Im April 2023 musste Sandro Schwarz bei Hertha BSC seinen Hut nehmen, ein Jahr später mischt er als Trainer der New York Red Bulls die US-amerikanische MLS auf. Nach neun Spieltagen steht seine Mannschaft auf dem zweiten Platz der Eastern Conference. Mit watson hat der Coach über seinen Wechsel in die USA, den Austausch zwischen den RB-Klubs und Kay Bernstein gesprochen.
Watson: Sandro, was hältst du vom Begriff Angstgegner?
Sandro Schwarz: Gegner ist ein gutes Wort, den brauchst du im Fußball. Mit Angst kann ich aber nichts anfangen. Am Ende des Tages ist es immer eine neue Herausforderung, auch wenn es derselbe Gegner ist. Er stellt dir eine Aufgabe und du versuchst, ihm eine Aufgabe zu stellen.
Der Blick auf die Zahlen lässt vermuten, dass Cincinnati in den vergangenen Jahren ein Angstgegner für New York war. Der Ohio-Klub hat deinen Verein zweimal in Folge in den Playoffs sowie einmal im US Open Cup ausgeschaltet.
Das haben wir schon mitbekommen, wir haben es aber nicht thematisiert. Daraus haben wir keine zusätzliche Motivation gezogen. Es geht vielmehr um den Ist-Zustand.
Der weist euch im Vorteil aus, 2:1 habt ihr kürzlich gegen Cincinnati gewonnen. Wer oder was soll euch jetzt noch stoppen?
Langsam, langsam. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung und am Anfang einer Saison. Das Spiel in Cincinnati war eine gute Bestätigung für uns. Aber wir haben noch über 30 Spiele, dann hoffentlich Playoffs.
Neun Spiele hast du mittlerweile absolviert. Was charakterisiert die MLS?
Die MLS zeichnet eine hohe individuelle, fußballerische Qualität aus. Hier sind viele Südamerikaner, die Teams wollen Fußball spielen. Die Auswärtsreisen sind auch anders. Du kannst dreimal hintereinander auswärts spielen, dabei klimatische sowie Zeitunterschiede haben. Darauf muss man sich auch in seiner Spielweise einstellen.
Inwiefern?
Wenn du bei drei Grad in den Flieger steigst und bei 25 Grad wieder rausgehst, macht das etwas mit dem Organismus. Die Spielprinzipien bleiben identisch, aber die Verschiebungen können unterschiedlich sein. Da musst du auch mal dominant über den Ballbesitz kommen, ohne dabei Energie zu verlieren, anstatt jedes Mal anzulaufen und dein Pressing durchzuziehen. Es braucht einen guten Mix.
In beiden Conferences geht es an der Spitze eng zu. Wieso kann sich kein Team richtig absetzen?
Das ist relativ simpel: Für alle gelten dieselben Regeln, gerade bei der Kaderstruktur. Einzelne Vereine geben für Designated Players mehr aus, aber im Prinzip bewegt sich jeder in den Regeln der MLS. Da gibt es wenig Schwankungen nach oben oder unten. So ist es in jedem Spiel eng, Kleinigkeiten sind entscheidend.
All das ist aufs Salary Cap zurückzuführen. Findest du das System gut?
Ja, aber man darf auch nicht vergessen, dass es in Deutschland Lizenzierungsverfahren gibt. Da wird in der Regel auch kein Geld zum Fenster rausgeschmissen, was nicht vorhanden ist. Beim Salary Cap gibt es Pro und Contra. Wenn du es weiter öffnest, kommen noch mehr Spieler mit noch mehr Qualität. Auf der anderen Seite ist die Leistungsdichte so hoch, dass immer wieder Kleinigkeiten entscheiden.
Führt das Salary Cap zu einer geringeren Planungssicherheit für Trainer?
Das nennt sich anders, aber in der Regel ist es auch in Deutschland schwer, wechselwillige Spieler zu halten. Das Mitspracherecht bei Drafts ist hier anders, weil es über die Liga läuft. Aus Trainersicht ist es aber der natürliche Weg, dass der eine oder andere Spieler, gerade bei einem jungen Team wie meinem, den nächsten Schritt bei einem anderen Team macht.
Du hast nur drei Ü30-Spieler in deinem Kader. Profis wie Tyler Adams, die den Sprung nach Europa schaffen, sind aber selten. Gibt es demnächst Nachschub?
Auf jeden Fall, das ist unser Anspruch. Wir wollen maximalen Erfolg vor Ort haben, damit aber auch Entwicklungen anschieben. Wir wollen dem einen oder anderen so als Sprungbrett nach Europa oder wohin auch immer dienen. Aber es muss Sinn ergeben, denn die MLS ist zu gut, um einfach so nach Europa zu gehen. Es muss ein inhaltlich sinnvoller, nächster Schritt sein.
Vielleicht ja zu einem anderen Red-Bull-Klub. Wie regelmäßig ist der Austausch zwischen den RB-Vereinen?
Erstmal ist es hier vor Ort eine sehr gute Atmosphäre, ein sehr guter Austausch – mit dem Sportlichen Leiter Jochen Schneider, Sportdirektor Julian de Guzman und CEO Marc de Grandpre.
Und international?
Mit Red Bull Global, die das zusammenführen, läuft es über Oliver Mintzlaff und Mario Gómez. Da ist man im Austausch. Auch mit den anderen Vereinen, über die Idee des Fußballs, die Idee des Miteinanders. Ohne fixe Regeltermine zu haben, einfach in einer guten Atmosphäre. Die Verbindung zu Leipzig ist eh gegeben, weil mein bester Freund dort Trainer ist. Es ist insgesamt eine sehr gute Organisation zwischen den einzelnen Standorten, aber auch innerhalb unseres Klubs.
Worauf liegt der Fokus, wenn sich Gómez meldet?
Entwicklung ist immer ein wichtiges Thema, Aktualität aber ebenso. Wo soll es hingehen und wie ist die Atmosphäre. Das ist nicht nur stupides Abarbeiten einiger fußballerischer Inhalte. Es geht aber auch um Fußball, um taktische Inhalte, um Prinzipien. Dafür hat er auch ein globales Analyseteam.
Bleiben wir in Europa: Wie sehr hast du deine Ex-Klubs in Deutschland noch im Blick?
Ich habe beide Vereine noch im Blick. Tagtäglich bin ich nicht im Austausch, hin und wieder aber schon. Mit Mainz ist es etwas intensiver, weil ich dort lange Spieler und Trainer war, von dort komme. Aber auch bei Hertha bin ich mit dem einen oder anderen im Austausch.
Nach dem unerwarteten Tod von Kay Bernstein hast du für eine Pressekonferenz in New York abgesagt. War das ein Zeichen des Respekts oder hast du an diesem Tag selbst Abstand gebraucht?
Ich war in einem tiefen Schockzustand. Als ich am Morgen von Kays Tod erfahren habe, war es für mich selbstverständlich, auch aus Respekt gegenüber ihm und seiner Familie, dass ich mich in New York nicht auf eine PK setze und meiner Gefühlswelt darüber, wie es mir in den USA geht, freien Lauf lasse.
Hattet ihr nach deinem Abschied aus Berlin noch Kontakt?
Wir hatten zwischendurch noch ein paar Nachrichten ausgetauscht, ja.
Volkan Bulut, Vedad Ibišević, Daniel Fischer und Dominik Wohlert haben alle auch bei Hertha gearbeitet, sind jetzt (wieder) deine Assistenten. Hat das deinen Start erleichtert?
Das bestehende Team hier ist sehr gut, Dominik war schon ein Teil dessen. Die Assistenztrainer aus Deutschland kamen wegen deren Visa erst nach und nach. Aber so eine Konstellation hilft einem natürlich, untereinander kennt man die Abläufe. Es ist aber auch wichtig, die Einflüsse von dem, was hier schon besteht, ebenfalls einfließen zu lassen.
Ist einer der vier perspektivisch auch mal ein Kandidat für einen Cheftrainerposten? Dein Ex-Klub Hertha soll sich ja durchaus nach einem neuen Trainer umschauen.
Ich weiß schon, worauf du hinauswillst. (lacht) Es wird entscheidend sein, ob sich der jeweilige Assistent noch in der Rolle sieht, wie seine eigenen Pläne sind. Aber klar ist das möglich, wenn es der eine oder andere schaffen sollte, ich alt genug bin und nicht mehr kann. (lacht)
Schafft Hertha nächste Saison den Aufstieg?
Das ist nicht mein Thema. Aber ich wünsche ihnen natürlich das Allerbeste. Doch in der 2. Bundesliga kann man keine Garantien für einen Aufstieg aussprechen, dafür ist die Liga zu gut und ausgeglichen.
Packt Mainz diese Saison den Klassenerhalt?
Ich hoffe es! Die letzten Spiele zeigen, dass der Verein weiß, wie man mit Abstiegskampf umgeht, wie man die richtige Stimmung erzeugt. Das ist ein großes Faustpfand. Und wenn es über den Umweg Relegation geht, ist das kein Beinbruch.