RTL setzt immer mehr auf Information. Vor einigen Wochen wurde bereits "Punkt 12" um eine weitere Stunde verlängert, geht nun von 12 bis 15 Uhr. Nun kam um 16.45 Uhr ein weiteres Format hinzu: Eine Nachmittagsausgabe von "RTL Aktuell". Um 17 Uhr folgt dann das ebenfalls neue "Explosiv Stories". Ab dem 16. August geht dann außerdem Jan Hofer mit "RTL Direkt" um 22.15 Uhr erstmals auf Sendung.
Ein Trend, der durchaus positiv zu bewerten ist, wie Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, gegenüber watson sagt: "Grundsätzlich ist es positiv, wenn mehr Informationsprogramme angeboten werden, um dadurch ggf. auch eine jüngere Zielgruppe zu erreichen." Es gelte dabei das Credo: "Konkurrenz belebt das Geschäft", wie der Experte meint. Ob sich die Sendungen allerdings auch langfristig bei den Privaten etablieren können, bleibt abzuwarten: "Es ist zu hoffen, dass sich immer mehr Rezipienten für Nachrichtenformate interessieren und dadurch der Informationsanteil zunimmt", so Schicha.
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Doch den Start in das neue Nachmittags- bzw. Vorabendprogramm mit mehr Nachrichten- und Informationsformaten hatten sich die Verantwortlichen bei RTL sicherlich anders gewünscht. Die Nachmittagsausgabe von "RTL Aktuell" um 16.45 Uhr erreichte Anfang August lediglich 0,51 Millionen Menschen ab drei Jahren. Bei der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen schalteten nur 0,15 Millionen Zuschauer ein, was einem Marktanteil von mageren 6,5 Prozent entspricht.
Das schlechte Ergebnis dürfte aber auch an den starken Quoten von der ARD gelegen haben. Das Erste lieferte Olympia und lockte damit bis 17 Uhr 2,17 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme. Aber auch das ZDF hatte mit den "Rosenheim-Cops" die Nase vorn: 2,42 Millionen Menschen schalteten ein.
Für "Explosiv Stories" lief es nicht besser. Zum Einstand schalteten 0,49 Millionen Zuschauer, darunter nur 130.000 Zuschauer aus der werberelevanten Zielgruppe, ein – das entspricht schlechten 5,6 Prozent. Zum Vergleich: Das seit Jahren bei ProSieben zur gleichen Zeit laufende Magazin "taff" erzielte gleichzeitig einen Marktanteil bei den Umworbenen von 12,8 Prozent.
Aber es blieb nicht bei den Startschwierigkeiten. Auch die zweite Ausgabe der RTL-Nachrichtensendung am Nachmittag einen Tag später fiel nur unwesentlich besser aus. Insgesamt 0,56 Millionen Zuschauer schalteten ein, was einem Marktanteil von 5 Prozent entspricht. 0,23 Millionen junge Zuschauer ließen sich dieses Mal von Peter Kloeppel informieren (9,9 Prozent Marktanteil). Ein wahrlich unzufriedenstellendes Ergebnis für die Version direkt aus der Nachrichtenredaktion des Senders.
Deutlich besser lief es dann allerdings wieder für die Hauptnachrichten um 18.45 Uhr. Da schalteten 3,21 Millionen Zuschauer ein, 0,93 Millionen davon gehörten zu den 14- bis 49-Jährigen. Die mäßigen Quoten von "RTL Aktuell" um 16.45 Uhr zogen sich durch die komplette erste Woche. Über einen Wert von 0,62 Millionen Zuschauer kam die Sendung nicht hinaus.
Und der Negativ-Trend setzte sich weiter fort. Zum Start der zweiten Woche verfolgten dann sogar insgesamt nur noch 0,48 Millionen Zuschauer die Sendung von Peter Kloeppel. Ob sich das im Laufe der Zeit noch legen wird, muss sich zeigen. RTL ist hinsichtlich des Formats eventuell noch etwas in der Findungs- und Ausprobierphase. Gerhard Kohlenbach, Chefredakteur Nachrichten bei RTL News, erklärte gegenüber watson auch hinsichtlich des etwas ungewöhnlichen Settings – immerhin wird das Format nicht aus dem Studio, sondern direkt aus der Redaktion gesendet:
Man wolle die Zuschauerinnen und Zuschauer am dynamischen Prozess teilhaben lassen, hieß es weiter.
Aber nicht nur RTL startet eine Nachrichtenoffensive. Auch ProSieben geht pünktlich kurz vor der Bundestagswahl im September mit einem neuen Format an den Start. Dafür sicherte sich der Sender extra Linda Zervakis von der "Tagesschau". Das neue ProSieben-Journal "Zervakis & Opdenhövel. Live." soll dann einmal wöchentlich um 20.15 Uhr für zwei Stunden auf Sendung gehen.
Dass die Privaten mit ihren Formaten die Öffentlich-Rechtlichen angreifen wollen, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Allein, dass sie sich für ihre Sendungen nicht in den eigenen Reihen, sondern vor allem bei der ARD bedient haben, ist wohl ein eindeutiges Indiz. Jan Hofer und Pinar Atalay sind nun fester Bestandteil von RTL, Linda Zervakis eben von ProSieben.
Aber nicht nur personell greifen sie die Öffentlich-Rechtlichen an. Auch Jan Hofers Sendeplatz (ab 16. August) um 22.15 Uhr kommt einer Kampfansage gleich. Denn sowohl das "Heute Journal" im ZDF als auch die "Tagesthemen" in der ARD laufen fast parallel.
Dennoch betonte Jan Hofer bereits, dass in seiner neuen Live-Sendung von montags bis donnerstags einiges anders laufen und es keine One-Man-Show wird. Ab Herbst stößt außerdem Pinar Atalay hinzu. In einer Pressekonferenz machte auch Lothar Keller, Redaktionsleiter "RTL Direkt", deutlich, dass das neue Format "eine Nachrichtensendung wie keine andere" sei. Wie das gelingen soll, fasste er so zusammen:
Gut möglich, dass gerade durch die ehemaligen ARD-Gesichter, die Stammzuschauer der Öffentlich-Rechtlichen da mal einschalten werden, schätzte Medienexperte Ferris Bühler gegenüber watson ein: "Wenn die Öffentlich-Rechtlichen ihre News-Moderatoren verlieren, so kommen ihnen damit ihre Aushängeschilder abhanden, da sich das ältere Stammpublikum von ARD und ZDF sehr stark über diese Personen mit den Sendern identifiziert. Da kann es durchaus sein, dass der eine oder andere Zuschauer dann seinen Lieblingsmoderatoren folgt und nach der Fernbedienung greift – sei es auch nur, um einmal zu schauen, welche Seite der Protagonist bei der Konkurrenz denn so zeigt."
Noch nehmen die Öffentlich-Rechtlichen die Nachrichtenoffensive der Privaten locker. Dr. Helge Fuhst, zweiter Chefredakteur von ARD aktuell, sagte der "Süddeutschen Zeitung" angesichts des Starts von "RTL Direkt": "Wettbewerb schadet nicht, er mobilisiert uns und die Zuschauer, steigert die Reichweite der Nachrichten insgesamt. Zu viel Information kann es nicht geben. Ich finde es gut, dass die privaten Sender und Medienhäuser mehr auf Nachrichten setzen und dort investieren. Ich hoffe aber, dass sie auch das nötige Durchhaltevermögen haben, denn ein Scheitern wäre ein Rückschlag für alle, die für Nachrichtenjournalismus brennen."
Dass die Privaten nach Jahren, in denen oft eher trashige und unterhaltende Formate im Fokus standen plötzlich auf die Nachrichtenschiene setzen, hat natürlich seinen Grund. "Besonders in der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass ein großes Bedürfnis an Informationssendungen besteht, die eine Einordnung dieser komplexen Zusammenhänge ermöglichen. Insofern versuchen auch privat-kommerzielle Anbieter, diese Zuschauerbedürfnisse aufzugreifen", erklärt Medienethiker Schicha gegenüber watson.
Doch auch wenn sich RTL und ProSieben mit Nachrichtengesichtern der ARD ausgestattet haben, müssen sie sich trotzdem von den Öffentlich-Rechtlichen absetzen. Das gelingt vor allem durch inhaltliche als auch optische Gestaltung, wie Medienethiker Schicha erklärt:
Ob es allerdings den Privaten gelingt, den Öffentlich-Rechtlichen den Rang abzulaufen, wenn es um Nachrichtenformate geht, bleibt abzuwarten. Das hänge laut Schicha vor allem davon ab, "ob es den privaten Anbietern gelingt, die Qualität von ARD und ZDF zu erreichen". Denn, so der Medienethiker: "Durch das gut ausgebaute Korrespondentennetz etwa sind die öffentlich-rechtlichen Sender besser aufgestellt und können entsprechende Hintergrundinformationen in der Auslandsberichterstattung anbieten."