier alles im Griff. Wir schaffen das, folgt mir einfach'.
Das macht einen Leadership-Spieler so besonders und dafür trainieren wir die Key-Spieler, wie einen Quarterback. Wie führe ich mein Team am besten? Was brauchen die Leute von mir? Brady ist ein fantastischer Spieler, aber er ist auch ein Rolemodel, dem alle folgen wollen.
Welche Eigenschaften braucht man, damit man ein Team prägen kann?
Ein Spieler muss als Vorbild vorangehen. Ich kenne kaum einen Spieler, der die Säulen des Sportes, die wir schon angesprochen haben, so diszipliniert auslebt wie Brady. Im Interview gestern hat er gesagt, der Tag nach dem Sieg sei der erste Tag der neuen Saison. Ein Mensch, der selbst so diszipliniert ist, ist einfach ein Vorbild.
Zudem ist er ein unheimlich erfahrener Spieler und hat gelernt, sich vor dem Spiel mit mentalen Tools in eine große Ruhe bringen zu können. Tom Brady gibt den Spielern um ihn herum große Sicherheit.
Bruce Arians gilt als eher lockerer Coach, der den Spielern Freiheiten lässt. War das gerade für Brady wichtig, nachdem er unter Belichick bei den Patriots immer harte Disziplin herrschte? Hat ihm diese Freiheit geholfen, um entspannter ins Spiel zu gehen?
Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der strenger zu Tom Brady ist als er selbst. Ich denke, es ist völlig egal, wer ihm was sagt, weil es niemals das Level erreicht, mit dem er sich selbst diszipliniert. Natürlich kann man einem erfahrenen Spieler wie Brady aus Trainersicht mehr Freiheiten lassen, weil man weiß, er nutzt diese nicht für Faulheit aus. Das wäre bei den Patriots auch möglich gewesen, aber der Führungsstil war einfach ein anderer.
Brady ist immer auf Wachstum konzentriert, das ist macht den feinen Unterschied zwischen einem Profi und einem herausragenden Spieler aus. Er will immer weiter wachsen und bleibt immer hungrig.
Kann man nach so vielen Titeln den Sieg eigentlich noch genießen oder wird das zur Routine?
Ich glaube, er kann das sehr gut genießen, weil er weiß, was er dafür tut. Wenn man sich selbst jeden Tag so geißelt und auch die Einstellung hat, dass man noch härter arbeitet, wenn man sich den Ring geholt hat, dann muss man dafür auch vieles in seinem Leben aufgeben. Ich glaube aber, man freut sich jedes Mal wieder, wenn es sich gelohnt hat.