Die EM 2024 geht in ihre finale, vermeintlich heißeste Phase. Die verbleibenden vier Teams kämpfen am Dienstag- und Mittwochabend um die beiden Tickets fürs Endspiel in Berlin. Der Endgültigkeit des Turniers zum Trotz, gerät in unserer Redaktion niemand ins Schwitzen, vielmehr lösen England, Frankreich, die Niederlande und Spanien bei uns Schüttelfrost aus.
Wir werden in dieser Woche womöglich Zeuge der biedersten EM-Halbfinals der Geschichte, denn drei der verbliebenen Mannschaften sind mies, die vierte spielt Handball. Mit einem Augenzwinkern gehen wir die Makel der Teams durch.
Vor dem Turnierbeginn wurden die Three Lions von vielen zu den absoluten Topfavoriten unter den größten Titelanwärtern gekürt. Sie stellen immerhin den wertvollsten Kader der Welt, Stars wie Harry Kane, Phil Foden, Jude Bellingham, Declan Rice, Bukayo Saka oder Cole Palmer haben zudem eine individuell herausragende Spielzeit hinter sich.
Neben den vielen Zauberern auf dem Platz haben die Engländer aber auch einen echten Magier an der Seitenlinie. Gareth Southgate, zwar ohne Blitznarbe auf der Stirn, dafür aber offensichtlich mit dem Tarnumhang von Harry Potter ausgestattet, versteckt all die wundervollen Fähigkeiten seiner Offensivspieler, wie es sonst nur J. K. Rowling herschreiben kann.
Gleichwohl ist der Nationaltrainer ganz offensichtlich auch ein Anhänger Lord Voldemords. Mit dunkelster Magie führte er, dessen Name unter Fans des Joga Bonitos nicht genannt werden darf, England schließlich der Definition von Terrorfußball zum Trotz ins Halbfinale.
Dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wurde kürzlich im Viertelfinale gegen die Schweiz mehr als deutlich: Die Briten verwandelten all ihre fünf Elfmeter. Ohne schwarze Magie unmöglich!
Les Bleus könnten durchaus ein Vorbild für die Engländer sein. Schon seit Jahren verfügt die französische Nationalmannschaft über eine absurde Auswahl an herausragend guten Fußballern, jede Position ist mindestens doppelt mit Topspielern besetzt. Gegen ansehnlichen Fußball scheinen die Franzosen trotzdem allergisch zu sein.
2018 wurden die Franzosen ohne Treffer von Mittelstürmer Olivier Giroud, dafür aber mit Sechser Blaise Matuidi auf dem Flügel Weltmeister. Auch dieses Mal bemüht sich Didier Deschamps gar nicht um eine Desensibilisierung. Stattdessen setzt der Nationaltrainer vor der zurückhaltend agierenden Viererkette auf drei Abräumer, insgesamt also auf sieben primär defensiv denkende Spieler. Sicher ist sicher ist sicher. Es soll nicht kribbeln, weder in der eigenen Nase noch bei den Zuschauenden.
Einem Außenseiter wie Georgien kann man eine solche Ausrichtung verzeihen, nicht aber einem Team, das mit Superstars gespickt ist. Kylian Mbappé etwa, gefühlt seit Beginn seiner Karriere stets Torschützenkönig der Ligue 1. Giroud, Rekordtorschütze der Équipe Tricolore. Marcus Thuram, Meistermacher in Mailand. Millionenmann Randal Kolo Muani oder auch Antoine Griezmann, in puncto Frisuren legitimer Nachfolger von David Beckham.
Sie alle haben eins gemeinsam: Aus dem Spiel heraus haben sie bei dieser EM noch kein einziges Tor erzielt. Wie der Rest der Mannschaft. Denn in fünf Spielen haben die Franzosen gerade einmal drei eigene Treffer bejubelt. Zwei davon waren Eigentore, der dritte ein Elfmeter. Eine solche Allergie gegen eigens erzielte Treffer sollte eigentlich zwingend einen Arztbesuch nach sich ziehen.
Genug der Meckerei, jetzt ist auch mal ein Lob angebracht! Sie liefern wirklich ab, dominieren weit über 90 Minuten und haben selbst die deutschen Herzen erobert. Die niederländischen Fans reihen bei dieser EM eine atemberaubende Show an die nächste, hüpfen stets gut gelaunt von links nach rechts und dann wieder von rechts nach links.
Die Mannschaft hingegen kann mit diesen Glanzleistungen nicht mithalten. Von links nach rechts und dann von rechts nach links zu verschieben, entpuppte sich wiederholt als Problem. Oranje stellt schließlich die schwächste Defensive aller Halbfinalisten. Und auch das mit dem Hüpfen klappt oftmals nicht, drei Gegentore kassierte das Team per Kopf.
Widersprüche gibt es aber nicht nur zwischen Fans und Spielern, sondern auch bei den Auftritten der Mannschaft. Gegen Frankreich und Österreich hingen die Niederländer in den Seilen, gegen Rumänien teilten sie umso gewaltiger aus. Diese fehlende Konstanz zeigt sich auch in einzelnen Spielen: Gegen Polen war nur eine Halbzeit gut, gegen die Türkei nur die letzte halbe Stunde. Gereicht hat das trotzdem irgendwie, es passt zu dieser EM.
Eigentlich ist in der Zwischenüberschrift schon alles gesagt, was man über La Roja wissen muss. Da steht eine gewissenlose Elf auf dem Platz, die sich nicht zu schade ist, Toni Kroos' Traum vom Titel im eigenen Land zu zerstören. Sein letzter Wunsch als aktiver Profi. Jener Mann, der im Finale der Champions League Anfang Juni noch so viele Madrilenen glücklich gemacht hatte. Wie herzlos kann man eigentlich sein?
Mal abgesehen davon, dass Marc Cucurella eindrucksvoll bewiesen hat, dass da eher ein Handball- denn ein Fußballteam auf dem Rasen steht. Oder ist es doch eine Elf von Basketballern? Mikel Merinos Hang Time in der 119. Minute roch jedenfalls mehr nach Michael Jordan denn nach Jozy Altidore.
Hätte Julian Nagelsmann mal bei Gordon Herbert, dem Trainer der deutschen Basketballnationalmannschaft, angerufen und dessen Team auf den Platz geschickt. Der Sieg wäre dem Heimteam sicher gewesen, das ist ganz klar. Dennis Schröder, Franz Wagner und Co. haben sich 2023 in Manila schließlich zum Weltmeister gekürt.
Trotz all der Kritik und Häme sei mit Blick auf England, Frankreich, die Niederlande sowie Spanien aber auch einmal Christoph Kramer zitiert. Am Ende "gibt der Erfolg recht, Erfolg ist sexy", sagte der TV-Experte nach den Viertelfinals beim ZDF.
Letztlich finden sich für alle vier Nationen auch gute Gründe, warum sie im Halbfinale stehen: England und Frankreich sind defensiv kaum zu überwinden, die Spanier spielen bis dato womöglich den besten Fußball und die Niederländer haben mehrmals die passende Reaktion gezeigt.
Unser Fußballherz aber sagt trotzdem etwas anderes.