"Sie sind die Besten, These are the Champions", wird es ab kommenden Dienstag wieder aus den Stadionlautsprechern in ganz Europa dröhnen. Dann heißt es Jürgen Klopp gegen Julian Nagelsmann, Neymar gegen Messi oder Gladbach gegen das Starensemble von Manchester City und Pep Guardiola.
So klangvoll diese Namen auch sein mögen, diese vermeintlichen Top-Spiele ohne Zuschauer sorgen für Fans in Zeiten der Corona-Pandemie für keinen Adrenalinschub, sondern eher für Unverständnis. Besonders in der aktuellen Lage, wenn die Austragungsorte der Spiele quer durch ganz Europa verteilt werden.
Gespielt wird aber trotzdem. Trotz Lockdown-Maßnahmen und Corona-Mutationen. Getreu dem Motto: "Irgendwo wird es schon ein Schlupfloch geben, dann dürfen wir auch spielen." Natürlich ist es für die Menschen weltweit schön, etwas Ablenkung aus dem tristen Pandemie-Alltag zu bekommen, aber verantwortungsvoll ist das Handeln der Fußballverantwortlichen keinesfalls.
Um sich die Absurdität einmal konkret vor Augen zu führen, reicht ein kurzer Blick auf die bisher bekannten neuen Spielorte. Leipzig und Gladbach werden ihre Spiele gegen die englischen Klubs Liverpool und Manchester City in Budapest austragen. Der Grund: In Deutschland gilt wegen der Corona-Mutationen eine Einreisesperre für Großbritannien. Ähnliche Regelungen gibt es auch in anderen Ländern.
Weil in Norwegen strenge Einreiseregeln gelten, muss die TSG Hoffenheim ihr Spiel in der Europa League gegen Molde BK im spanischen Villareal austragen. Das spanische Team Real Sociedad San Sebastian darf hingegen nicht in ihrer Heimat gegen Manchester United antreten, sondern wird in Turin spielen. Auch Atletico Madrid wird gegen den FC Chelsea um Trainer Thomas Tuchel in Bukarest spielen. Benfica Lissabon wird seine Partie gegen Arsenal London in Rom austragen.
„Es ist in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, in der Bevölkerung noch Verständnis für die Maßnahmen zu bekommen, immer schwerer vermittelbar, wenn Profifußballer kreuz und quer durch Europa reisen können – auch wenn sie in einer aus ihrer Sicht sicheren Blase leben“, kritisierte Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages, gegen über RTL/ntv am Mittwoch. Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil attestierte dem Fußball einen Realitätsverlust. Doch die Reaktionen der Politik wirken wie blanker Aktionismus.
Die Chance, die Austragung von Champions-League oder Partien der Nationalmannschaft zu kritisieren, war schon ab September gegeben als die Gruppenphase startete. Bereits da reisten Klubs quer durch Europa und teilweise mit ihren Nationalteams bis nach Südamerika.
Es ist doch eher unwahrscheinlich, dass Spieler von englischen Klubs, die sowieso jeden zweiten Tag getestet werden, per Privatjet anreisen und auch in Deutschland nichts außer Flughafen, Hotel und Stadion zu Gesicht bekommen, für die Verbreitung der Virusmutation sorgen. Da ist die Gefahr bei Reisen quer durch Europa um einiges größer.
Den Vereinen ist in der ganzen Sache natürlich ein gewisser Vorwurf zu machen, doch die Hauptverantwortung liegt beim Europäischen Fußball-Verband (UEFA). Als Veranstalter der Champions- und Europa League zwingt der Verband die Vereine geradezu zur Durchführung der Spiele und droht mit Geldstrafen oder damit, das Spiel als 0:3-Niederlage zu werten. Wollen die Klubs weiterhin von den Antrittsprämien profitieren, haben sie keine andere Wahl.
Warum aber nicht die besonderen Umstände nutzen und die beiden Wettbewerbe wie im vergangenen Jahr in einem Turnierformat an einem bestimmten Ort austragen? Der Gesundheit der Spieler hat es nicht geschadet – die Ansteckungsgefahr war geringer und die Belastung, besonders in einem Jahr mit Europameisterschaft, wäre nicht allzu hoch. Außerdem sorgten die spannenden K.O.-Spiele wieder für einen gewissen Adrenalinschub bei den Anhängern, den sie so schon lange nicht mehr erlebt haben. Doch die Fernsehprämien sind offenbar einfach wichtiger als die Fans.