Ursprünglich waren sie einfach mal nur als Arbeitskleidung gedacht, mittlerweile aber sind sie Sammlerstücke, Designerexemplare, erstklassige Einnahmequellen und Grundlage hitziger Diskussionen: Fußballtrikots nehmen im modernen Fußball eine enorm wichtige Rolle ein.
Das weiß auch Mirko Borsche. Der Gründer des Grafikdesignstudios Bureau Borsche hat mit einigen der größten Vereine der Welt zusammengearbeitet, mit dem FC Bayern und Inter Mailand etwa. Er war auch am globalen Trikot-Hype rund um den FC Venedig beteiligt.
Mit watson hat er über Trikotgestaltung gesprochen, welchen Einfluss Topklubs zulassen und welche Parallelen es zwischen Trikots und Kunst gibt.
Watson: Mirko, was zeichnet ein gutes Trikot aus?
Mirko Borsche: Es gibt kein Bildmittel, das immer allen gefällt. Wir gehen danach, was auf dem Rasen, zugleich aber auch mit einer Jeans oder einem Rock gut aussieht, also auch auf der Straße passt. Fußballer sind immer modebewusster unterwegs und freuen sich, wenn sie in einem Trikot auflaufen, in dem sie gut aussehen.
Wie sieht dieser Mittelweg in der Regel konkret aus?
Wir versuchen, da so nahe wie möglich heranzukommen, also meistens eher unaufgeregt, klassisch und von der Grafik relativ klar. Trikots, in denen jeder gut aussehen kann. Im Idealfall haben wir noch Einfluss auf den Schnitt, sodass man kein Top-Athlet sein muss, um darin gut auszusehen.
Orientiert ihr euch bei der Gestaltung also eher am Fan als am Profi?
Das ist bei uns gleichgestellt. Es gibt bei vielen Ausstattern die Möglichkeit, zwei verschiedene Wege zu gehen. Der eine ist, sich mit einem engen Schnitt sehr an den Sportlern zu orientieren, der andere sind die Replikas. Die sind für die Fans ein bisschen weiter geschnitten. Das geht aber nicht bei jedem Ausstatter.
Du hast die Schlichtheit betont, wilde Designs aus den 90ern sind aber auch begehrt, werden sogar wiederbelebt.
Das hat sicherlich viel mit Leuten zu tun, die tief in den Jerseyarchiven wühlen, es ist also auf jeden Fall ein Sammlerding. Andererseits ist es auch eine Typenfrage. Wenn ich an das Deutschland-Trikot mit den angedeuteten Flügeln aus den 90ern denke oder Bochums Regenbogen-Faber-Trikot: Die galten damals als hässlich, heutzutage haben die aber Legendenstatus. Viele Sachen altern einfach gut.
Wie kann man sich das erklären?
So ist es in der Architektur, so ist es in der Kunst, so ist es im Design und so ist es bei vielen anderen Dingen auch, dass Sachen einfach oft in der Zeit, in der sie entworfen werden und eigentlich bahnbrechend sind, als nicht richtig wahrgenommen werden und dann retrospektiv auf einmal Designklassiker werden.
Das ist eine überraschend tiefschürfende Ebene für ein Stück Stoff, das ursprünglich nur Arbeitskleidung sein sollte.
Das ist leider die Kehrseite der Medaille, dass viele Klubs und Hersteller nicht mehr zwei Trikots produzieren, sondern mit diversen Kooperationen vier oder fünf. Wenn du absoluter Fan bist und jedes Trikot besitzen möchtest, musst du mittlerweile pro Saison bis zu 700 Euro in die Hand nehmen, um das komplette Paket zu haben. Das ist frech, das ist Wahnsinn.
Du warst selbst schon bei der Trikotgestaltung involviert. Wie ist da die Rollenverteilung?
Es kommt auf den Verein und auf den Ausstatter an. Je größer der Ausstatter, desto unflexibler das Gerüst. Die Größe des Vereins ist auch wichtig. Hat der Ausstatter Lust, etwas Besonderes zu machen, ein paar Euro mehr in die Produktion zu investieren? Das bedeutet für ihn auch viel mehr Arbeit.
Du hast Trikots für den FC Bayern, Venezia oder Kallithea Athen gestaltet. Wie lief die Zusammenarbeit?
Mit den meisten Klubs gab es keine Probleme. Die Vereine schätzen unsere Arbeit, wir respektieren auf der anderen Seite die Hierarchien zwischen Home, Away, Third und Aufwärmshirts. Beim Home bricht man nicht mit Traditionen, sondern unterstützt sie oder gräbt sie wieder aus. So arbeiten wir uns mit dem Verein zusammen durch diese Spannbreite zwischen den Jerseys. Wenn du einen guten Ausstatter hast, kannst du noch sagen, was für einen Kragen, was für einen Fit oder was für einen Stoff du haben möchtest.
Ihr habt in dem Zuge mit Societas auch einen eigenen Sportartikelhersteller gegründet. Wieso?
Mit manchen Vereinen stößt man an seine Grenzen, da ist der Absatz für den Ausstatter zu klein. Im Falle von 1860 München etwa stattet Nike den Fußballverein aus, nicht aber den e.V., für den wir ein Shirt entworfen haben. Generell wollen wir uns da keine goldene Nase verdienen. Wir wollen, dass Drittligisten dieselbe Qualität bekommen wie Liverpool oder Manchester United.
Wie lange dauert es, bis ein Trikot für so einen Topklub entwickelt wird?
Man entwirft im November und sieht im Mai das erste Mal etwas. Es folgen Samples, an denen noch einige Details verändert werden können. Dann geht es zurück zum Produzenten und man sieht es das erste Mal zur neuen Saison. Der Vorlauf beträgt je nach Hersteller ein bis zwei Jahre.
Warum dauert die Produktion so lange?
Ein Hersteller wie Nike hat nicht ein Team, sondern weltweit etwa 300. Für all diese musst du produzieren, Margen berechnen, liefern. Kleinere Marken wie Kappa schaffen es eher in einem Jahr.
Gibt es bei der Gestaltung absolute No-Goes?
Jede Liga hat einen Verband und jeder Verband hat ein fünf bis zwanzigseitiges Regelwerk, was man nicht machen darf. Allzu viel bleibt dann nicht mehr.
Veränderungen hast du auch auf anderen Ebenen begleitet: Das Rebranding in Venedig wurde weltweit gefeiert, in Mailand wurdet ihr angefeindet. Woher rührt die Intensität der Reaktionen?
Es hat viel mit Tradition zu tun. Jede Änderung wird erstmal als unangenehm angesehen. Ich glaube, ein extremes Beispiel dafür war dieses Jahr der Relaunch vom Wappen des FC Bayern.
Inwiefern?
Der war eigentlich marginal, es wurde nur ein wenig am Rot und Blau geschraubt, die Farben wurden ein wenig leuchtender gemacht. Der Aufschrei in der Fangemeinde war dennoch riesig. Dabei sieht man das Logo zu 80 Prozent in digitalen Medien. Auf jedem Laptop, auf jedem Handy sieht man ohnehin ein etwas anderes Rot, ein etwas anderes Blau. Es ist irre, wie konservativ die Leute reagieren. Wie viel Angst sie vor Veränderungen haben.
Was leitest du für deine Arbeit daraus ab?
Es heißt, dass man vorsichtig sein muss. Dass man an Traditionen anknüpfen und nicht alles neu erfinden sollte. Die Identifikation zwischen Klub und Fans muss man erhalten. Wir reden von einem demokratischen Sport, der jeden erreichen kann. Wie viele Schmerzen eine Fangemeinde haben kann, sieht man bei den RB-Klubs, deren ganze Heritage auf eine Energy-Dose umgestellt wird.