Es ist nicht alles Gold, was die TV-Sender uns täglich präsentieren. Trash-TV-Formate mit obszöner Sprache wie im "Sommerhaus der Stars" muss man mögen – oder eben nicht. Aber es gibt auch immer wieder Lichtblicke, vor allem, wenn es um das Thema Diversität geht. Denn da hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Aktuellstes Beispiel: "Prince Charming". Bei Vox ist jetzt bereits der zweite schwule Bachelor auf Männersuche. Und dabei wird es nicht bleiben: Erst kürzlich wurde bekannt, dass mit "Princess Charming" bald die erste bisexuelle Frau auf Liebessuche gehen wird. Grund genug, einmal genauer hinzusehen, was die privaten und öffentlich-rechtlichen Sender tun, um für mehr Toleranz, Offenheit und Diversität im TV zu sorgen und wie – oder ob überhaupt – sie sich auch gesellschaftlich verändern.
Denn um eins vorwegzunehmen: Queere Formate ändern am Prinzip des Fernsehens generell nichts, wie Medienexperte Professor Lorenz Engell von der Bauhaus-Universität Weimar gegenüber watson zu bedenken gibt.
Vorreiter, wenn es um Dating-Shows mit gleichgeschlechtlichen Paaren geht, ist Vox. Eine Sendersprecherin erklärt dazu gegenüber watson:
Vox hatte "den großen Wunsch, endlich ein homosexuelles Datingformat auf dem deutschen Markt zu etablieren", wie die Sprecherin weiter sagt, und ist "auf der Suche nach einer internationalen Vorlage auf 'Finding Prince Charming' gestoßen, welches wir nach unseren Vorstellungen mit Seapoint für TVNow adaptiert haben".
Mit der Idee trafen sie direkt ins Schwarze. Beim hauseigenen Streaming-Dienst TVNow wurde "Prince Charming" bestens angenommen und sorgte auch später im TV für gute Quoten – vor allem bei den Jungen, wie die Sprecherin weiter sagte. Mit Marktanteilen von bis zu 14,9 Prozent sei das Format vor allem bei den Frauen zwischen 14 und 29 Jahren sehr erfolgreich. Anschließend entschloss man sich, noch einen Schritt weiterzugehen und "noch diverser" werden zu wollen. "So wurde die Idee für 'Princess Charming' geboren, ebenfalls für TVNow", erklärte eine Vox-Sprecherin gegenüber watson weiter.
So erfolgreich "Prince Charming" auch war, negatives Feedback und gar Hassnachrichten kamen auch vor, wie die Sprecherin einräumte. "Ja, auch die gab es. Das hat uns aber nur darin bestärkt, dass es genau der richtige Zeitpunkt ist, 'Prince Charming' zu zeigen."
Auch RTL betont gegenüber watson, wie wichtig "die Gender- und Diversity-Thematik" der Mediengruppe RTL ist. Dies würde sich neben den von Vox bereits genannten Formaten auch in "Let's Dance" widerspiegeln. Dort trat mit Kerstin Ott beispielsweise die erste Frau mit einer Tanzpartnerin an. Eine Sendersprecherin teilt außerdem mit:
RTL wolle mit seinem vorhandenen Einfluss "Impulse setzen, mutig sein und zur Meinungsbildung der Gesellschaft beitragen", heißt es weiter. "Dabei schwimmen wir auch gerne gegen den Strom und sind Vorreiter", wie die Sprecherin betont, denn: "Wir sind der festen Überzeugung, dass Diversität eine der Triebfedern einer modernen Gesellschaft ist."
Auch fernab des TV-Programms engagiert sich die Mediengruppe RTL im Bereich Diversity:
ProSieben hat sich bei "Queen of Drags" im vergangenen Jahr auf die Suche nach einer Drag-Queen gemacht und mit der Show auf eine Thematik gesetzt, die zuvor im Mainstream-TV eher keine Rolle gespielt hat. Entstanden war die Show-Idee im weitesten Sinne bei "Germany's next Topmodel", wie ein ProSieben-Sprecher watson erklärt. Außerdem habe man "Dragqueens und ihrer Kunst eine Bühne über das Modeln hinaus geben" wollen, führt der Sprecher weiter aus.
Die Resonanz auf die Show war vorwiegend positiv, wie er berichtet: "Viele Zuschauer, eine große Mehrheit, hat 'Queen of Drags' gefeiert. Anfeindungen begegnen wir immer anders. Immer mit einer klaren Haltung und bei 'Queen of Drags' unter anderem mit einem Video, in dem die Dragqueens Hate-Kommentare lesen, das alleine hatte mehr als 200.000 Views."
Die Programme sollen auch weiterhin so "wild und bunt" bleiben, wie sie sind, sagte der Sprecher hinsichtlich der künftigen Ausrichtung des Programms. "Ob 'Taff', 'Voice of Germany', 'GNTM', 'FameMaker', 'Queen of Drags' oder 'Frau Jordan stellt gleich' – ProSieben-Programme sind in der Summe mindestens so bunt und vielfältig wie unsere Gesellschaft. Und manchmal noch bunter", so der ProSieben-Sprecher.
Bei Sat.1 wird zwar nicht nach der nächsten Drag-Queen gesucht, dafür zeigte der Sender im Frühjahr zur besten Sendezeit die Show "No Body is perfect – Das Nacktexperiment" mit Paula Lambert. In Bezug auf die Einschaltquoten war die Sendung zwar kein Erfolg, dafür waren die Reaktionen auf das Format "durchweg positiv, man kann von einem 'Love Storm' sprechen", wie eine Sendersprecherin watson sagt.
Entmutigen ließ sich der Sat.1 davon nicht und wagte in diesem Jahr mit "Mütter machen Porno" ein besonders Experiment, das vor allem im Vorfeld auf Kritik stieß, wie die Sprecherin weiter berichtet:
Auch abseits dieser besonderen Formate setzt Sat.1 auf Diversität. "Vielfalt ist Normalität in vielen unserer Programme, ohne einen besonderen Fokus darauf zu legen", betont die Sprecherin weiter und nennt als Beispiel die Shows "The Voice of Germany", "The Biggest Loser" oder auch "Das große Backen". Außerdem bilde auch das tägliche Nachmittags-Programm "die bunte Vielfalt des gesellschaftlichen Alltags in allen Lebensbereichen ab".
Formate wie "Prince Charming oder "Queen of Drags" findet man bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht. Aber das Thema Diversität geht auch an der ARD nicht vorbei.
So zeigt der Sender am 25. November zur Primetime mit "Einer wie Erika" einen Fernsehfilm des SWR über eine intersexuelle Skisportlerin. Als weitere Beispiele nennt der Sprecher außerdem zwei Produktionen, die im April dieses Jahres ausgestrahlt wurden: In der Film-Reihe "Toni, männlich, Hebamme" zeigte der Sender einen Spielfilm, in dem es um das Coming-out eines schwulen Profifußballers ging, der in einer Ehe mit Kind lebt. Außerdem war die Reportage "Jung, schwul, gläubig – geht das für Christen und Muslime?" im Programm.
Auch die Magazine "Monitor" und "Titel, Thesen, Temperamente" hatten in der Vergangenheit bereits Themen aus dem Bereich Diversität und sexuelle Gleichberechtigung aufgegriffen, wie der Sprecher betont.
Auch dem ZDF ist Diversität und Vielfalt ein Anliegen. So progressiv wie bei den privaten Sendern wird auch hier mit dem Thema gleichgeschlechtliche Liebe umgegangen. Eine Sprecherin sagte watson bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung in Bezug auf Diversität:
Natürlich spielte gleichgeschlechtliche Liebe auch vor "Prince Charming" im TV eine Rolle. In Serien wie "Lindenstraße", "Unter uns" oder "GZSZ" wurde dieses Thema ganz selbstverständlich behandelt. Die TV-Sender werden immer offener, wenn es um diverse Themen geht, was homosexuelle Dating-Shows oder auch die Suche nach einer schillernden Drag-Queen unterstreichen. Warum solche Themen immer mehr den Weg ins TV finden, erklärt Lorenz Engell, Experte im Bereich Film- und Fernsehwissenschaft und Leiter des Masterprogramms "Filmkulturen: Extended Cinema" an der Bauhaus-Universität Weimar, gegenüber watson:
Massenmedien klassischen Typs seien im Gegensatz zu Sparten- und Nischenmedien und auch zu den sozialen Medien immer auf den Mainstream angewiesen, wie er sagt. "Mainstream ist nicht unbedingt das, was 'Mehrheit' ist, aber stets das, was 'mehrheitsfähig' ist. Noch genauer: Das, wovon jeder und jede einzelne annimmt, dass es wohl mehrheitsfähig sei, auch ohne sich selbst notwendigerweise dieser Mehrheit zuzurechnen. [...]", hält Engell fest.
Dass die Fernsehsender mit solchen Formaten gesellschaftliche Strömungen "abbilden", hält der Medienwissenschaftler für eher fraglich.
Denn: "Die Formulierung setzt voraus, dass Fernsehen überhaupt 'Gesellschaft abbildet'. Fernsehen konstruiert sich aber eine eigene Gesellschaft, eben die Fernsehgesellschaft, auf die es dann wiederum reagiert. Daneben gibt es andere 'Mediengesellschaften'", erklärt Engell gegenüber watson und nennt dabei zum einen die sozialen Medien oder auch die Hochkulturmedien. Diese seien aber "jeweils anders aufgestellt".
Das Fernsehen stellt nach Meinung des Medienwissenschaftlers eine Sonderfunktion in diesem Zusammenhang dar, denn "es zeigt, was es selbst als Schnittmenge oder Konsens zwischen den Medienmilieus vermutet oder auch experimentell herstellt". Deshalb wird das Fernsehen auch als "First Screen" behandelt, "zu dem sich die zahlreichen 'Second Screens' der mobilen, der sozialen und anderer Bildschirmmedien verhalten (müssen)". Engell erklärt dazu weiter:
Dass Formate wie "Prince Charming" oder "Queen of Drags" ein Mittel sind, junge Zuschauer ans klassische Fernsehen zu binden, glaubt Engell nicht. "Die Bindung an Medien geschieht durch deren Form, [...] nicht durch die Inhalte. Vielmehr bilden sich die Inhalte nach den Formen und Prozeduren. Das ist eine ziemlich solide, bereits lange etablierte medienwissenschaftliche Erkenntnis."
Generell hält Engell zum Fernsehen in Deutschland fest, dass es eben "macht, was es macht". Das Problem sei, dass die Senderverantwortlichen ebenso "Teil des Apparates sind, die nie gelernt haben, 'out of the Box' zu denken". Das gelte speziell für öffentlich-rechtliche Anstalten, wie er sagt. Mit den privaten Sendern geht Engell allerdings noch härter ins Gericht: "Die Privatsender sind sowieso für jede Art der hier gemeinten Innovation unbrauchbar (obwohl es auch hier Ausnahmen gibt: 'Big Brother' war auch mal eine Revolution!), da sie sich allein über Einschaltquoten finanzieren und der Gewinnerzielung verpflichtet sind, also erst recht immer Mainstream machen müssen."
Allerdings macht der Medienwissenschaftler auch deutlich, dass der Mainstream auch wichtig für den sogenannten "Zusammenhalt der Gesellschaft" ist, besonders dann, wenn jeder einzelne es für den Mainstream der anderen halten kann, dem er selbst nicht angehört.
Engells abschließende Erkenntnis: "Am Prinzip des Fernsehens ändern ein paar queere und diverse Figuren, Themen, 'Inhalte' genau gar nichts – kein 'Inhalt' tut das. Das Medium ist die Botschaft."
Nur, weil die Fernsehsender immer mehr auf Diversität setzen, heißt das also noch lange nicht, dass die Sender auch wirklich etwas verstanden haben – außer, wie das Geschäft eben funktioniert. Denn am Ende zählt nämlich vor allem bei den privaten Sendern nur eins: die Quote. Ein leichter Wandel zeichnet sich dennoch auch im Mainstream-Fernsehen ab – und wir bekommen zumindest etwas mehr zu sehen als die klassischen Stereotype.