Die NFL hat in Berlin eine große Chance verpasst
Am Sonntag hat die NFL zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit einem Spiel der Regular Season in Berlin Halt gemacht. Den 72.203 Zuschauenden wurde dabei so einiges geboten, in erster Linie ein packendes Duell zwischen den Indianapolis Colts und den Atlanta Falcons. Mit 31:25 setzten sich die Colts in der Overtime durch.
Aber auch das Rahmenprogramm bot den zahlreichen Fans große Unterhaltung. Schon weit vor dem Kick-off konnten sie sich bei Football-Challenges selbst als Quarterback versuchen. Während des Spiels traten mit The Kid Laroi und Scooter-Frontmann H. P. Baxxter gleich zwei bekannte Künstler auf. Und die vielen Pausen wurden mit Kiss-Cams oder kostenlosen Goodys gefüllt.
Kurzum: Die Football-Fans kamen am Sonntag in Berlin voll auf ihre Kosten. Die NFL, so könnte man meinen, hat sich von ihrer besten Seite gezeigt. Der Schein aber trügt ein wenig, denn die US-Liga hat einen wichtigen Aspekt bestenfalls stiefmütterlich abgedeckt: die historische Bedeutung dieses Tages.
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Berlin und die lange Geschichte des 9. Novembers
Der 9. November ist nicht nur der Tag, an dem ein NFL-Spiel der Regular Season erstmals in Berlin stattgefunden hat. Dieser Tag ist, und das wissen nicht nur die nerdigsten Historiker, in Deutschlands Hauptstadt enorm bedeutungsvoll aufgeladen.
1918 riefen Karl Liebknecht und Philipp Scheidemann die Republik Deutschlands aus, 20 Jahre später fand die Reichspogromnacht statt. Und 1989 fiel an jenem Tag schließlich die Berliner Mauer.
All diese Ereignisse eint, dass sie eine enorme Bedeutung für den Alltag im demokratischen Leben haben. 1918 und 1989 öffneten sich den Menschen Tore, 1938 wurden sie für ein Teil der Gesellschaft zugeschlagen.
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Weltlage, speziell auch der Entwicklungen in den USA, ist die Aktualität dieser historischen Geschehnisse so stark wie schon lange nicht mehr.
In Berlin hat sich dies am Sonntag kaum widergespiegelt. Nun war gewiss nicht mit einer Breitseite gegen Donald Trump zu rechnen, sehr wohl aber mit einem kurzen Ritt durch die Geschichte oder klaren Statements für die Demokratie. Im großen Stil blieben diese aber aus.
Die NFL greift regelmäßig nicht-sportliche Themen auf
Ob es grundsätzlich die Pflicht der NFL ist, Themen abseits des Sports aufzugreifen? Sicherlich nicht. Macht sie es trotzdem? Ja. Die NFL pflegt enge Verbindungen zum US-Militär, würdigt regelmäßig Veteranen. Die NFL forderte mit Kampagnen das Ende von Rassismus. Zugleich gedachte sie vor einigen Wochen des rechten Aktivisten Charlie Kirk.
Und auch mit dem Thema Mauerfall wurde am Sonntag leicht gespielt. Denn zu der viel beachteten Choreo vor Spielbeginn lief "Wind of Change", die Hymne der Wiedervereinigung. Drumherum aber wurde keine passende Geschichte erzählt, keine Erinnerungs- oder Aufklärungsarbeit geleistet. Stattdessen spielten die Veranstalter mit dem Aufenthalt der NFL in Deutschland, platzierten sich selbst im Mittelpunkt.
Allein im Olympiastadion habe ich schon deutlich mehr erlebt als diesen zarten Hinweis auf die Geschichte. Hertha BSC riss vor wenigen Jahren auf dem Platz symbolisch eine Mauer ein, lieferte rund um das Spiel seinerzeit weitere Einordnungen. Die NFL hingegen, die größte Sportliga der Welt, hatte lediglich Geld für die Gema-Kosten des Wendesongs über.
Die NFL präsentiert sich gerne als Storyteller
Das irritiert auch vor dem Hintergrund, dass die US-Liga allzu gerne mit Geschichten spielt, die Eigenheiten des Austragungsorts aufgreift. Jahr für Jahr ist dies rund um den Super Bowl zu sehen, in den vergangenen Tagen aber auch rund um das Berlin Game.
Die Liga und ihre Franchises brachten zahlreiche Kollektionen auf den Markt, die sich im Berliner Stadtbild bedienen. In einem riesigen Mural spielt der Berliner Bär Football. Und die ganze Woche sollte ob des Wandels sowie der Kreativität der Stadt unter dem Motto "Berlin plays different" stehen.
Eine größere Einordnung der historischen Bedeutung des 9. Novembers für Berlin, ja für ganz Deutschland, wäre also nicht nur wünschenswert, sondern auch folgerichtig gewesen.
In der Hinsicht hat die NFL am Sonntag enttäuscht. Alles andere aber, das steht außer Frage, war begeisternd.
