Bunte Kritzeleien verzieren das weiße Piano, an dem Jon Batiste, "The Maestro", wie ihn der Stadionsprecher vorstellt, inmitten des Caesars Superdomes Platz nimmt. Aus seiner Kehle ertönt die Nationalhymne der Vereinigten Staaten, jazzy, im Stile eines siebenfachen Grammy-Preisträgers.
Mehr als 70.000 Menschen im Stadion und rund 120 Millionen vor TV-Bildschirmen schauen auf Batiste. Dem Mann, dem zwei Minuten lang die wohl größte Bühne der Welt gehört, bevor das Spiel der Spiele beginnt.
Aber am Abend des 59. Super Bowls muss sich Bastite das Rampenlicht mit einem anderen Mann teilen: Donald Trump. Auf dem Jumbotron, einem gigantischen Flatscreen, ist zu sehen, wie Trump als der erste amtierende US-Präsident beim wichtigsten Sportevent des Landes live vor Ort, salutiert.
Das Stadion habe gemischt reagiert, Nachrichtenagenturen berichten von Buh-Rufen und Jubel, also von Zuspruch und Ablehnung. Zutreffend, für ein Land, das gespaltener nicht sein könnte. Und für einen Mann, der polarisiert wie kaum ein anderer.
Dafür braucht er nicht einmal eine rote "MAGA"-Cap. Kein Attentat, keine mechanischen Dancemoves eines 78-Jährigen, keine Unterschrift unter einem Dekret, das Transmenschen um ihre Rechte beraubt und damit den "Krieg gegen den Frauensport" für beendet erklärt.
Es benötigt auch keine unterzeichnete Proklamation, die den 9. Februar 2025 offiziell zum ersten "Golf von Amerika"-Tag erklärt.
Der Präsident der Vereinigten Staaten muss lediglich für wenige Sekunden auf einem Flatscreen zu sehen sein, im Vorfeld ein paar Hände schütteln, die von Chief-Star Chris Jones und die der Angehörigen, die an Neujahr einen Menschen beim Anschlag von New Orleans verloren haben.
Und: Er kann in einem vorab aufgezeichnetes Interview mit dem TV-Sender FOX News zu sehen sein, in dem er sagt, dass er "das Land zusammenbringen" wolle.
Donald Trump polarisiert, egal wie. Weil er der König der Selbstinszenierung ist.
Dabei kann es ihm ganz gleich sein, in welche Richtung das Stimmungspendel ausschlägt, ob er in tosendem Applaus oder in Missgunst badet. Die Gemüter des Landes richten sich an Trump aus wie Späne an einem Magneten.
Verachtung ist – noch mehr als Zuspruch – Teil seines politischen Erfolgs. In seinen ersten Amtswochen hat Trump verdeutlicht, dass er sich weder um Traditionen noch Konventionen schert und schon gar nicht darüber, was andere davon halten.
Hätte sich Trump – wie viele Menschen, die 2025 zu ihrem Jahr erklärt haben – ein Vision Board erstellt, würde darauf "Haters gonna hate" geschrieben stehen, sein Mantra. Gleich daneben: "America First", das Bild einer Mauer und ein Foto seiner Besties Elon Musk und Mark Zuckerberg.
Mal wieder hat es Donald Trump also geschafft, die Aufmerksamkeit auf seine Wenigkeit zu lenken. In einem Moment, in dem ein schwarzer Musiker die Nationalhymne singt. Und an einem Ort, an dem schwarze Sportler so öffentlichkeitswirksam erfolgreich sind wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich.
Dass Donald Trump den Super Bowl als amtierender Präsident besucht, ist also kein Zufall.
Er instrumentalisiert den Sport gezielt, um seinen Kulturkampf fortzusetzen. Insbesondere Schwarze und "woke" Stimmen, die für soziale Gerechtigkeit eintreten, macht er zur Zielscheibe – heute diskreter und stiller als noch vor acht Jahren.
In der ersten Amtszeit von Trump knieten sich Sportler während der Nationalhymne hin – ein stiller Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt. Initiiert von Football-Spieler Colin Kaepernick, der zum Gesicht der "Black-Lives-Matter-Bewegung" wurde.
Für den Präsidenten glich dies einem Tabubruch, einer Respektlosigkeit, die er nicht dulden wollte. Wütend wetterte er gegen die NFL, forderte sogar, dass Spieler entlassen werden:
Die Liga solidarisierte sich mit Kaepernick, andere berühmte Sportler wie US-Basketballer Stephen Curry widersetzten sich Trump. Er hatte nach der Meisterschaft mit den Golden State Warriors die traditionelle Einladung ins Weiße Haus abgelehnt.
Mit Bedauern musste Trump feststellen, dass die Strategie nur zum Teil aufging. Deshalb lässt er Athleten seinen Kulturkampf austragen. Oder besser gesagt: austanzen.
Nick Bosa, Defense End der 49ers, hat es Trump nachgemacht: Die Arme angewinkelt, vor und zurück, etwas mechanisch, die Fäuste geballt. Den gleichen Tanz, den Bosa einst auf dem Spielfeld machte, führte Trump am Ende seiner Wahlkampfveranstaltungen auf. Häufig, wenn "YMCA" der Village People lief.
Der Umgang mit Taylor Swift und ihren "woken" Swifties ist jedoch ein anderer. Vielleicht sogar ein erfolsversprechender, wenn man bedenkt, dass sie während des Super Bowls ausgebuht wurde.
Zu Gunsten von Trump: Der Präsident HASST die Pop-Ikone. Seine Verachtung bringt er mithilfe von Großbuchstaben auf Social Media zum Ausdruck. Und indem er von ihr, der Harris-Unterstützerin, seinem politischen Feindbild, ablenken möchte.
Statt Swift, Freundin von Chiefs-Star Travis Kelce und der Grund, warum die ganze Welt bunte Freundschaftsbänder bastelt, verdient die Frau an der Seite eines anderen Football-Spielers seinen Respekt: Brittany Mahomes.
"Ich habe mir diesen großartigen Quarterback (Patrick Mahomes, Anm. d. Red.) angeschaut, der eine phänomenale Frau hat. Sie ist Trump-Fan und "MAGA"-Fan. Ich liebe sie, sie ist eine großartige Person", erklärte Trump seine Sympathie gegenüber der im NFL-Finale kläglich gescheiterten Kansas City Chiefs.
Donald Trump hat nach seiner ersten Amtszeit verstanden: Der Sport hat Macht, die er für seine Politik nutzen kann. Deshalb wird er in seiner zweiten Amtszeit weitermachen: Tanzen, Salutieren und "woken" Akteur:innen ihre Bühne rauben.