Am Donnerstag wird die Handball-Weltmeisterschaft in Berlin angepfiffen und Christian Schwarzer würde am liebsten immer noch mitspielen. Der 49-Jährige ist besser bekannt unter dem Spitznamen "Blacky" und hat als eisenharter Kreisspieler sowie durch sein gefürchtetes Tempospiel im deutschen Handball Legendenstatus.
Aber nicht nur deswegen: 2007 sprang "Blacky" spontan bei der Weltmeisterschaft als Kreisläufer ein und verhalf den Deutschen zum WM-Titel – und das, obwohl er eigentlich als ZDF-Experte vor Ort war.
Wir haben mit Christian "Blacky" Schwarzer über die anstehende Weltmeisterschaft, zwei Schlüsselspieler des deutschen Teams und Doping im Handball gesprochen.
Was erwartest du von der deutschen Mannschaft bei der WM?
Christian Schwarzer: Bei großen Turnieren zählen die Gastgeber eigentlich immer zu den Favoriten, Deutschland als Doppelgastgeber mit Dänemark hat also einen Heimvorteil. Stimmung und Support in den eigenen Reihen können für eine Mannschaft wahnsinnig hilfreich sein, das konnte man bei der WM 2007 schon sehen. Aber mit festen Prognosen halte ich mich zurück. Mal abwarten, wie die Mannschaft in das Turnier startet. Die Konkurrenz ist dieses Jahr so vielschichtig wie nie und dadurch außergewöhnlich stark.
Vielschichtig?
Es gibt keine Underdogs mehr in diesem Turnier, die Weltspitze ist eng zusammengerückt und alle Mannschaften haben in den vergangenen Jahren spielerisch stark nachgelegt.
So wird neben den Dauerbrennern wie Frankreich oder Spanien auch Brasilien oder Korea zu einem gefährlichen Gegner. Das wird man vermutlich schon im Eröffnungsspiel gegen Korea sehen. Die Asiaten haben eine andere Art, sich auf dem Feld zu bewegen. Das ist für unsere Jungs gewöhnungsbedürftig.
Wen siehst du denn als deutschen Schlüsselspieler?
Die Torhüter Andreas Wolff und Silvio Heinevetter. Sie haben sehr unterschiedliche Techniken und funktionieren jeweils in Kombination mit unserer Abwehr fantastisch. Mit den beiden steht und fällt das deutsche Spiel. Das konnten wir in Polen sehen und das wird auch in diesem Turnier so sein.
Was sagst du zu deinen Nachfolgern am Kreis?
Wir haben mit Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Jannik Kohlbacher ein richtig starkes Trio. Die drei werden am Kreis viel für die Mannschaft rausschlagen können.
Neben dir auf dem Platz standen damals starke Charaktere wie Roggisch, Fritz, Baur oder Kehrmann. Fehlen der aktuellen Mannschaft solche Typen?
Ich würde einen Heinevetter oder Wolff nicht unterschätzen. Die zeichnen sich durch ihren starken Charakter aus und können die Mannschaft ganz schön nach vorne peitschen. Auch Finn Lemke hat mittlerweile ein toughes Standing auf dem Platz. Trotzdem fehlt der Mannschaft ein großer Stratege, der den Ton angibt und damit auch Euphorie im Publikum auslöst. Ein solcher Spieler ist goldwert. Mal abwarten, inwieweit die Mannschaft dieses Fehlen kompensieren kann.
2007 warst du als ZDF-Experte für die Handball-WM gebucht. Deinem Job konntest du allerdings nicht lange nachgehen – nach einer Verletzung rief Trainer Heiner Brand an und teilte dir mit, dass du ab jetzt wieder auf dem Feld stehst. Wie hast du das erlebt?
Vorab wusste ich schon von Brand, dass er mich auf die Liste der Nachnominierten gesetzt hat. Dass er in die Notlage kommen würde, mich wirklich abzuverlangen, hätte ich aber nicht gedacht. Als die Verletzung des Kreisläufers dann in der ZDF-Redaktion bekannt wurde, kam schon mein Moderationskollege und sagte: "Mensch Blacky, war schön mit dir, ab morgen sehen wir dich dann auf dem Feld." Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings von Brand noch nichts gehört. Erst am späten Abend rief er an und entschuldigte sich direkt.
Er entschuldigte sich?
Als er anrief, hatte er mich bereits fest in der Mannschaft aufgestellt, es gab für mich kein Zurück mehr. Das lag daran, dass dem Trainerteam ein Fehler unterlaufen war. Sie hätten beinahe die Deadline für die Anmeldung meiner Nachnominierung verpasst. Die Frist endete nämlich offiziell um zehn Uhr. Um 21:50 Uhr fiel ihnen auf, dass damit nicht 10 Uhr am Morgen gemeint war, sondern eben 22 Uhr am Abend. Da gab es dann natürlich schnellen Handlungsbedarf.
Und deine Reaktion?
Ich habe mich total gefreut. Eine WM im eigenen Land zu spielen, ist doch riesig. Dafür lebt man als Handballer. Rückblickend kann ich ja auch sagen, dass es sich gelohnt hat. Ich habe eines der besten Turniere meines Lebens gespielt.
Sind die Strategien der Bundestrainer Heiner Brand und Christian Prokop unterschiedlich?
Der größte Unterschied zwischen den beiden ist Brands wahnsinniger Erfahrungsschatz. Heiner wusste immer genau, was große Turniere abverlangen und worauf es ankommt. Dadurch war er ein stabiler Leitwolf und die Mannschaft vertraute ihm blind. Bei Prokop hat das letzte Turnier schon gezeigt, dass es ihm einfach an internationaler Erfahrung gefehlt hat. Er harmonierte nicht mit der Mannschaft und hat Dinge gemacht, die ein erfahrener Trainer niemals getan hätte.
Zum Beispiel?
Ein großer Fehler von Prokop war es, Finn Lemke bei der EM 2018 nicht von Beginn an aufzustellen. Lemke ist ein tragender Spieler für das deutsche Team, das hätte er wissen müssen. Dazu kommt, dass die Spieler mit Prokop in jeder Auszeit und vor den Spielen heftig diskutierten, sie waren mit seinen taktischen Entscheidungen oft nicht einverstanden. Aufmerksame Beobachter konnten zudem sehen, dass die Jungs das, was Prokop in den Auszeiten vorgab, auf dem Feld nicht umsetzten. Mit einer solchen Unstimmigkeit im Team ist es kaum möglich Europameister zu werden.
Wird sich das dieses Jahr ändern?
Ich gehe fest davon aus, dass sich diese Fehler nicht wiederholen werden. Es wurde über alles geredet und Unstimmigkeiten konnten aus der Welt geschafft werden. Zudem hat Prokop an Erfahrung gewonnen. Die Mannschaft wird samt Trainer als geschlossene Einheit auftreten.
Als ihr 2007 den Weltmeistertitel geholt habt, sprühte Deutschland vor Handballbegeisterung. Der Hype ebbte aber recht schnell wieder ab. Warum schafft der Handball den Durchbruch beim breiten Publikum nicht?
Nach der WM 2007 bekamen viele Handballvereine auf einmal Zuwachszahlen von Jugendlichen, die sie gar nicht bewältigen konnten. Es gab nicht genügend Trainer und wenig Plätze für Spieler. Heute wären wir auf einen solchen Boom deutlich besser vorbereitet.
Aber auch die Medienpräsenz spielt eine große Rolle: Es ist schön, dass wir auf Sky vertreten sind, aber Sky-Nutzer haben den Sender zum Großteil wegen der Fußball-Bundesliga. Kaum jemand bezahlt den privaten Channel, um Handball gucken zu können. Deswegen ist es wichtig und toll, dass die Handball-WM dieses Jahr wieder in den öffentlichen Sendern zu sehen ist.
Was kann der Handball noch von anderen Sportarten lernen?
Vor zwei Wochen habe ich meinen Kumpel Dirk Nowitzki in Dallas besucht und war auch bei einigen Basketballspielen von ihm. Die Amis machen in Sachen Stimmung beim Basketball einiges besser als wir beim Handball. Dort ist jedes einzelne Spiel ein riesiges Event von vier Stunden. Vor dem Spiel gibt es Aktionen und Merchandising, währenddessen wird Party gemacht und auch danach wird weitergefeiert und unterhalten – trotzdem geht der Fokus auf das Spiel nicht verloren. Von der Stimmung in Dallas können wir uns im Handball also noch eine Scheibe abschneiden.
Handball gilt als eine der härtesten Sportarten. Gehört Schmerz dazu?
Natürlich gehören Schmerzen, vor allem während eines Turniers, dazu. Handball ist eine Vollkontakt-Sportart, über blutige Knie, Zerrungen oder blaue Flecken jammert da niemand. Es ist einfach wichtig, sich als Profi gut vorzubereiten, Regenerationszeiten einzuhalten und auf den Körper zu hören. Dann ist alles im Lot.
Das deutsche Team spielt in den ersten sieben Tagen fünf Mal: Gerade während einer Weltmeisterschaft gibt es für die Spieler diese wichtigen Regenerationszeiten kaum, oder?
Der Zeitraum, in dem gespielt wird, ist eine Wucht und die Belastung ist dementsprechend hoch. Die Jungs müssen allein in der Vorrunde fast alle zwei Tage ran und das wird in der Hauptrunde auch nicht besser. Die ganze Handball-WM dauert ja nur etwas mehr als zwei Wochen. Eine Fußballweltmeisterschaft ist dagegen ein Wellness-Urlaub. Aber es macht auch einen guten Handballtrainer aus, darauf zu achten, dass die Spieler bei dieser Belastung gesund bleiben.
Im Moment wird viel über "Doping" durch Schmerztabletten diskutiert. Wie viele Schmerztabletten hast du während der Weltmeisterschaft genommen?
Ich bin immer gut ohne ausgekommen. Nur wenn es ganz schlimm war, habe ich vielleicht mal eine geworfen. Ich bin von dem Tablettenkonsum überhaupt kein Fan und habe auch wenig Verständnis für Spieler, die damit dauerhaft ihre Schmerzen betäuben. Meiner Meinung nach ist das auch nicht notwendig. Die Spieler sollen lieber in die Eiskammer oder Salbe benutzen, anstatt Tabletten zu schmeißen.
Dein ehemaliger Kollege und Freund Stefan Kretzschmar hat auf die Frage nach dem Schmerztablettenkonsum einmal geantwortet, dass er vor jedem Spiel prophylaktisch schon eine Tablette nimmt...
Ach, das hat Kretzsche in einem jugendlichen Leichtsinn irgendwann einmal erzählt und wird seitdem darauf festgenagelt. Früher hat niemand danach gefragt. Warum auch? Um Handball zu spielen, braucht man nicht zwingend Schmerztabletten, das ist Humbug. Zudem haben wir die besten Ärzte und Physiotherapeuten, die den Spielern bei Schmerzen helfen.
Christian Dissinger ist 2016 mit 24 Jahren als großes Rückraumtalent für die deutsche Nationalmannschaft nominiert worden. Vor seiner Nominierung hatte er bereits zwei Kreuzbandrisse und das EM-Turnier musste er wegen einer Hüftverletzung vorzeitig verlassen. Seitdem ist er nicht mehr in der Nationalmannschaft. Werden junge Talente beim Handball zu schnell und rücksichtslos durchgerockt?
Dissinger ist mit seinem Schicksal kein Einzelfall. Das Problem ist allerdings, dass die Spieler schon in jungen Jahren kompromisslos überlastet werden. Das beginnt bereits in den C- und B-Jugendmannschaften, wenn das Talent entdeckt wird. Dann müssen die Spieler, während der empfindlichen Wachstumsphase, oft jedes Wochenende mehrmals spielen. Ohne richtige Betreuung und Regenerationszeiten machen die Trainer damit den Körper und die Karriere der jungen Spieler kaputt. Es ist also nicht unbedingt der Profisport, der zerstört. Der Grundstein wird meistens schon viel früher gelegt.
Profifußballer verdienen ein Vielfaches mehr als ein Handballer in der ersten Liga. Auch die körperliche Belastung ist, zumindest während großer Turniere, bei Fußballern deutlich geringer. Ist das frustrierend?
Man wird kein Profisportler, um das große Geld zu machen oder berühmt zu werden. Profi wird man, wenn man starken Ehrgeiz, großes Talent und eine unermüdliche Leidenschaft für den Sport hat. Man muss viel aufopfern, um Außerordentliches zu erreichen. Wenn man das geschafft hat, ist es auch unwichtig, was Spieler in anderen Sportarten verdienen. Die Summen, die im Fußball über den Tisch gehen, sind sowieso einfach absurd. Daran sollte sich kein Profi messen.
Wo wir schon beim Fußball sind: Was geht dir durch den Kopf, wenn du Neymar während der Fußball WM siehst? Bei Fußballern frage ich mich immer mal wieder, ob die nicht wissen, dass etliche Kameras auf sie gerichtet sind und Millionen Leute vor den Bildschirmen sitzen. Dass da jemand, der 20 Millionen Euro im Jahr verdient, so eine Show abzieht, geht mir nicht in den Kopf. Ich würde an Neymars Stelle im Erdboden versinken vor Scham, wenn nach so einem Turnier die ganze Welt über mich lacht. Ich empfinde das als unangenehm und unsportlich. Im Handball läuft das anders – zum Glück.