Watson: Dominik, du hast die Testspiele gegen Portugal am Donnerstag in Flensburg und Samstag in Kiel als ARD-Experte begleitet. Ist Deutschland schon in EM-Stimmung?
Dominik Klein: Der Rückhalt der Fans ist absolut da. Sobald es eine Zeitstrafe für das deutsche Team gab, sind alle Zuschauer in der Halle aufgestanden, um zusätzlich zu unterstützen. So wird es in den anderen Arenen während des Turniers weitergehen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was das für ein Bild ist, wenn dem Team 50.000 Fans zujubeln.
Diese Weltrekord-Kulisse wird das EM-Auftaktspiel am kommenden Mittwoch in Düsseldorf gegen die Schweiz verfolgen. Kann man sich schon im Training auf diese ungewöhnlichen Umstände vorbereiten?
Wie soll das gehen? Nein, es wird wichtig sein, dass sich jeder Spieler selbst mental darauf vorbereitet. Wir sind auf einem Level, wo die körperlichen Voraussetzungen für alle gleich sind und dann ist entscheidend, was mit den letzten Prozentpunkten im Gehirn passiert. Dort kommt es aber auf jeden individuell an, wie er in den "guten Zustand" kommt.
Wie nimmst du das deutsche Team wahr?
Ich freue mich, dass diese Mannschaft brennt und eine Vorfreude auf das Turnier entwickelt hat. In den Testspielen gegen Portugal war bereits zu erkennen, dass sie in die Spiele gegangen sind als wäre es ein Turnierspiel. Das ist enorm wichtig.
Warum?
Oft ist zu erkennen, dass man dann erst Anlauf braucht, um in das Turnier zu kommen. Mit diesem Mindset sind sie aber schon jetzt im Turniermodus und sehen das Eröffnungsspiel nicht mehr als "Auftakt".
Juri Knorr gilt als einer der deutschen Schlüsselspieler. Bei der WM im vergangenen Jahr wurde er bester Nachwuchsspieler. Kann er diesem Anspruch im Turnier gerecht werden?
Ja. Wir sind nicht Turnier-Favorit, aber wollen mit einem Weltklasse-Spielmacher an der Weltspitze anklopfen. Diese Erwartungshaltung hat er auch an sich selbst.
"Was von mir erwartet und was über mich geschrieben wird, das ist ein Spiel der Extreme, das geht rauf und runter“, sagte er in einem Interview.
Es gibt nicht umsonst das Sprichwort: "Erwartung ist der Anfang der Enttäuschung." Aber so steigerst und fokussiert du dich immer wieder. Dadurch willst du immer wieder den nächsten Schritt in deiner Entwicklung gehen. Und Juri verdient für seine Entwicklung ein riesiges Kompliment. Jedes Mal, wenn er den Adler auf der Brust trägt, zeigt er, wie wohl er sich in dieser Rolle und Position fühlt.
Das zeigte er auch bei der WM im vergangenen Jahr. Mit Platz 5 war es das beste Ergebnis, seit Alfred Gíslason das Amt des Bundestrainers 2020 übernommen hat. Steht der Bundestrainer vor dem Turnier besonders unter Druck?
Alfred Gíslason hat elf Jahre als Cheftrainer beim THW Kiel gearbeitet. Dort wird jedes Jahr erwartet, die Mannschaft besser zu machen und mindestens einen Titel zu holen. Er ist den Druck gewohnt und auch der Typ dafür, sich diesen selbst zu machen.
Du selbst hast von 2006 bis 2016 in Kiel gespielt, acht Jahre davon unter Gíslason und ihr habt gemeinsam sechsmal die Meisterschaft und zweimal die Champions League gewonnen. Wie hat er sich als Trainer mittlerweile verändert?
Ich freue mich, dass er die Balance zu mehr Lockerheit im Umgang mit den Spielern entwickelt hat. Er spricht die Mannschaft mittlerweile in einer anderen Art an und das ist etwas, was ihn total auszeichnet.
Wie lief es damals unter ihm als Vereinstrainer ab?
Es gab schon den ein oder anderen hitzigen Ton und die Kommunikation war etwas zurückhaltender. Das ist im komplexen Job des Vereinstrainers aber absolut normal.
Und wenn es mal nicht lief?
Dann gab es schon mal eine Beleidigungsstunde für die ganze Mannschaft (lacht). Aber die Ehrlichkeit gegenüber seinen Spielern und seinen Mitmenschen ist immer noch seine große Stärke. Die kann mitunter wehtun, aber sie kann auch guttun. Jetzt gibt er alles für den deutschen Handball und ich hoffe, dass seine Art uns allen hilft.
Du kennst Gíslason und einige Spieler noch aus gemeinsamen Zeiten als Profi. Inwiefern versuchst du in deiner Rolle als ARD-Experte bewusst Abstand zu den handelnden Personen zu halten, um unvoreingenommen urteilen zu können?
Teilweise bin ich noch nah dran, teilweise will ich mir aber auch nicht vorwerfen lassen, irgendwas zu spielen. Was ich sehe, kann ich beurteilen und optimistisch rüberbringen oder eben kritisch analysieren, da ich das System von Alfred Gíslason jahrelang gespielt habe.
Deine erste Sendung hattest du mit Gerhard Delling, mittlerweile bildest du ein Duo mit Alexander Bommes, der selbst professionell Handball spielte. Wie sehr hilft das?
Es haben sich einfach zwei gefunden, die sich absolut blind verstehen und unglaublich gut miteinander abstimmen. Der jeweils andere weiß durch Kopfnicken, was er meint oder wo er eine Frage aufnimmt. Das Zusammenspiel macht unglaublich Spaß und ich bin froh, an seiner Seite zu sein, um diese Handball-Leidenschaft, die auch in ihm steckt, so transportieren zu können.
Bei der WM im vergangenen Jahr fiel Alexander Bommes krankheitsbedingt aus, Stephanie Müller-Spirra ersetzte ihn.
Genau. Und auch mit ihr lief es super. Sie bleibt im Handball-Team und wir werden während des Turniers in einigen Online- und Social-Media-Formaten gemeinsam auftauchen und regelmäßig im Mittagsmagazin zu sehen sein. Daher freue ich mich, den Handball mit zwei so tollen Kollegen zu präsentieren.
Und wie sieht dein Kontakt zu den aktuellen Nationalspielern aus?
Ich freue mich, bei dem ein oder anderen Spieler eine gewisse Nähe zu bekommen. In der Halle bei den Spielen, aber auch bei den Pressekonferenzen im Mannschaftshotel kommen wir noch nah dran. Es ist eine große Offenheit der jungen Spieler zu spüren. Sie sind wissbegierig und hören respektvoll zu und ich kann aus meiner Zeit als Profi-Sportler vielleicht die ein oder andere Erfahrung weitergeben.
Zum Beispiel, wie es ist, bei einem Heim-Turnier den Titel zu holen. Beim WM-Sieg 2007 warst du einer der wichtigen Stützen.
Ich bin aktuell sehr zurückhaltend damit, was die Erinnerungen an 2007 angeht, um denjenigen Raum zu geben, die jetzt auf der Platte stehen. Zudem finde ich den Vergleich für die aktuelle Mannschaft schwierig.
Warum?
Wir haben einen anderen Trainer, ein anderes System und eine komplett andere Spieltaktik.
Wie hast du das "Wintermärchen" dennoch in Erinnerung?
Wenn eine ganze Nation hinter dir steht, ist das einmalig. Du erarbeitest dir von Spiel zu Spiel, dass die Zuschauerzahlen mit dem entsprechenden Erfolg steigen. Aber die Mannschaft ist im Grunde selbst verantwortlich, wie viel Prozent der Nation sie hinter sich bekommt. Die Grundlage dafür ist ein inspirierender, begeisternder und leidenschaftlicher Auftritt.
Was hat euer Team ausgezeichnet?
Die Mannschaft als großes Ganzes. Dazu gehören auch die Spieler 17 und 18, die gar nicht so viele Spielanteile hatten, aber das Team auch außerhalb des Feldes immer unterstützt haben. Gemeinsam mit dem Staff drumherum sind wir zu einer großen Einheit gewachsen. Das ist die Grundlage des Teamerfolgs und diesen Teamspirit spüre ich auch bei dieser Mannschaft.
Wie gelingt es, dass jeder Spieler seine Rolle auch wirklich annimmt?
Das ist die große Stärke des Handballs: In solchen Situationen sein Ego hinten anstellen und in seiner Rolle alles für das deutsche Team zu geben. Egal, ob das auf dem Spielfeld, auf der Bank, hinter der Bank oder im Training ist. Dazu gehört auch, die Entscheidungen des Trainerteams zu akzeptieren und für das gemeinsame Ziel darauf zu vertrauen.