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Profi-Fußball: Eintracht-Braunschweig-Präsidentin kritisiert fehlende Diversität

Braunschweig-Präsidentin Nicole Kumpis
Nicole Kumpis wurde am 16. März 2022 zur Präsidentin von Eintracht Braunschweig gewählt. Sie ist die einzige Frau in diesem Amt im Profi-Fußball.Bild: Eintracht Braunschweig
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"Traurig, dass wir im Jahr 2022 darüber reden": Braunschweig-Präsidentin über fehlende Diversität

Seit mehr als einem halben Jahr ist Nicole Kumpis Präsidentin von Eintracht Braunschweig. Im gesamten deutschen Profi-Fußball ist sie die einzige Frau in solch einem Amt. Im watson-Interview spricht sie über Diversität in Führungspositionen und Nachhaltigkeit im Profi-Sport.
25.10.2022, 11:5025.10.2022, 13:02
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Watson: Wie haben Sie im Sommer den Aufstieg in die 2. Bundesliga mit den Spielern zusammen gefeiert?

Nicole Kumpis: Wir haben es schon krachen lassen (lacht). Wir sind auf dem Sofa aufgestiegen und haben direkt an dem Tag mit vielen Fans im Stadion gefeiert und dann noch einmal eine Woche später nach dem letzten Saisonspiel.

Sie sind die einzige Präsidentin im deutschen Profi-Fußball. Gab es in irgendeiner Form von Spielern eine besondere Rückmeldung?

Tatsächlich nicht, aber viele Spieler und Verantwortliche kannten mich, weil ich bis April 2021 bei der Eintracht als Vorständin der Stiftung gearbeitet habe und im Winter 2021 als Vizepräsidentin schon zurück war.

Was hat sich seit Ihrer Wahl geändert?

Zunächst hat es gedauert, bis ich es verarbeiten konnte. Am selben Abend gab ich sehr viele Interviews, danach wurde gefeiert und am nächsten Morgen stand ein weiterer Presse-Marathon an. Mir ist aber auch gleichzeitig ein großer Stein vom Herzen gefallen, weil es ein intensiver Wahlkampf war.

Einerseits wird medial immer wieder betont, dass Sie die einzige Präsidentin im deutschen Fußball sind, andererseits wäre ja der Optimalfall, dass das Geschlecht gar keine Rolle spielt, oder?

Das wäre mein Wunsch. Ich finde es traurig, dass wir im Jahr 2022 darüber reden müssen, dass ich die einzige Frau in den drei Profiligen bin. Andererseits ist es auch eine Chance. Ohne diese Besonderheit wäre ich nicht so viel in den Medien und könnte keine Themen platzieren. Diversität und Nachhaltigkeit erhalten durch diese Aufmerksamkeit eine große Reichweite – mit einem männlichen Präsidenten hätte Braunschweig diese Reichweite wohl gar nicht.

Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass im Profi-Fußball Frauen nur selten in verantwortlichen Positionen sind?

Das Problem ist nicht nur auf den Fußball beschränkt. Auch in Wohlfahrtsverbänden oder großen Unternehmen gibt es wenige Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. Das hat gesellschaftliche Problematiken zur Grundlage.

Welche meinen Sie genau?

Zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. Oft herrscht noch ein veraltetes Rollenbild vor, in dem Frauen bei der Kinderbetreuung einspringen – das müssen wir aufbrechen, weil es sonst auch in Zukunft nicht dazu kommt, dass Frauen in der ersten Reihe stehen. Es gibt aber noch weitere Dimensionen von Diversität.

Sie meinen Menschen mit Migrationsgeschichte oder Handicap.

Richtig. Von diesen Personen möchte ich gar nicht anfangen zu reden, weil die finden sie in Gremien oder auf Vorstandsebene noch seltener.

"Frauen sind in der Teamführung und den Soft Skills anders unterwegs als viele – aber auch nicht alle – Männer."

Wie können aus Ihrer Sicht diese Strukturen aufgebrochen werden?

Frauen verdienen noch immer weniger und arbeiten in Berufen, die schlechter bezahlt werden. Gleichzeitig kümmern sie sich oft um die Familie. Da müssen wir an unserem Rollenbild und am Selbstverständnis arbeiten und es auch Männern erleichtern, zu Hause zu bleiben. Männer arbeiten oft wegen der finanziellen Sicherheit weiter und gleichzeitig verliert der Mann in vielen Kreisen auch an Anerkennung, wenn er die Kinder betreut – es muss sich auf beiden Seiten etwas verändern. Zusätzlich hätte ich noch einen weiteren Wunsch.

Welchen genau?

Dass Frauen mutiger sind. Auch wenn noch nicht alle Umstände und Rahmenbedingungen geschaffen wurden, würde ich es mir wünschen, dass Frauen nach außen gehen und Führungspositionen anstreben.

Welche Vorteile würden Frauen in verantwortlichen Positionen im Profi-Fußball bringen?

Frauen sind in der Teamführung und den Soft Skills anders unterwegs als viele – aber auch nicht alle – Männer. Sie hören mehr Zwischentöne in Gesprächen, gehen mehr auf die Mitarbeiter ein, anstatt ihre Führungslinie klar durchzuziehen. Ich glaube aber auch, dass gemischte Teams vorteilhaft sind – in der Altersstruktur, im Geschlecht und in allen anderen Dimensionen auch.

Nicole Kumpis setzt sich bei Eintracht Braunschweig und im deutschen Fußball für Diversität und Nachhaltigkeit ein.
Nicole Kumpis setzt sich bei Eintracht Braunschweig und im deutschen Fußball für Diversität und Nachhaltigkeit ein.Bild: Eintracht Braunschweig

Weil dadurch verschiedene Blickwinkel auf die Themen gegeben werden?

Jeder Mensch bringt einen anderen Hintergrund und dadurch auch andere Herangehensweisen mit. Durch eine Durchmischung würden Gewohnheiten, die schon immer praktiziert wurden, hinterfragt werden. Dadurch würden viele positive Rückschlüsse gezogen und Dinge verändert werden.

Ein weiteres Thema, womit Sie sich beschäftigen, ist die Nachhaltigkeit. Ist der Fußball gerade bei diesem Thema, aber auch insgesamt in den vergangenen Jahren politischer geworden?

Der Fußball hat in den vergangenen Jahren mehr Haltung gezeigt. Das dann "politisch" zu nennen ist in vielen Teilbereichen richtig, aber ich glaube grundsätzlich geht es zunächst um Haltung zeigen, vorangehen und eine Vorbildfunktion repräsentieren. Man darf den Profi-Fußball aber auch nicht überfrachten mit Themen.

Gerade den letzten Satz sagen oft Verantwortliche von Profi-Klubs, wenn von den Vereinen mehr gesellschaftliches Engagement gefordert wird.

Ich bin auch der Meinung, dass der Fußball eine deutliche Haltung zeigen kann und soll. Aber der Profifußball ist nicht in der Lage, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Dafür braucht es Experten auf gesellschaftlicher oder politischer Ebene, die sich um Lösungen kümmern, die dann etabliert werden. Der Fußball kann nur in seinem Bereich vorangehen und zeigen, was gemacht werden kann.

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Die Trikots von Niko Kijewski und seinen Braunschweiger Teamkollegen sind im Sinne der Nachhaltigkeit aus recycelten Materialien hergestellt.Bild: www.imago-images.de / imago images

Es gibt Kritik, dass der Fußball einerseits betont, dass man ihn nicht überfrachten darf und andererseits das Image des gesellschaftlichen Lagerfeuers bedient, wenn es ihm nutzt. Beispiel: der Wiederbeginn des Spielbetriebs im Corona-Lockdown. Ist das nicht zwiespältig?

Das ist eine schwierige Frage. Natürlich hatte der Profi-Fußball während des Lockdowns eine Sonderstellung. Das liegt aber daran, dass der Fußball als Volkssport Nummer eins auch den gesellschaftlichen Auftrag hat, die Menschen in so einer Extremsituation abzulenken. Zudem hingen auch an diesem Bereich 10.000de Arbeitsplätze und da spreche ich nicht von den Spielern auf dem Rasen.

Wo sehen Sie den Unterschied zu anderen gesellschaftlichen Themen?

Was der Fußball nicht kann, ist politische Themen nachhaltig in der Gesellschaft zu etablieren. Bei Themen wie Rassismus oder Gewaltverherrlichung können wir nur auf das Problem aufmerksam machen. Da müssen wir differenzieren und sagen, dass es ein Schritt zu viel für den Fußball und den Profisport insgesamt wäre. In ihren Möglichkeiten haben der Fußball und die Profisportarten aber erkannt, dass sie eine gesellschaftliche Verantwortung haben und erfüllen diese auch.

Ganz konkret zur Nachhaltigkeit in den Profiligen. Wie steht der deutsche Fußball da?

Es ist gut, dass Nachhaltigkeitskriterien für die Lizenzierung der 1. und 2. Bundesliga festgelegt wurden. Wir haben aber noch einen weiten Weg zu gehen. Sowohl im Fußball als auch generell in der Gesellschaft. Wir müssen auf ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit setzen. Also sowohl den CO2-Abdruck beachten und die Mobilität, aber auch nachhaltige Organisationsstrukturen und Diversität in den Vereinen. Gerade da müssen alle noch intensiver arbeiten, weil es eigentlich schon fünf nach zwölf ist.

Wie stehen Sie Kritiker:innen gegenüber, die die getroffenen Maßnahmen trotzdem als unzureichend bemängeln?

Die haben recht, aber es geht gesamtgesellschaftlich zu langsam. Veränderungsprozesse in der Gesellschaft dauern generell oft zu lange. Es betrifft auch nicht nur Deutschland oder Westeuropa, sondern die Weltgemeinschaft. Es wird immer drastischer und immer früher im Jahr ist es der Fall, dass wir eigentlich alle Ressourcen aufgebraucht haben, die die Erde uns jährlich zur Verfügung stellt.

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