In der Saison 2012/13 stand Maik Fanz auch 90 Minuten beim 2:1-Sieg der Hertha über Union Berlin auf dem Platz.Bild: imago sportfotodienst / Annegret Hilse
Interview
Maik Franz absolvierte insgesamt 192 Spiele in der Fußball-Bundesliga. Im Interview spricht er über die Lage bei seinem Ex-Klub Hertha BSC, die Bedeutung eines Mentalcoaches und besondere Situationen im Abstiegskampf.
Hertha BSC ist wohl derzeit der größte Chaos-Klub der Bundesliga. Aktuell stehen die Berliner mit 23 Punkten auf Tabellenrang 16. Nur einen Punkt vor dem VfB Stuttgart auf Platz 17. Am Samstagabend kommt es nun zu einem wohl vorentscheidenden Duell im Abstiegskampf mit Borussia Mönchengladbach, die drei Punkte vor den Berlinern auf Platz 13 stehen.
Dabei waren die Berliner 2019 mit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst und seinem 375-Millionen-Euro-Engagement mit großen Plänen gestartet. Doch statt um die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb zu kämpfen, geht es wie in den vergangenen Jahren einzig und allein um den Klassenerhalt.
"Dann wird dir erst bewusst, dass es nicht um dich oder deinen Kollegen geht, denn für dich als Spieler geht es beim nächsten Klub weiter."
Ex-Bundesligaprofi Maik Franz über die Bedeutung für Mitarbeiter von Vereinen bei einem Abstieg
Neben der sportlichen Talfahrt kommt auch das Umfeld des Klubs nicht zur Ruhe. Aktuell bestimmen Machtkämpfe zwischen dem Investor und der Hertha-Führung das Geschehen.
Im Interview mit watson spricht Ex-Hertha Profi Maik Franz, der in seiner Karriere dreimal abgestiegen ist und zweimal den Klassenerhalt sicherte, über die enorme Bedeutung eines Mentalcoaches. Zudem schildert der 40-Jährige einen emotionalen Moment im Abstiegskampf mit Hertha BSC und wieso Brandreden nicht bei der Mannschaft ankommen.
watson: Herr Franz, Herthas Trainer Tayfun Korkut hat am Dienstag mit einer öffentlichen Brandrede gegenüber den Spielern beim Training für viel Aufregung gesorgt. Ist das die richtige Maßnahme für eine verunsicherte Mannschaft im Abstiegskampf?
Maik Franz: Es gibt ein paar Spieler, bei denen zeigt das vielleicht kurzzeitig Wirkung, aber grundsätzlich bringt das nicht viel. Das hat für die Medien eine schöne Wirkung, aber in der Mannschaft verpufft sowas relativ schnell.
Warum?
Die eigentliche Wirkung entsteht durch das Handeln des Trainers. Ich glaube, solche Ansprachen sollten eher in der Kabine und nicht draußen stattfinden. Am Ende muss er durch klare Entscheidungen überzeugen und Ergebnisse liefern. Und trotz akribischer Vorbereitung bleiben diese bisher aus.
Trotz guter Phasen waren die Auftritte beim 1:2 gegen den Tabellenletzten Fürth, beim 1:6 gegen RB Leipzig, beim 0:3 gegen den SC Freiburg und beim 1:4 gegen Eintracht Frankfurt teilweise erschreckend schwach.
Die Frage ist dann, ob man die Intensität nicht nochmal anziehen muss. Mache ich nach der Niederlage in Fürth wirklich einen Tag frei oder trainiere weiterhin nur einmal am Tag? Wenn in solch einer Situation alles beim alten bleibt, weiß ich nicht, ob die Jungs realisieren, dass wirklich der Baum brennt.
Korkut hat in seiner Ansprache auch an die Zukunft der Spieler appelliert. Sollte das nicht Ansporn genug sein?
Am Ende ist dieser Appell die letzte Patrone, die man als Trainer hat. Denn die meisten Spieler finden andere Vereine. Profi-Fußball ist ein Business und andere Klubs werden sich freuen, dass sie Spieler holen können, die sie sonst nicht bekommen hätten, weil sie beispielsweise eine Ausstiegsklausel haben oder für die 2. Liga einfach zu teuer sind.
Mit Hertha BSC wurde Maik Franz (r.) in der Saison 2012/13 deutscher Zweitligameister.null / imago images
Kann es für die Spieler aber nicht auch einen Karriereknick bedeuten, wenn sie absteigen?
Nein. Das sind Profis, für den Großteil geht es gut weiter. Aber es hängen Arbeitsplätze von Menschen an der Ligazugehörigkeit. Ich kann mich noch gut an eine emotionale Situation zu meiner Zeit bei Hertha erinnern, bevor wir zu einem Spiel nach Düsseldorf gefahren sind, bei dem es auch gegen den Abstieg ging.
Erzählen Sie.
Dort standen alle Mitarbeiter und haben uns Briefe in die Hand gedrückt. Dort standen Dinge wie: "Ich habe eine Familie mit zwei Kindern und bin derjenige, der uns ernährt. Und wenn wir absteigen, bedeutet es das und das."
Was hatte das für eine Wirkung auf Sie?
Dann wird dir erst bewusst, dass es nicht um dich oder deinen Kollegen geht, denn für dich als Spieler geht es beim nächsten Klub weiter. Aber der Verein wird bei einem Abstieg großen Schaden nehmen. Mitarbeiter werden entlassen oder weniger verdienen und es gibt krasse Einschnitte in ihrem Leben.
"Ich kann es auch nicht verstehen, wenn man dieses Angebot heutzutage nicht annimmt."
Ex-Bundesligaprofi Maik Franz über die Bedeutung von Mental-Coaches
Gerade für unerfahrenere Spieler können solche Situationen doch zusätzlichen Druck bedeuten.
Ich glaube, das ist kein Problem von jungen Spielern, sondern es kommt vor allem darauf an, wie charakterstark man ist und ob man bereit ist, diesen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Du musst versuchen, dir Stück für Stück dein Selbstvertrauen zurückzuholen und das geht nur, wenn du auf den Platz gehst, Fehler schnell abhakst und dir Erfolgserlebnisse holst.
Sportpsychologe René Paasch hat im Gespräch mit watson gesagt, dass Spieler häufig an ihren drei Fehlern hängen und die 85 Prozent, die sie gut gemacht haben, gar nicht sehen würden.
Ich habe auch mit 26 Jahren angefangen, mit einem Mentalcoach zu arbeiten und kenne auch René persönlich gut, diese Personen können enorm helfen. Ich kann es absolut nicht nachvollziehen, wenn man dieses Angebot heutzutage nicht annimmt. Es ist schade, dass es für manche immer noch so negativ behaftet ist.
Warum?
Bleiben wir beim Beispiel Hertha: Dort geht die Angst um und es heißt, die Spieler müssen sich mehr bewegen. In der Familie sehen sie es aber eher aus deiner Sichtweise und am Ende hast du selten jemanden, der die Situation neutral bewertet. Gerade in Ausnahmesituationen sind solche Personen extrem hilfreich. Es ist aber ein Prozess, den man vorbereiten muss.
Hertha befindet sich aktuell in dieser Ausnahmesituation, die durch den Machtkampf zwischen Investor Lars Windhorst und der Hertha-Führungsetage zumindest medial noch verstärkt wird. Bekommt man das als Spieler mit?
Es sagen die ganze Saison über viele Leute etwas und das interessiert die Spieler nicht wirklich, ob jetzt beispielsweise eine Doku veröffentlicht wird oder nicht. Aber auch hier kann ein Mentaltrainer enorm helfen.
Können Sie das erklären?
Gerne. Du wirst von deiner Familie, deinen Freunden, in deinem Umfeld oder in der Stadt immer darauf angesprochen und mit diesem negativen Touch konfrontiert. Wenn du mental nicht gefestigt bist, und wer ist das von uns schon immer, kann dich das runterziehen. Dann musst du aufpassen, nicht in einen negativen Strudel hineinzurutschen, in dem alles schlecht ist.
Auch Sportchef Fredi Bobic wird damit wohl häufig in der Stadt konfrontiert. Am Samstagabend kommt es nun zum Kellerduell mit Borussia Mönchengladbach. Bei einer weiteren Niederlage muss Bobic ab Sonntag wohl einen neuen Trainer suchen, oder?
Was ich gehört habe, ist Tayfun Korkut ein akribischer Arbeiter, aber die Tendenz ist alarmierend. Wenn du jetzt gegen ein taumelndes Gladbach wieder nichts holst, gegen welche Mannschaften willst du dann punkten? Du kannst während der Saison auch nicht die halbe Mannschaft austauschen und dann ist es schwierig, mit jemandem weiterzumachen, bei dem momentan halt auch das Quäntchen Glück fehlt. Ich beneide Fredi Bobic nicht um diese Entscheidung. Kann mir aber gut vorstellen, dass wir bei einer Niederlage in Gladbach in der kommenden Woche einen neuen Hertha Trainer sehen.
Von 2018 bis 2020 war Mike Franz beim SC Magdeburg Leiter der Lizenzspielerabteilung. Bild: www.imago-images.de / Frank Scheuring
Wie viel bringt ein Trainerwechsel im Abstiegskampf denn wirklich?
Der Trainer ist immer die wichtigste Person. Oft sind es Kleinigkeiten, wie ein anderes Spielsystem oder eine andere Ansprache, die das Boot wieder auf den richtigen Kurs bringen. Aber manchmal verpuffen solche Maßnahmen auch. Am Ende geht es im Profi-Fußball darum, was am Ende dabei herauskommt.
Und wer wird am Ende den Gang in die 2. Liga antreten?
Dass Greuther Fürth wieder absteigt, ist relativ klar und dann wird es spannend. Wenn Hertha so weitermacht, wird es leider sie erwischen, aber wenn sie das Momentum auf ihre Seite ziehen können, werden sie sich befreien. Und dann ist es mir relativ egal: Ich will, dass Hertha in der Liga bleibt.