Nach sechs Wochen ist der Verleumdungsprozess zwischen Hollywood-Star Johnny Depp und seiner Ex-Ehefrau Amber Heard entschieden: Die Jury hat sich weitgehend auf die Seite von Depp gestellt, aber auch Heard in einigen Punkten recht gegeben. Letztendlich muss Heard dem Urteil zufolge 8,35 Millionen Dollar (knapp 8 Millionen Euro) an Depp zahlen.
Damit stellt sich nicht zuletzt die Frage, was der Ausgang des Falls, aber eben auch das ganze Drumherum, für die MeToo-Bewegung bedeutet. Dieser könnte Amber Heard einerseits nachhaltig Schaden zugefügt haben und doch waren viele Reaktionen auf den Prozess von Sexismus und Unsachlichkeit gezeichnet, was wiederum verdeutlicht, wie wichtig MeToo eigentlich gerade jetzt ist.
Feministinnen und Feministen kämpfen seit Jahren gegen den Mythos der Crazy-Ex.
Dabei geht es um Folgendes: Die verrückte Ex-Freundin oder Ex-Frau ist eine Erzählung, die häufig von heterosexuellen Männern aufgegriffen wird. Im Rückblick auf ihre früheren Beziehungen wird entweder der neuen Freundin, den Freunden oder der Öffentlichkeit erzählt, die Ex sei ein "Psycho" gewesen, sie habe sich die Beziehung womöglich sogar irgendwie erschlichen, habe Grenzen überschritten, sei viel zu emotional, zu laut, zu wütend.
Für die feministische Szene ist aber klar: Bei solchen Erzählungen geht es darum, Spuren des eigenen Fehlverhaltens zu verwischen. Und nicht nur das: Ex-Partnerinnen als verrückt zu bezeichnen, sei demnach auch eine Möglichkeit, den Kontakt etwa zwischen der neuen und der alten Liebe zu unterbinden – und dadurch ein Schweigen zu erzwingen. Im schlimmsten Fall dann, wenn es um Gewalt geht.
Für die Schriftstellerin und Journalistin Kathrin Weßling ist ganz klar: Ja, dieser Prozess hat diesen Mythos in der Gesellschaft verschärft.
Auf Anfrage von watson sagte die 37-Jährige:
Auch Tara-Louise Wittwer, die sich als Autorin und Influencerin ("wastarasagt") für Feminismus und gegen toxische Beziehungen einsetzt, befürchtet einen Rückschritt für die MeToo-Bewegung:
"Ich denke, sie waren beide zusammen eine sehr, sehr ungesunde Mischung wo reactive abuse eine große Rolle spielt. Ich bin hier nicht auf ihrer (Ambers Anm. d. Red.) Seite und sehr, sehr wütend, dass durch ihr offensichtliches Lügen Frauen es jetzt wieder schwerer haben werden", schreibt sie auf Anfrage von watson.
MeToo habe viel verändert und Frauen hätten sich endlich ein Gehör verschafft – "aber Feminismus sollte nicht Männern, die ebenfalls häusliche Gewalt erleben, das Erlebte absprechen." Häusliche Gewalt für Männer existiere und auch das sollte Feminismus durch Gleichberechtigung sichtbar machen, sagt die Autorin.
Trotzdem sei es aber im Regelfall andersherum: "Es ist extrem wichtig zu verstehen, dass Frauen eben doch meist Opfer (häuslicher Gewalt Anm. d. Red.) sind", betont Wittwer. "Durch das Patriarchat sind Frauen natürlich meist in einer unterlegenen Position und Frauen, die gegen Gewalt klagen – übrigens jede siebte Frau in einer Partnerschaft, wovon jede dritte sexuell belästigt wird – wurden lange kleingehalten, degradiert, des Lügens bezichtigt."
Wittwers Befürchtung ist, dass falsche Schlüsse von Heards Verhalten nun auf das Verhalten von Frauen generell gezogen würden, die sich in rechtlich ungeklärten Situationen von häuslicher Gewalt befänden: "Die Darstellung von Amber, weil sie lügt, ist verwerflich, aber vielleicht noch ansatzweise verständlich (dadurch aber nicht richtig). Aber Frauen hassen, weil sie Frauen sind, ist misogyne Scheiße und ich bin strikt dagegen. Aber wenn es dann mal nicht eindeutig der Fall ist, bringt es nichts, das dann zu verschweigen."
In sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook zeichnete sich schon zu Beginn des Prozesses ein recht klares Bild ab: Weltstar Johnny Depp kann noch immer auf die Unterstützung seiner Fans zählen, während sich auf Amber Heard viel Hass und Häme entlud. Kommentare, die nicht einfach nur kritisch, sondern frauenfeindlich sind, sammelten sich zuhauf. Dieser Trend bestätigte sich von Prozesstag zu Prozesstag und könnte am Ende sogar die Urteilsfindung beeinflusst haben – dies zumindest vermutet der Medienexperte Ferris Bühler gegenüber watson.
Der Prozess wurde vor einem Geschworenengericht verhandelt, worin Bühler schon das erste Problem sieht: Die Geschworenen müssen neutral sein, doch ist das hier überhaupt möglich? "Johnny Depp und Amber Heard sind einfach zu bekannt, als dass nicht bereits jemand eine generelle Meinung von ihnen haben würde – zumindest unterbewusst und ohne die Fakten zu kennen", gibt der Experte zu bedenken. Und dann kommt schließlich noch Social Media ins Spiel:
Um die große Macht sozialer Netzwerke zu verdeutlichen, zieht Bühler noch einen Vergleich zu einem anderen Fall, der für Schlagzeilen sorgte: "Der Prozess erinnerte mich an den letztjährigen Fall, als ein weißer Ex-Polizist wegen des gewaltsames Todes des Afroamerikaners George Floyd vor Gericht stand: Damals wurden mehrere Kandidaten wegen möglicher Befangenheit ausgeschlossen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Fall in den klassischen wie sozialen Medien stark diskutiert wurde."