"Es kann nicht sein, dass das so weitergeht, das ist ein Trauerspiel", polterte Hoeneß in seiner neuen Rolle als TV-Experte bei RTL. Hoeneß sagte das während der Übertragung des WM-Qualifikationsspiels Deutschland gegen Island. Beinahe hätte man denken können, er meine damit seinen eigenen Auftritt als Länderspiel-Experten statt den Führungsstreit beim Deutschen Fußball-Bund. Hoeneß lobte viel und zeigte sich selten bissig. Zahlreiche Chancen, sich mit einer klaren Haltung zu positionieren, ließ er ungenutzt. Zumindest bis kurz vor Ende der Sendung. Mit seiner ungeschönten Kritik am DFB sorgte er zumindest für ein wenig Vorfreude auf seine nächsten Einsätze.
Klar, Uli Hoeneß hielt sein Versprechen und hat tatsächlich nichts von "Ketten oder sonst irgendwas" erzählt. Schon im Vorfeld machte er seine Rolle klar: "Ich werde sagen, ob die Jungs alles gegeben haben oder nicht". Puh – also, wenn das die Aufgabe und eigene Erwartungshaltung eines Experten ist, der jahrelang als Spieler und Funktionär auf den höchsten Ebenen im Profifußball tätig war, dann kann RTL dort auch jeden einigermaßen fähigen Landesliga-Kicker an die Seite von Moderator Florian König stellen.
Von einem Mann wie Hoeneß, der jahrelang von Fußball-Deutschland aufgrund seiner Aussagen vergöttert oder gehasst wurde, erwartet man einfach ein bisschen mehr. Stattdessen gab es Lob für den DFB aufgrund der Vorgehensweise bei der Suche eines geeigneten Nachfolgers für Jogi Löw. Es gab Lob für Jogis Löw handeln, Lob für das Mittelfeld und Lob für die Leistung der Mannschaft.
Angesprochen auf die heftige Kritik am Bundestrainer nach der 0:6-Klatsche gegen Spanien hätte man sich von Hoeneß mehr erhofft als eine kurze und eher ausweichende Aussage: "Ein normaler Reflex in der Gesellschaft". Es wäre spannend zu hören gewesen, wie der Ex-Bayern-Präsident "die Gesellschaft" aktuell sieht – schließlich war sich Hoeneß nie zu schade, über den Fußballtellerrand hinauszublicken, Kritik zu üben und in Talkshows gesellschaftliche Missstände anzuprangern.
Auch für die DFB-Shirt-Kampagne "Human Rights", für die der Verband gerade einen ziemlichen Shitstorm erntet, hatte Honeß nur ein paar Sätze übrig. Besonders beim Thema Katar hätte der Ex-Welt-und Europameister eine klare Haltung zeigen können. Schließlich engagiert sich Hoeneß seit Anbeginn seiner Karriere für soziale Projekte und hat das Wohl aller Menschen im Auge. Stattdessen gab es wieder nur Lob.
"Wir wollen ja die mündigen Spieler haben und es ist völlig berechtigt, so etwas zu machen. Wenn sie darauf hinweisen, dass es dort Probleme gibt, kann es auch dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen besser werden", kommentierte er sachlich. Nun müssten sich die Spieler auch mal öffentlich dazu äußern. Ein T-Shirt vor dem Spiel zu tragen, hilft auch keinem Bauarbeiter in Katar.
Andererseits wäre Kritik an Katar aus Hoeneß' Mund auch einfach nicht glaubhaft gewesen. Schließlich war er noch Präsident der Münchner, als diese einen Sponsoringdeal in Millionenhöhe mit der staatlichen Fluggesellschaft "Qatar Airways" abschlossen. Den FC Bayern und Katar verbindet seit einigen Jahre eine enge Partnerschaft. Schließlich absolvieren die Münchner ihr Wintertrainingslager im Wüstenemirat.
In den von Hoeneß gewöhnten Angriffsmodus kam er nur beim Thema DFB. Aber dafür dann drei Minuten so richtig. Das war der Hoeneß, den sich viele wünschten.
Doch auch das mutete eher an, als wolle er seinen guten Freund und ehemaligen Kollegen Karl-Heinz Rummenigge öffentlich für einen Posten vorschlagen.
Die Arbeit an der DFB-Spitze sei "ein Trauerspiel", Generalsekretär Friedrich Curtius "in dieser Position völlig überfordert", Vize-Präsident Rainer Koch sehe sich als besseren Präsidenten und Schatzmeister Stephan Osnabrügge sei zwar Arbeitsrechtler, könne aber nicht verhindern, "dass die Steuerfahndung beim DFB so oft ein und ausgeht wie ein Briefträger". Die letzte Aussage fällt wohl in die Kategorie "unglücklicher Vergleich". Immerhin saß Hoeneß selbst 21 Monate wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis.
Sowieso würde man beim DFB streiten "wie die Besenbinder". Dabei gehe es nur noch um "Postenschacherei, um Aufwandsentschädigung, um Machtspiele". Und er forderte personelle Veränderungen.
Nach seinem Ausscheiden beim FC Bayern zum Ende des Jahres solle doch bitte Karl-Heinz Rummenigge die Vertretung des DFB bei der UEFA und der FIFA übernehmen. Denn Peter Peters, der den Posten demnächst antritt, hat laut Hoeneß "bei Schalke nicht gerade gute Arbeit geleistet".
Doch so schnell wie die Hoeneß-Wutrede begann, war sie auch wieder vorbei. Immerhin sprach er in den drei Minuten aus, was viele Menschen in Fußball-Deutschland aktuell denken. So hat er wenigstens kurzzeitig die Erwartungen an sich selbst übertroffen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich Uli Hoeneß mit diesem Auftritt zunächst nur Warmgelaufen hat und nicht altersmilde geworden ist. Es wäre eine willkommene Abwechslung in der deutschen Fußball-Berichterstattung, wenn wir häufiger den Experten Hoeneß zu hören bekommen, der innerhalb von drei Minuten die komplette Führungskrise beim DFB anschaulich und verständlich beschrieben hat. Nur dann eben auch zu anderen Themen.