Watson: Almuth, wie gut ist das DFB-Team im Tor perspektivisch aufgestellt?
Almuth Schult: Auf der einen Seite sehe ich viele Kandidatinnen. Mit Blick auf andere Nationen können wir uns glücklich schätzen. Schweden oder Dänemark haben deutlich größere Schwierigkeiten, fünf Torhüterinnen zu finden, die das Niveau für die Nationalmannschaft mitbringen.
Aber?
Alle Torhüterinnen, die im Dunstkreis der Nationalmannschaft sind, haben sich noch nicht jahrelang auf Spitzenniveau bewiesen. Wir brauchen in den Turnieren Spielerinnen, die mit dem hohen Druck umgehen können. Das lernt man in großen Spielen. Deshalb ist Berger jetzt umso wichtiger, sie hat die Erfahrungen mit PSG, Chelsea und New York schon gesammelt.
Merle Frohms besitzt ebenfalls einen großen Erfahrungsschatz, hat ihre Karriere im DFB-Team aber beendet. Ist Berger im Tor also zu Recht gesetzt?
Mit Ann-Katrin Berger haben wir eine sehr erfahrene Torhüterin, wenngleich sie noch nicht allzu viele Länderspiele und mit Olympia erst ein Turnier selbst gespielt hat. Ihre Leistung bei dem Turnier war auch zum Teil durchwachsen, lebt in der Bewertung sehr von den gehaltenen Elfmetern. Es waren einzelne Aspekte ausbaufähig, aber das gehört dazu. In den USA, also in einer Topliga, hat sie im letzten Jahr bewiesen, wie gut sie ist, wurde dort zur Torhüterin des Jahres gewählt.
Dahinter lauern mehrere junge Torhüterinnen.
Stina Johannes ist als zweite Torhüterin vermutlich gesetzt. Sie hat in Frankfurt eine so weit solide Saison gespielt, ist aber nicht in der Champions League angetreten. Generell wollen wir Torhüterinnen mit internationaler Erfahrung.
Ena Mahmutovic ist als dritte Torhüterin dabei. Mala Grohs und Rafaela Borggräfe haben den Sprung in den EM-Kader damit knapp verpasst.
Sophia Winkler wäre eine der Favoritinnen gewesen, hat sich aber verletzt. Mahmutovic hatte mehr Einsätze als Grohs, aber das muss nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Welche Eigenschaften sind bei einer dritten Torhüterin denn am wichtigsten?
Es gibt nicht nur eine sportliche Dimension. Alle wissen, dass die Nummer Drei unter normalen Umständen nicht spielen wird. Es geht unter anderem um gute Stimmung im Torwartteam, vier Wochen Stress möchte niemand. Die Nummer Eins benötigt Ruhe, Gelassenheit und Unterstützung.
Wie kann Mahmutovic dieser Rolle gerecht werden?
Die dritte Torhüterin ist auch als Stimmungsaufhellerin und Lagerkollerbrecherin gefragt, die mit dem Rest des Kaders gut zurechtkommt. Diese Rolle darf man nicht unterschätzen, auch wenn sie oft übersehen wird.
Borggräfe verlässt Freiburg im Sommer, ihr Ziel ist aber noch offen. Wo sollte sie den nächsten Schritt gehen, um künftig auch im DFB-Team eine größere Rolle zu spielen?
Ein sinnvoller Schritt führt immer zu einem Verein, bei dem man Spielpraxis bekommt. Sinnvoll ist es aber auch, ein anderes Land, eine andere Fußballkultur kennenzulernen. Und trotzdem wäre der nächste Schritt für Borggräfe auch in Deutschland möglich. Frankfurt ist nicht so weit von Freiburg entfernt. Durch die Verletzung von Winkler könnte das eine Option sein. Ich kenne ihre Gedanken aber nicht.
Erst einmal steht ohnehin eine EM an. Es ist das erste große Turnier nach deinem Karriereende. Fühlt sich das komisch an?
In gewisser Weise ja – auch, weil es das erste Frauenturnier ist, das ich als Expertin begleite. Bisher war ich nur als Gast dabei. Es ist vergleichbar mit einem Männerturnier, aber mit dem Zusatz, dass ich viele noch persönlich kenne. Das macht es besonders.
Erleichtern die persönlichen Kontakte die Vorbereitung?
Ja, es erleichtert die Vorbereitung, weil man so interne Einblicke oder Erklärungen bekommt. Das ist gerade im Frauenfußball von Vorteil, der Unterschied zu den Männerturnieren ist enorm.
Inwiefern?
Bei den Männern bekommt man alle möglichen Daten aus zahlreichen Datenbanken zur Verfügung gestellt oder auch viel Videomaterial. Bei den Frauen hingegen sucht man lange und hat am Ende drei Informationsquellen, die alle unterschiedliche Dinge behaupten. Da ist man froh, wenn man selbst in gewisser Weise Fakten schaffen kann.
Sind die persönlichen Kontakte beim Bewerten von Leistungen hingegen eine Last?
Ich versuche immer das zu bewerten, was ich sehe – nicht polemisch, sondern hoffentlich fundiert. Es gibt aber sicherlich ein paar Hintergrundinformationen, die nicht für die Zuschauer und Zuschauerinnen bestimmt sind. Da muss ich im Männerbereich weniger aufpassen.
Zu deinem Karriereende hast du kürzlich von Wehmut gesprochen. Verspürst du nun trotzdem eine gewisse Vorfreude?
Ein Turnier ist immer etwas Besonderes, daher wird diese Vorfreude stets vorhanden sein – auch jetzt. Mir ist zudem bewusst, was die EM nun wieder auslösen kann. Die EM 2022 hat eine gewisse Nachhaltigkeit in der Entwicklung gebracht. Dadurch wurde das eine oder andere Vorurteil abgebaut.
Blicken wir noch kurz auf die Frauen-Bundesliga: 2012 meldete der HSV-Vorstand das Frauenteam aus der Bundesliga ab, jetzt ist dein Ex-Klub zurück. Was hat sich in Hamburg getan?
Das Trainingsgelände ist grundsätzlich noch das Gleiche, ansonsten aber hat sich so einiges zum Positiven verändert. Das Team sitzt nicht mehr im hintersten Trakt, die Räumlichkeiten sind größer und moderner. Auch der Trainingsplatz ist nicht mehr so weit weg und von besserer Qualität, wenngleich noch nicht optimal. Es ist noch Potential da und ich bin gespannt, was mit dem Aufstieg nun noch passiert.
Alle Heimspiele werden im Volksparkstadion ausgetragen und die Spielerinnen sollen künftig komplett vom Fußball leben können.
Ich schätze das sehr und hoffe, dass die Vorschusslorbeeren bestätigt werden. Der HSV wird daran gemessen werden, wie er seine Pläne umsetzt. Für mich gehört auch dazu, dass man die Frauen in die AG eingliedert und damit als Profiabteilung betrachtet. Ich freue mich also, dass der HSV zurück ist. Ich würde mich aber noch mehr freuen, wenn es der HSV ernst meint.