Die "Silly Season" in der Formel 1, in der es tägliche neue Spekulationen um die Zukunft der Teams und Fahrer gibt, neigt sich so langsam dem Ende entgegen.
17 von 20 Cockpit-Plätzen sind für die kommende Rennsaison bereits vergeben. Mit Mick Schumacher kämpft lediglich ein deutscher Fahrer noch um einen Startplatz in der Königsklasse des Motorsports.
Während Micks Verbleib weiterhin auf wackeligen Beinen steht, steht eine teamübergreifende Personalentscheidung schon jetzt und wohl auch für die nächsten Jahre fest: eine Frau wird an Rennen der Formel 1 nicht teilnehmen.
So räumte Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali bereits vor einem Monat ein, dass er nicht glaubt, "dass eine Frau in den nächsten fünf Jahren in die Formel 1 kommt". Zudem schob der Italiener hinterher: "Wenn nicht so etwas wie ein Meteorit einschlägt."
Tatiana Calderón kann mit dieser Aussage nicht ganz so viel anfangen. In den Augen der 29- jährigen Kolumbianerin ist es sogar "lächerlich", dass der Boss der Rennserie so eine Aussage trifft.
"Am Ende des Tages wollen wir junge Mädchen inspirieren und wenn man ihnen sagt, dass sie hier nicht willkommen sind und man nicht an sie glaubt, dreht man die Uhr zurück", sagt die aktuelle Formel-2-Fahrerin im Gespräch mit watson.
Wie es in der Formel 1 abläuft, weiß Calderón genau. Von 2018 bis 2020 war sie Testfahrerin für den Formel-1-Rennstall Sauber, der mittlerweile unter dem Namen Alfa Romeo antritt. Zuvor fuhr sie jahrelang in der Formel 3 und der Formel 2, sowie diversen anderen Rennserien.
Doch dass sie überhaupt die Möglichkeit bekam, zumindest ein kleiner Teil des großen Formel-1-Zirkus zu sein, hat sie Monisha Kaltenborn zu verdanken. Ihr gehörten zu diesem Zeitpunkt ein Drittel der Anteile bei Sauber und sie war kurzzeitige Teamchefin. "Es brauchte erst eine Frau, damit eine andere Frau eine Chance bekommt", fasst Calderón die Lage zusammen.
Denn im Motorsport und speziell der Formel 1 sind Frauen in der Boxengasse immer noch die große Ausnahme, statt Normalität.
Wenn ihr Name fällt, hat sich die Kolumbianerin bereits dran gewöhnt, dass automatisch der Zusatz: "die erste Frau, die in der Formel 2 gefahren ist", genannt wird.
"Ich wünschte mir, dass es nicht so wäre und es normal wäre, Frauen in der Boxengasse zu sehen. Aber bis es so weit ist, muss sich noch einiges ändern."
Dafür, dass sich etwas ändert, steht auch Sebastian Vettel ein. Angesprochen auf die Aussagen von Domenicali sagte der vierfache Weltmeister auf einer Pressekonferenz: "Es war eine sehr unglückliche Wortwahl." Um dann noch einmal deutlich nachzulegen:
Eine Aussage und ein Einsatz, von dem Calderón besonders begeistert war. Denn ein Prozess der Veränderungen würde langsam beginnen, funktioniert aber nur, "wenn wir die Einstellung der Leute im Motorsportbusiness und Formel-1-Zirkus ändern."
Und sie ist sich absolut sicher: "Wir können auf dem höchsten Niveau konkurrenzfähig sein, wenn uns eine richtige Chance gegeben wird. Am Ende des Tages müssen sie uns einfach nur in die gleichen Autos wie die Jungs setzen."
Die Probleme liegen jedoch nicht nur in den fehlenden Chancen. Denn besonders der Motorsport in der Formel 1, 2 und 3 ist enorm teuer. Daher werden die Plätze in den Autos nicht immer nur nach dem Leistungsprinzip vergeben, sondern auch danach, wie viel Geld und welche Sponsoren ein:e Fahrer:in mit zu einem Team bringt.
Damit Calderón nach drei Jahren Pause ihr Comeback in der Formel 2 Ende August für das tschechische Team "Charouz Racing System" geben konnte, brauchte sie spezielle finanzielle Unterstützung.
Die Sängerin Karol-G, die in Kolumbien ein absoluter Mega-Star ist, hat mit ihrem Sponsoring einen großen Anteil an ihrem Comeback im Formel-Sport gehabt.
"Wir beide wollen einfach zeigen, dass man die Wahrnehmung ändern kann, wenn wir uns als Frauen unterstützen. Es ist ein sehr männlich dominierter Sport und wir bekommen nicht die gleichen Chancen wie die Jungs und haben es in bestimmten Bereichen schwerer", sagt Calderón.
Mit der W Series gibt es bereits eine von der Formel 1 initiierte Rennserie, die diesem Problem entgegenwirken soll. In zehn Rennen, die an denselben Orten und am gleichen Wochenende wie die Formel-Rennen stattfinden, dürfen lediglich Frauen teilnehmen.
Jamie Chadwick gewann die W Series in den vergangenen beiden Saisons souverän und ist gerade auf dem Weg, den dritten Titel in Folge zu holen. Doch wirklich Chancen, von dort in die Formel 1 aufsteigen, hat die 24-jährige Rennfahrerin nicht.
Zwar ist sie seit 2019 Testfahrerin für das Formel-1-Team Williams, doch ein Cockpit für die Formel 3 oder Formel 2 konnte sie sich zu Beginn des Jahres finanziell einfach nicht leisten. Für Tatiana Calderón ist es das beste Zeichen, dass das System an dieser Stelle einfach nicht funktioniert. Daher kam es für sie nie infrage, an der W Series teilzunehmen.
Über ihre weitere Zukunft und ob diese vielleicht in der Formel 2 oder 3 liegen wird, hat sich Calderón aber noch keine konkreten Gedanken gemacht. "Am Ende hängt traurigerweise alles davon ab, wie viele Sponsoren man bekommt."
Der bitteren Situation im Formel-Sport begegnet die Kolumbianerin auch mit einem gewissen Galgenhumor. "Meine Sterne sagen, dass 2025 mein Jahr sein wird", erzählt sie mit einem breiten Grinsen und unter dem Gelächter ihrer Schwester.