Die Corona-Pandemie hat die Unterhaltungsbranche lange in die Knie gezwungen, vor allem Konzerte und Festivals konnten praktisch überhaupt nicht stattfinden. Erst diesen Sommer rollte der Trubel wieder richtig an: Gefühlt war oder ist alles, was musikalisch Rang und Namen hat, auf Tour, von Coldplay über Lady Gaga bis zu Rammstein – Künstler und Fans feiern damit zugleich den wohl ultimativen Schritt auf dem Weg zurück zur Normalität.
Wenn Großveranstaltungen wieder möglich sind, ist die Pandemie doch eigentlich besiegt, könnte man zumindest denken. Doch ganz so einfach ist es bei Weitem nicht, wie die Erfahrungen der vergangenen Monate zeigen. Auch der Blick auf den Herbst und Winter sollte allen Konzert-Enthusiasten Sorgen bereiten.
Live-Events sind zum einen die wichtige Brücke zwischen Stars und ihren Fans, aber eben nicht nur das – sie ermöglichen auch die Begegnung mit tausenden Gleichgesinnten. Nach über zwei Jahren "Entzug" weiß ich dies plötzlich viel mehr zu schätzen. Tatsächlich gab es auf den Konzerten und Festivals, die ich zuletzt besuchte, trotz Corona-Sommerwelle keinerlei Berührungsängste – und damit meine ich nicht nur, dass ich buchstäblich niemanden mit Maske gesehen habe.
Bis zu fünf Stunden vor dem offiziellen Einlass vor dem Tor herumlungern, weil man es unbedingt nach vorne schaffen will, und dabei spontan Freundschaften schließen – wie hatte ich das vermisst. Geteiltes Leid ist halbes Leid, wenn sich Menschen aus dem gleichen Grund die Beine in den Bauch stehen.
Hat man es dann in die erste Reihe geschafft, teilt man sich auch schon mal mit Fremden den Becher oder die faltbare Trinkflasche, weil es wahrscheinlich kein Zurück mehr zur Pole-Position gibt, nachdem man sich zum Trinkstand durchgeboxt hat. Wie selbstverständlich auch solche Szenarien im Sommer 2022 wieder waren, überrascht mich im Nachhinein schon ein wenig. Es zeigt aber eindrucksvoll, dass die Lust zu leben, bei vielen irgendwann wieder deutlich über die Angst vor Corona siegt.
Insgesamt dürften die vergangenen Monate für die Veranstalter ein voller Erfolg gewesen sein, die meisten Festivals konnten wie geplant stattfinden – und dennoch bleibt Corona auch zu dieser Jahreszeit die große unsichtbare Bedrohung. Wo Bands mit einer ganzen Crew durch Europa reisen, ist es unmöglich, die Gefahr einer Infektion komplett einzudämmen, und eben dieses Risiko realisierte sich einige Male.
Zu den prominentesten Corona-Fällen des Sommers dürfte Mick Jagger zählen, der sich am 13. Juni krankmeldete. Das Rolling-Stones-Konzert in Amsterdam wurde zunächst abgesagt, konnte aber schnell nachgeholt werden. In die Röhre schauen hingegen die Fans in Bern: Für diesen Gig gibt es bis heute keinen Ersatz. Wer für den Auftritt in der Schweiz ein Ticket ergattert hat, den dürfte auch der nachträglich anberaumte Zusatztermin in der Berliner Waldbühne am 3. August kaum trösten.
Das Problem: Viele Locations in Europa sind jetzt bereits für das nächste Jahr ausgebucht, was es massiv erschwert, abgesagte Konzerte zeitnah neu zu terminieren – sogar für die größten Acts des Planeten. Der Durst auf Live-Musik ist unersättlich, doch das Virus nimmt darauf keine Rücksicht.
Besonders riskant wird es damit für Fans, die weite Strecken auf sich nehmen, Flug und Hotel buchen, um ihre Lieblingsbands zu sehen. Ich bin im Juli für Metallica und Yungblud nach Madrid geflogen, sechs Tage vor dem Festival vermeldeten Metallica einen Corona-Fall innerhalb ihrer Crew – und das Zittern begann. Am Ende ging es nochmal gut, beim nächsten Mal vielleicht nicht. Wegen Corona sind Konzerte zum konstanten Drahtseilakt geworden und Besserung ist nicht in Sicht, da das Virus fröhlich mutiert und nicht wirklich eine Sommer-Pause kennt.
Viele Stars suchen derweil auf der Bühne wieder den direkten Körperkontakt und klatschen Zuschauer ab. Einerseits geil, andererseits potenziell folgenschwer, und das nicht nur für die Gesundheit der Beteiligten, sondern auch für die Fans, die bereits auf den nächsten Auftritt drei Tage später hin fiebern – der eben im schlimmsten Fall kurzfristig flachfällt und nicht nachgeholt werden kann.
Doch was ist die Lösung für dieses Dilemma? Wahrscheinlich gibt es keins. Für mich persönlich steht nur fest: In einer Welt ohne Konzerte will ich nicht leben, zumindest nicht dauerhaft. Ich habe Karten für Arcade Fire Ende September in Berlin und rechne praktisch fest damit, dass bis dahin wieder verschärfte Maßnahmen etabliert werden, die den Gig verhindern. Mit dem Virus leben – irgendwie geht das auch für diese Branche, wie der Sommer immerhin gezeigt hat. Wenn uns nur diese Jahreszeit bleibt, ist das besser als gar nichts.