Nach einer starken Gruppenphase geht es für die deutschen Hockeymänner bei Olympia 2024 am Sonntagabend im Viertelfinale gegen Argentinien weiter. Vor dem Duell hat watson mit Nationalspieler Martin Zwicker gesprochen.
Der 37-Jährige erklärt, worauf es gegen die Südamerikaner ankommt, blickt auf verpasste Goldmedaillen und gibt einen Einblick ins olympische Dorf.
watson: Fünf Spiele, vier Siege: Glückwunsch zum Einzug ins Viertelfinale! Wer soll euch angesichts solch einer Ausbeute auf dem Weg zur Goldmedaille jetzt noch stoppen?
Martin Zwicker: Vielen Dank! Erstmal die Mannschaft, die wir jetzt vor der Brust haben. Das ist ein harter Gegner, ein richtig gutes Team, das uns direkt stoppen könnte. Es wäre vermessen, das nicht so zu sehen. Man muss dem Gegner Respekt zollen. Gleichzeitig wissen wir um unsere Stärken.
Euer Viertelfinalgegner heißt Argentinien: Worauf kommt es für euch in dem Duell an?
Sie sind unangenehm zu bespielen, agieren sehr physisch. Sie setzen auf Konter und haben eine gute Ecke. Ihre Prämisse ist, gut zu verteidigen. Das machen sie seit Jahren so.
Welche Mannschaften haben dich im bisherigen Turnierverlauf am meisten beeindruckt?
Beeindruckt hat mich ehrlicherweise keine Mannschaft. Die Teams, die im Viertelfinale stehen, waren da zu erwarten. Belgien spielt richtig gut. Australien hat zuletzt minimal geschwächelt, gegen die Niederlande erwarte ich sie wieder stärker. Alle im Viertelfinale zählen zur Weltspitze.
Den Gewinn einer Goldmedaille bei Olympia hast du kürzlich als das Nonplusultra bezeichnet. Du bist Welt- und Europameister, hast die Champions Trophy und die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Warum stünde Olympia-Gold über alledem?
Hockey ist ein Amateursport, da sind die Olympischen Spiele größer als alle anderen Wettbewerbe – da ist Olympia das Größte.
2008 und 2012 haben die Hockey-Herren ohne dich jeweils Olympia-Gold geholt, mit dir folgte 2016 der dritte, 2021 der vierte Platz. Nagt es an dir, die so erfolgreiche Phase verpasst zu haben?
Nein, das nagt überhaupt nicht an mir. Wenn das so nicht passiert wäre, wären alles danach auch nicht so gelaufen. Ich bin zufrieden, wie alles gelaufen ist. Und die Zeit war trotzdem geil, weil ich viel gelernt habe und gute Freunde von mir die Medaillen gewonnen haben.
Warum warst du bei den beiden Turnieren nicht dabei? Debütiert hattest du bereits Anfang 2008.
2008 zählte ich als junger Spieler nur zum erweiterten Kader, da hatte ich mir auch nichts ausgemalt. 2012 hat sich der Trainer für andere Spieler entschieden. Das war enttäuschend, weil wir da Deutscher Meister geworden sind. Aber der Trainer musste Entscheidungen treffen, so wie das im Leistungssport nun einmal ist. Sie sind Olympiasieger geworden, also hat der Trainer alles richtig gemacht.
Ihr Hockeyspieler habt das olympische Dorf mit als Erste betreten. Wie ruhig war es in den ersten Tagen?
Sehr ruhig. Das war schon cool, aber gleichzeitig auch nicht. Das olympische Dorf lebt davon, dass hier einiges los ist.
Also war es eher langweilig oder doch von Vorteil, um sich zu fokussieren?
In der ersten Woche bereitet man sich auf den Start vor, nutzt die Zeit aber auch, um sich einzuleben. Man schaut, wo alles ist, wie alles abläuft. Damit man gewisse Abläufe verinnerlicht hat, wenn das Turnier startet. Dahingehend war die erste Woche hilfreich.
Wie belebt ist es mittlerweile?
Wenn man das schon mal mitgemacht hat, weiß man vorher, dass es mit der Zeit voller wird – wenn etwa die Leichtathleten kommen. Dann ist es gut voll, aber auch cool, weil man viel sieht und erlebt.
Kann man trotzdem noch abschalten?
Man kann in seinem Appartement abschalten, dazu gibt es auch draußen Areale zum Relaxen. Es gibt generell viele Möglichkeiten, um sich zurückzuziehen.
Rund ums olympische Dorf ranken sich Sagen und Mythen, ehemalige Athleten und Athletinnen berichten von mehrwöchigen Partys und hemmungslosen Sexgeschichten. Wie wild geht es denn in Paris zu?
Ich habe bisher nichts mitbekommen.
Nicht einmal eine kleine Party?
Mit Sicherheit wird gefeiert, das ist logisch. Das findet in der Regel aber erst dann statt, wenn die Leute ihre Wettkämpfe beendet haben. Es ist nicht so, dass die Leute parallel zu den Wettkämpfen feiern. Jeder kann machen, was er möchte.
Du warst auch 2016 und 2021 schon bei Olympia dabei. Hast du aus der Zeit eine wilde Anekdote, die diesem Mythos gerecht wird?
Als wir Bronze geholt haben, haben wir auch dementsprechend im deutschen Haus gefeiert. Das ist bei einem solch riesigen Erfolg klar. Das ist eine Anekdote, aber keine wilde.
Zwei deiner Kollegen haben kürzlich die Essenssituation im Dorf kritisiert. Wie dramatisch siehst du die Lage?
Es ist teilweise in Ordnung, teilweise aber auch nicht gut. Damit muss man klarkommen. Man kennt es aber von früher, dass es mit vielen Leuten in der Mensa schwer wird. Es ist nicht geil, aber es ist kein Weltuntergang.
Also ist es gar nicht signifikant schlechter als in der Vergangenheit?
Du hast andere Möglichkeiten. In Tokio gab es andere Speisen, die für viele cooler waren. Ich sehe es nicht so dramatisch, als dass ich darauf Energie verschwenden müsste.
Habt ihr Workarounds gefunden, um die Lage für euch zu verbessern?
Wir fahren hin und wieder ins deutsche Haus, da bekommt man auch mal etwas anderes auf den Teller. Dazu gibt es im Dorf zudem Stände, bei denen man etwas auf die Hand mitnehmen kann. Manchmal hilft auch Altbewährtes: ein Müsliriegel. Man kommt schon über die Runden.
Hockey-bezogene Schlagzeilen fabrizierte kürzlich auch Frauen-Bundestrainer Valentin Altenburg, als er Anne Schröder vor laufender Kamera verbal anging. Gehört so eine Ausdrucksweise zum Sport dazu?
Die beiden haben sich dazu geäußert, ihre Standpunkte dargelegt. Damit ist das Thema für mich gegessen.
Du hast kürzlich gegenüber dem RBB bereits angekündigt, nach Olympia noch nicht Schluss zu machen. Willst du deinem Ex-Kollegen Tobias Hauke noch den Status als Rekordnationalspieler streitig machen?
Das ist nicht in meinem Kopf. Wenn ich weitermache, liegt es daran, dass ich noch immer krass Bock habe. Solange es mir Spaß macht, mache ich weiter.
Eine weitere Olympia-Teilnahme ist also nicht ausgeschlossen.
Aber auch nicht bestätigt. Das ist viel zu weit weg. Es ergibt keinen Sinn, darüber nachzudenken, dafür ist Olympia 2024 zu geil und zu wichtig. Ich schließe zum aktuellen Zeitpunkt nur aus, dass ich diesen Sommer Schluss mache.
Gilt das auch, falls ihr dieses Jahr Gold holt? Das wäre doch ein perfekter Abschluss.
Den perfekten Abschluss können andere beurteilen. Ich habe es nie an irgendein Turnier geheftet.
Abschließend eine Frage als Laie: Geht die Haltung beim Hockey über so lange Zeit nicht brutal auf den Rücken?
Wenn man es nicht richtig macht, dann schon. Aber man ist es ja gewohnt, trainiert dementsprechend. Das ist in anderen Sportarten auch so. An meinem Rücken soll meine Zukunft im Hockey also nicht scheitern.