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Pride Month: LGBTQ-Beauftragter des DFB mit harter Kritik an Fifa

Die Regenbogen-Symbolik brachte in den letzten Monaten im Profi-Fußball viele Diskussionen auf.
Die Regenbogen-Symbolik brachte in den letzten Monaten im Profi-Fußball viele Diskussionen auf.Bild: IMAGO / MARIUS SIMENSEN
Interview

LGBTQ-Beauftragter des DFB mit harter Kritik an Fifa: "Vertrauen nicht gewachsen"

Christian Rudolph ist im Vorstand des Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. Seit eineinhalb Jahren ist er auch Ansprechpartner bei der neu geschaffenen Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt beim DFB und setzt sich für die queere Community ein.
29.06.2023, 12:2629.06.2023, 12:30
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Wie sieht der Alltag in der Anlaufstelle aus?

Es war eine zwingende Bedingung, dass die Anlaufstelle an eine externe Organisation vergeben wird und nicht aus den Strukturen des DFB entsteht. Dafür hat die Community gekämpft. Wir hatten sonst die Befürchtung, dass es ein Feigenblatt ist. Deshalb sind wir froh, dass es der LSVD wurde, der sich schon jahrelang für die Rechte queerer Menschen im Sport eingesetzt hat.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem DFB?

Die Kommunikation ist sehr eng. Ich bin in direktem Austausch mit der Abteilung für Nachhaltigkeit und Fan-Belange, aber auch mit den anderen Abteilungen. Mit Bernd Neundorf konnten wir im letzten Jahr einen persönlichen Austausch mit der LGBTIQA+ Community organisieren. Wir hatten mit Covid einen schweren Start, dadurch wurde der Austausch noch mehr ins Digitale verschoben, das macht die Kommunikation aber auch einfacher.

Christian Rudolph von Lesben- und Schwulenverband Deutschland
Christian Rudolph vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland ist auch Ansprechpartner beim DFB. Bild: LSVD / Caro Kadatz

Was sind die Hauptziele der Stelle?

Es geht darum, dass ich die Rechte und Interessen der queeren Community vertrete. Aber auch, dass ich für diese Personengruppe sensibilisiere, aufkläre und Kampagnen gestalte. Aktuell sind wir dabei, Aufklärungsmaterial zu gestalten. Außerdem bin ich mit den Landesverbänden im Austausch.

Deine Stelle gibt es nun seit Januar 2021. Was sind die größten Errungenschaften bisher?

Einerseits die Europameisterschaft im Sommer 2021 als die Herren-Nationalmannschaft mit der Regenbogenbinde aufgelaufen ist. Das war ein starkes Zeichen der DFB-Nationalmannschaft der Männer.

Und andererseits?

Das Spielrecht für trans*, inter* und nonbinäre Personen. Es ist aus den Regelungen des Berliner Verbands entstanden und überarbeitet worden. Mittlerweile gilt es in ganz Deutschland. Als nächsten Schritt gilt es, Ansprechpersonen für queere Themen in den Landesverbänden zu etablieren.

"Beim Thema Spielrecht für trans*, inter*, nonbinäre geht es häufig um den Leistungsgedanken und vermeintliche körperliche Vorteile."
Über Vorurteile beim Spielrecht für trans*, inter* und nonbinäre Menschen.

Welche Anfragen bekommst du oft in der Anlaufstelle?

Aktuell sind es Trainer:innen oder Eltern zum Spielrecht für trans*, inter* und nonbinäre Personen. Es geht aber auch darum, Schiedsrichter:innen und Trainer:innen zu sensibilisieren und mit Vorurteilen aufzuräumen.

Welche Vorurteile gibt es und welche kannst du nicht mehr hören?

Beim Thema Spielrecht für trans*, inter*, nonbinäre geht es häufig um den Leistungsgedanken und vermeintliche körperliche Vorteile. Dabei sollte im Amateurbereich im Vordergrund stehen, dass Fußball für alle Geschlechter ist und alle partizipieren können.

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Deine Stelle als Ansprechpartner für die Kompetenz- und Anlaufstelle ist noch bis zum Ende des Jahres garantiert. Warum nicht länger?

Sie wurde bereits einmal verlängert, die Stelle war ursprünglich als Modelprojekt nur bis Mitte 2022 gedacht. Ich finde das aber nicht verkehrt. Ich habe selbst den Anspruch, die Zusammenarbeit zu überprüfen. Dafür sind befristete Kooperationen gut. Wir hinterfragen uns und den DFB und andersherum.

Wenn du merkst, dass die Anlaufstelle doch zum Feigenblatt wird, würdest du die Zusammenarbeit beenden?

Definitiv. Allerdings ist der Vorteil der externen Stelle so, dass ich unabhängig arbeiten kann. Was man auch in den Interviews zur WM in Katar gesehen hat. Ich will und darf Dinge klar benennen, die nicht gut laufen. Es würde nicht helfen, wenn wir über Probleme nicht sprechen würden.

Was lief aus deiner Sicht denn nicht gut?

Ein Tiefpunkt war definitiv die WM in Katar. Es war im Vorfeld klar, dass es politisch ein sehr diskutables Event wird.

Wie fandest du den Auftritt des DFB in Katar?

Wir hatten gute Gespräche vor dem Turnier, aber mussten feststellen, dass die europäischen Nationalverbände nicht gut vorbereitet waren.

"Die größte Enttäuschung war, dass die großen europäischen Nationalverbände so extrem vor der Fifa eingeknickt sind."
Zur Diskussion um die Kapitänsbinden während der WM in Katar.

Inwiefern?

Es war einfach bizarr, dass die "One Love"-Binde, die eigentlich keine Bedeutung hatte, anders als eine Regenbogenarmbinde, zum Politikum wurde. Die größte Enttäuschung war, dass die großen europäischen Nationalverbände so extrem vor der Fifa eingeknickt sind. Wenn diese Verbände schon keine Stimme in der Fifa haben und sich nicht klar für Menschenrechte einsetzen, ist das ein Schlag ins Gesicht für die Menschenrechte.

In einem Monat findet die Frauen-WM in Australien und Neuseeland statt. Noch sieht es so aus, als wäre die Regenbogenbinde erlaubt. Was denkst du darüber?

Nach den Erfahrungen in Katar ist mein Vertrauen in die Fifa nicht gerade gewachsen. Ich glaube erst daran, dass Teams dort mit Regenbogen-Binde spielen, wenn das erste Spiel angepfiffen wird, in dem eine Kapitänin diese Binde trägt. Dann aber bitte zukünftig auch überall und nicht nur da, wo es bequem ist.

Der DFB hat die Anlaufstelle für die queere Community gebildet. Wie sieht die Situation im internationalen Vergleich aus?

Gerade die Länder im angelsächsischen Raum sind die Vorreiter. In Großbritannien, den USA oder Australien starten die Verbände und Vereine große Aktionstage mit ihren Ligen und Vereinen im Pride Monat. Insgesamt ist die Sichtbarkeit dort seit Jahren gewachsen und uns um einiges voraus. Deshalb verwundert es auch nicht, dass es in diesen Ländern Coming Outs von aktiven Profis gibt. Aber auch da sehen wir wie schwierig und wenig selbstverständlich es ist, wenn wir aktuell in die NHL schauen, die gerade Aktionen wie Trikots mit Regenbogen verboten haben. Es wir nur gemacht, solange es bequem und wirtschaftlich ist bzw. es keinen Widerstand gibt.

Du deutest hier beispielsweise den Australier Josh Cavallo und den Briten Jake Daniels an, die beide noch spielen und ihre Homosexualität öffentlich gemacht haben.

Genau. In diesen Ländern ist es anders. Neben Fußball gibt es auch andere starke Sportligen zum Beispiel Rugby und American Football, wo es bereits bekannte öffentliche Coming-outs gab. Da fokussiert sich die Frage auch nicht so stark nur allein auf den Fußball.

Würdest du einem deutschen Profi ein Coming-out empfehlen?

Ich würde es mir wünschen. Ich bin auch sicher, dass es eine große Akzeptanz und Unterstützung geben würde. Aber es wird Situationen geben, da wird es schwer sein, da werden Spieler*innen sich alleine fühlen. Das ist aber immer so, nur durch ein Coming-out haben die Idioten dann aber einen weiteren vermeintlichen Punkt, mit dem sie die Spieler treffen können. Besonders erschrocken hat mich das EM-Finale 2021.

Als drei Elfmeter von Jadon Sancho, Bukayo Saka und Marcus Rashford verschossen wurden.

Die Schützen wurden im Anschluss aufgrund ihrer Hautfarbe aufs übelste rassistisch beleidigt. Das war unfassbar.

Ist das ein Hauptgrund dafür, dass es in Deutschland noch kein Coming-out gibt?

Ich denke schon, dass die Reaktionen gerade in den sozialen Netzwerken abschrecken können. Wenn die Menschen dann beispielsweise auf ihre Sexualität oder ihre geschlechtliche Identität reduziert werden.

Was braucht es im Fußball für mehr Offenheit?

Konkrete Aufklärung in den Vereinen und Verbänden durch Schulungen. Bayern München hat beispielsweise 800 Mitarbeitende. Ich kann mir vorstellen, dass dort auch einige Mitarbeitende queer leben, aber nicht offen geoutet sind. Solange wir in den Klubs keine Offenheit haben, wird es auch im Stadion schwer werden.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist das beim Frauen-Fußball anders. Warum?

Auch bei den Frauen war ein öffentliches Coming-out lange kein Thema. Erst 2008 gab es das erste. Auch heute ist es noch keine Selbstverständlichkeit. Das haben sich die Frauen hart erarbeitet, ohne nennenswerte Unterstützung durch die Verbände oder Vereine. Eventuell war es in der Hinsicht ein Vorteil, dass hinter dem Frauen-Fußball lange nicht das große Geschäftsmodell stand. Das hat den Druck zumindest ein wenig verringert. Erst durch ihre Präsenz in den Sozialen Medien steigt das Interesse.

Ist so eine Entwicklung auch für den Männer-Fußball realistisch?

Irgendwann wird sicherlich die Zeit kommen, in der es selbstverständlich ist. Da gehören aber alle Player im Fußball dazu. Auch die Medien, die viel Sexismus reproduzieren. Ich glaube aber, dass da leider noch sehr viel Arbeit vor uns liegt, bis dieser Punkt erreicht ist.

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