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DFB-Frauen bei Olympia 2024: Wie Gwinn, Freigang und Brand den Sport prägen

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Auf sie mit Gebrüll: Die DFB-Fußballerinnen stürmen nach dem entscheidenden Elfmeter in Richtung Torhüterin Ann-Katrin Berger.Bild: imago images / zuma press wire
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DFB-Team bei Olympia 2024: Diese Generation wird den Fußball der Frauen verändern

06.08.2024, 09:43
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Manchmal sind es die Dinge, über die nicht gesprochen wird, die beweisen, dass Veränderung stattfindet. Die Spielerinnen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft haben im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 so gut wie nicht über das eine Dauerthema geredet, das die Diskussionen lange begleitete: den Vergleich mit den Männern.

Keine Diskussionen über Prämien oder ungleiche Bezahlung. Keine Interviews, in denen Spielerinnen anmerken, dass die Frauen weniger auf dem Rasen liegen als ihre männlichen Kollegen. Keine Debatten über die Frage, warum bei den Frauen Homosexualität im Sport kein Problem darstellt und bei den Herren schon.

Es ist wie eine stille Revolution, über die niemand spricht. Aber im Sommer 2024 deutet vieles darauf hin, dass sich die Frauen im Fußball endgültig emanzipiert haben von den übermächtigen Dingen. Sie machen ihr eigenes Ding, sorgen für Aufsehen – und es ist eine Wohltat, ihnen dabei zuzusehen.

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Bitte nicht falsch verstehen: Niemand wird behaupten, dass die Frauen und die Männer bei Deutschlands Volkssport Nummer eins auf Augenhöhe sind und alle Debatten für immer beendet sind. Aber die Sache ist: Die Frauen benötigen diesen Status gar nicht, um erfolgreich zu sein. Und das ist eine gute Nachricht für die Fußballerinnen.

Klar, man muss vom größten Sportverband der Welt, dem Deutschen Fußball-Bund, erwarten, dass er im Sinne der Gleichberechtigung für einen WM-Titel der Frauen die gleichen Prämien ausschüttet wie für einen WM-Titel der Männer. Wir leben schließlich im Jahr 2024. Aber an allen anderen Stellen hilft der Blick auf die unterschiedliche Bezahlung in den Vereinen nicht.

Nationalspielerin Laura Freigang fasste das Thema vor zwei Jahren in der "Sport-Bild" so zusammen: "Wenn wir keine Millionen einspielen, kann man solche Beträge auch nicht ausschütten." Dem "Spiegel" sagte sie zum gleichen Thema: "Ich würde keine Millionen verdienen wollen, um ehrlich zu sein. Das ist nicht das, was wir uns primär wünschen."

Es wirkt rückblickend wie der Moment, in dem sich die Spielerinnen den Mund abwischten und beschlossen, ab sofort ihr eigenes Ding zu machen. Und das tun sie auf beeindruckende Art und Weise.

Jule Brand, Giulia Gwinn, Lena Oberdorf: Gesichter der neuen Generation

Die junge Generation an Spielerinnen ist gerade drauf und dran, den Fußball für Frauen auf höchstem Niveau nachhaltig zu verändern. Denn die aktuell verletzte Lena Oberdorf (22), Giulia Gwinn (25), Jule Brand (21) oder eben Freigang (26) haben in den vergangenen Jahren Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache betrieben und ernten dafür nun die Früchte.

Sie sind nicht nur herausragende Sportlerinnen. Sie sind auch Markenbotschafterinnen und Vorbilder und haben sich diesen Status gezielt aufgebaut.

Die Spielerinnen haben es geschafft, via Social Media Marken aus sich zu machen. Und so nicht nur riesiges Interesse auf sich, sondern auch auf ihren Sport zu lenken. Gwinn betont zwar regelmäßig, als Sportlerin und nicht als Influencerin wahrgenommen werden zu wollen, doch das ist in ihrer Bubble eigentlich selbsterklärend.

Hinzu kommt: Der größte Instagram-Influencer der Welt ist Cristiano Ronaldo, nicht Taylor Swift oder Kylie Jenner. Nur kommt bei ihm niemand auf die Idee, ihm vorzuwerfen, aus seinem Aussehen und seiner Popularität Profit zu schlagen.

Die Fußballerinnen wären schön blöd, würden sie das Social-Media-Game nicht mitspielen. Und dabei kann jede Spielerin selbst entscheiden, wie sie Tiktok und Instagram befeuern.

Im Falle des DFB-Teams hat auch der Verband verstanden, wie man heutzutage seine Sportlerinnen abseits des Rasens öffentlichkeitswirksam inszeniert. Allerbestes Beispiel ist ein Video, das Jule Brand und Laura Freigang in Marseille aufgenommen haben:

Die beiden Spielerinnen, für ihren Humor und ihre authentische Art bekannt, spazierten durch die Stadt und redeten über wichtige und eher unwichtige, dafür aber amüsante Dinge.

Man konnte in der watson-Redaktion beobachten, dass der Plan aufging: 15 Minuten, nachdem das Video online gegangen war, hatte unser Kollege fünf Themenvorschläge zu dem Clip parat. Denn: Brand und Freigang sprachen über die verletzte Lena Oberdorf, ungewöhnliche Marotten der Zimmerkolleginnen, die Nervosität vor der Nominierung, die etwas seltsame Kommunikation von Trainer Horst Hrubesch und die für Sex zu wackligen Betten im olympischen Dorf.

Das Ergebnis war: Wir schrieben zwei Texte über die DFB-Frauen und verzichteten auf zwei Meldungen der Herren-Bundesliga, die wir eigentlich auf dem Zettel hatten.

Die Rechnung der DFB-Frauen ist aufgegangen. Nicht nur bei uns, sondern auch auf Instagram, Tiktok und Youtube, wo die Videos und einzelne Schnipsel daraus mehrere Millionen Views generierten.

Laura Freigang bei Eintracht Frankfurt: Identifikationsfigur des Vereins

Und was während der Olympischen Spiele funktioniert, läuft auch in etwas kleinerem Ausmaß bei den Klubs: Laura Freigang gehört zu den größten Identifikationsfiguren von Eintracht Frankfurt, Lena Oberdorf ist längst nicht nur sportliches Vorbild, sondern auch Stil-Ikone, Jule Brand rückt den VfL Wolfsburg in den Fokus. Die Spielerinnen erreichen so Millionen von potenziellen Zuschauer:innen und, noch wichtiger, junge Mädchen und Teenagerinnen, die sehen, dass sich eine Fußballerin heutzutage vor keinem Fußballer mehr verstecken muss.

Und die Entwicklung ist noch lange nicht am Ende. Die Generation an jungen Spielerinnen wird dieses Game, das vor allem US-Sportler:innen viel früher verstanden haben, noch ein Jahrzehnt durchziehen und nachwachsende Fußballerinnen werden es ihnen gleich tun. Und plötzlich winken Werbeverträge, Kooperationsmöglichkeiten und ein Interesse am Fußball der Frauen, das lange Zeit undenkbar war.

Am Samstagabend lief das Zweitligaspiel des FC Schalke 04 auf Sport1 im Free-TV. Nur 330.000 Menschen wollten die Partie sehen. Bei der Olympia-Begegnung zwischen Deutschland und Kanada waren es in der Spitze fast sieben Millionen Menschen. Dass daraus so gut wie keine Schlagzeilen entstanden, spricht eine eindeutige Sprache: Niemand wundert sich mehr darüber, weil die Fußballerinnen, nach all den Kämpfen ihrer Vorgängerinnen, endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

All das hat auch damit zu tun, dass sich der gesamte Frauenfußball weiterentwickelt hat, dass die Mannschaften heute auf einem ganz anderen Niveau sind als vor 15, 20 Jahren, dass die Umfelder (zumindest einigermaßen) professionalisiert wurden, dass die Menschen ihre Vorbehalte gegenüber dem Fußball der Frauen nach und nach abgelegt haben. Doch es ist auch der Verdienst einer Generation, die keinen Bock mehr hat, sich an Vergleichen mit den Männern abzuarbeiten, sondern sich lieber auf sich selbst konzentriert.

Wenn dann noch am Ende eine olympische Medaille dabei herausspringt, hilft's der Werbung in eigener Sache sicherlich auch.

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