Anja Mittag absolvierte 158 Spiele für die deutsche A-Nationalmannschaft.Bild: IMAGO images / Picture Point LE
Interview
28.07.2024, 08:4628.07.2024, 09:11
Am Freitagabend ist bei Olympia 2024 mit der Eröffnungsfeier ganz offiziell der Startschuss gefallen. Tatsächlich ging es aber schon vor der Zeremonie los, am Donnerstag etwa waren die deutschen Fußballerinnen bereits im Einsatz, setzten sich gegen Australien mit 3:0 durch.
Das Ziel ist eine Medaille – etwas, das Anja Mittag bereits erreicht hat. Die langjährige Nationalspielerin holte 2016 mit dem DFB-Team in Rio Gold. Mit watson sprach sie nun über die Besonderheiten der Olympischen Spiele, die Chancen des deutschen Teams und die Schwierigkeit, Lena Oberdorf zu ersetzen.
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Watson: Anja, du warst zweimal selbst bei Olympia dabei. Wie wichtig sind die Olympischen Spiele für Fußballerinnen?
Anja Mittag: Sie haben einen besonderen Stellenwert. Olympia findet zwar wie die anderen Turniere alle vier Jahre statt, steht aber trotzdem über einer WM oder EM.
Zu Tränen gerührt: Anja Mittag (m.) gewann bei Olympia 2016 mit den DFB-Damen Gold.Bild: imago images / Eibner
Wieso?
Es ist so schwer, sich überhaupt zu qualifizieren, dann im 18er-Kader dabei zu sein. Der Weg dahin ist brutal schwer. Dabei zu sein, ist ein Traum, mit dem man aufwächst. Die olympischen Ringe als Tattoo wirken anders als der WM-Pokal. Olympia besitzt ein eigenes Flair.
Was zeichnet dieses olympische Flair aus?
Dass viele Sportler und Sportlerinnen aus aller Welt zusammenkommen, das Leben im olympischen Dorf und das Miteinander. Andere Sportarten zu erleben, mit denen man sonst weniger in Berührung kommt, und die anderen Deutschen anzufeuern. Das ist etwas Einzigartiges, was man so im Leben nicht noch einmal erlebt.
Das sind Argumente, die Olympia für Männer und Frauen gleichermaßen reizvoll machen. Warum ist Olympia für Fußballerinnen dennoch wichtiger als für ihre männlichen Kollegen?
Das dürfte vor allem daran liegen, dass es ein U23-Turnier bei den Männern ist und nicht in den Fifa-Kalender aufgenommen wurde. In diesem Jahr fand zudem eine EM und die Copa América statt, in den Kalender der Frauen passt Olympia deutlich besser. Wenn die Möglichkeit bestünde, wäre Olympia sicherlich auch für viele männliche Fußballer interessant.
Du hast den besonderen Reiz des olympischen Dorfs angesprochen. Die DFB-Damen kommen zunächst nicht in den Genuss, sind aktuell in Marseille untergebracht, weil sie dort spielen. Beraubt das Olympische Komitee die Frauen hier einer besonderen Erfahrung?
Als Spielerin würde ich mir darüber nicht allzu viele Gedanken machen. Klar, irgendwann möchte man sicherlich auch mal in das olympische Dorf, aber in allererster Linie sollte eine Medaille das Ziel sein.
Überhaupt werden nur drei Partien des Frauen-Turniers in Paris ausgetragen.
Es gibt wahrscheinlich viele Städte, die sich für solche Spiele bewerben. Da möchte man als Veranstalter das sicherlich breit im Land verteilen.
Wie war die Unterbringung 2008 und 2016, als du an Olympia teilgenommen hast?
Wir waren auch im Land verteilt. In Peking sind wir erst zum Halbfinale ins olympische Dorf gereist, in Rio sogar erst zum Finale. Das war nochmal eine zusätzliche Motivation.
"Man hat das Gefühl, dass das Turnier in zehn Tagen abgearbeitet werden soll – auf Kosten der Spielerinnen."
Wie hast du die olympischen Dörfer damals wahrgenommen?
Wir waren in Rio noch ein bis drei Tage länger da, das konnte jede von uns individuell entscheiden. Im Dorf ist die Ablenkung deutlich größer als im Hotel, die Wege sind zudem länger. Es ist also durchaus ein Gewinn, erstmal im Hotel zu sein.
Zurück zu den aktuellen Olympischen Spielen: Horst Hrubesch hat sich wiederholt über die Kaderreglementierung geärgert. Sind 16 Feldspielerinnen zu wenig für ein solches Turnier?
Auf jeden Fall! Es ist auch zu wenig, nur zwei freie Tage zwischen den Spielen zu haben. Man hat das Gefühl, dass das Turnier in zehn Tagen abgearbeitet werden soll – auf Kosten der Spielerinnen. Es ist schon taff, vor allem mit lediglich 16 Feldspielerinnen. Da ist die Auswahl des Kaders umso wichtiger.
Welche Anzahl wäre angemessen?
20 Feldspielerinnen und drei Torhüterinnen sollten es schon sein, also so wie bei Welt- und Europameisterschaften.
"Das Island-Spiel war ein Warnschuss zur rechten Zeit für alle."
Auch bei einer Kaderaufstockung hätte Lena Oberdorf nicht mit nach Paris gekonnt, sie fehlt verletzt. Wie sehr schmerzt ihr Ausfall?
Die erste Reaktion war hart, sicherlich auch für das Team. Das kann aber auch zusammenschweißen. Und es kann für eine andere Spielerin, die bisher noch nicht so den Raum bekommen hat, eine Chance sein, die Lücke auf eine ganz eigene Art und Weise zu schließen.
Lena Oberdorf (gestützt) hat sich im EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich eine Kreuz- und Innenbandverletzung im rechten Knie zugezogen.Bild: IMAGO images / Beautiful Sports
Am Donnerstag startete die nachgerückte Janina Minge. Wen hättest du anstelle von Oberdorf aufgestellt?
Das ist eine gute Frage. Es kommt auf den Gegner an, wie stellen wir uns darauf ein, welches System wählt man.
Sechs der letzten sieben Spiele vor Turnierbeginn hat das DFB-Team gewonnen, dazu den Auftakt gegen Australien. Stimmt die Form oder waren das größtenteils Pflichtaufgaben?
Auch Pflichtaufgaben muss man erfüllen. Das Island-Spiel war ein Warnschuss zur rechten Zeit für alle, ansonsten sind wir auf einem guten Weg. Die Abläufe stimmen und wir haben viele Spielerinnen, die Tore erzielen können, da sind wir sehr variabel. Das ist ein Schritt nach vorne im Vergleich zum WM-Aus.
Wie stehen die Chancen der DFB-Frauen bei Olympia?
Ich denke, dass wir das Halbfinale packen können. Es qualifizieren sich ja auch die beiden besten Drittplatzierten, danach ist viel möglich. Einfach wird es aber nicht.
"Christian Wück wurde sicherlich nicht einfach nur genommen, weil er mit den U17-Jungs gerade die WM gewonnen hatte."
Es werden die letzten Spiele unter Horst Hrubesch sein. Wie bewertest du die Entwicklung unter ihm?
Er hat den Spielerinnen viel Vertrauen und Spaß gegeben, hat den Olympia-Traum mitgetragen. Er hat das Feuer nach außen getragen. Für den Übergangszeitraum war er eine gute Wahl.
Horst Hrubesch hat die DFB-Frauen im Oktober 2023 übernommen. Nach Olympia ist Schluss.Bild: IMAGO images / Beautiful Sports
Nach Olympia übernimmt Christian Wück. Ist er der richtige Trainer für die Zukunft?
Das wird sich zeigen. Er kann der Richtige sein, der Verband hat lange gesucht und in Wück eine für sich gute Lösung gefunden. Er wurde sicherlich nicht einfach nur genommen, weil er mit den U17-Jungs gerade die WM gewonnen hatte.
Also sind die DFB-Frauen langfristig gut aufgestellt?
Ja!
Blicken wir abschließend noch auf deine eigene Zukunft. Du probierst sich seit deinem Karriereende in viele Richtungen aus: als Podcasterin, als Kolumnistin, als Co-Trainerin. Was macht am meisten Spaß?
Der Podcast ist eher ein Hobby für die Freizeit. Ich sehe mich als Trainerin, aber nicht auf der Chefebene. Individuell, etwa als Stürmertrainerin, ist die Richtung, die mir Spaß macht.
Anja Mittag (m.) arbeitet aktuell als Co-Trainerin bei den Frauen von RB Leipzig.Bild: IMAGO images / motivio
Hast du konkrete Pläne für die nächsten fünf Jahre?
Mein Ziel ist es, auf individueller Ebene mehr mit den Spielerinnen zu arbeiten, also auch im Nachwuchs zu agieren. Vielleicht auch als Talentetrainerin, wie es das bereits im Männerbereich gilt – also an der Schnittstelle zwischen Jugend und Profis.