Die Versorgung mit den tagesaktuellen Nachrichten gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Medien. Im Netz, in gedruckter Form oder eben im TV. Kaum ein Fernsehsender verzichtet auf seine eigene Nachrichtensendung, egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat. Und während in vielen Bereichen im TV auch im Jahr 2021 noch immer die Männer in der Überzahl sind, hat sich beim Nachrichtengeschäft das Blatt mittlerweile gewendet.
Watson hat sich die verschiedenen Nachrichtenformate der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender einmal genauer angesehen – das Ergebnis ist durchaus erstaunlich: Tatsächlich ist in vielen Formaten die Geschlechterverteilung mittlerweile ausgeglichen oder die Frauen sind sogar in der Überzahl. So positiv das auf den ersten Blick auch wirkt, das Ganze hat einen Haken.
"Erstmal ist es ein positives Signal, wenn Redaktionen diverser werden. Gleichzeitig müssen wir auch immer hinterfragen, wer gezeigt wird, also sichtbar wird, und wer es nicht wird und weiterhin unsichtbar bleibt", gibt Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Ricarda Drüeke von der Universität Salzburg, die vor allem zu den Schwerpunkten Gender und Diversity forscht, gegenüber watson zu bedenken. Denn auch wenn das Geschlechterverhältnis nach außen ausgeglichen aussieht, bedeutet das nicht, dass es auch innerhalb der Redaktionen tatsächlich so ist.
Hinzukommt, dass Studien zufolge nach wie vor Männer häufiger als Experten eingeladen werden, Politikern mehr Redezeit in Nachrichtensendungen eingeräumt wird und es "damit eine Unterrepräsentanz von Frauen in den Medien in vielen Bereichen weiterhin gibt", so Drüeke. Sie mahnt deshalb: "Ich denke, dass wir das längerfristig beobachten müssen, ob es ein kurzer Trend ist oder sich wirklich eine Änderung vollzieht."
Wie der positive Trend aktuell genau aussieht und was die Sender selbst dazu sagen – der große Überblick:
Die 15-minütige "Tagesschau" um 20 Uhr gibt es seit mittlerweile 1952. Die "Tagesthemen" ersetzen seit 1978 die Spätausgabe der "Tagesschau" für gewöhnlich von montags bis donnerstags um 22.15 Uhr und freitags um 21.15 Uhr. Am Samstag läuft die Sendung meist nach der Primetime-Sendung und am Sonntag um 22.45 Uhr.
Sprecher und Sprecherinnen der "Tagesschau" sind Jens Riewa, Constantin Schreiber, Thorsten Schröder, Susanne Daubner, Judith Rakers, Linda Zervakis und Julia-Niharika Sen. Die "Tagesthemen" moderieren Caren Miosga, Pinar Atalay, Ingo Zamperoni und Helge Fuhst. Das Geschlechterverhältnis ist somit in beiden Sendungen mit 3:3 und 2:2 komplett ausgeglichen.
Der zweite Chefredakteur von ARD-aktuell, Helge Fuhst, sagte gegenüber watson zu der Geschlechterverteilung in den Nachrichtenformaten der ARD:
Das ZDF versorgt seine Zuschauer über den ganzen Tag verteilt in seinen verschiedenen "Heute"-Formaten mit den neuesten Nachrichten. Die Hauptsendung um 19 Uhr sowie der Nachrichtenblock um 21.45 Uhr im "Heute-Journal" sind dabei wohl am bedeutsamsten.
In der Hauptsendung um 19 Uhr stehen Petra Gerster, Barbara Hahlweg und Christian Sievers vor der Kamera. Das "Heute-Journal" um 21.45 Uhr wird von Claus Kleber und Marietta Slomka präsentiert, Christian Sievers, Gundula Gause, Heinz Wolf und Kay-Sölve Richter stehen ebenfalls regelmäßig für das Format im Studio.
Daneben stehen für die verschiedenen "Heute Xpress"-Ausgaben hauptsächlich Yasmin Parvis, Carsten Rüger, Pinar Tanrikolu und Jessica Zahedi vor der Kamera. Aber auch Eric Marr, Karsten Pachollek, Aline Abboud, Maja Weber, Christopher Wehrmann, Christina von Ungern-Sternberg und Mitri Sirin kommen zum Einsatz.
"Heute in Deutschland" (14 Uhr) wird abwechselnd von Ralph Szepanski und Yve Fehring moderiert, "Heute in Europa" (16 Uhr) von Andreas Klinner, Jasmin Hekmati und Julia Theres Held. Für "Heute Journal Update" stehen Nazan Gökdemir, Hanna Zimmermann und hin und wieder Wulf Schmiese vor der Kamera. Das macht insgesamt 16 Frauen und 12 Männer.
Auf Anfrage von watson erklärt das ZDF, dass insgesamt eine starke Ausgeglichenheit herrscht, wenn es um die Beschäftigungsquote von Frauen geht. So teilt ein ZDF-Sprecher mit:
Wenn es darum geht, die Moderatorinnen und Moderatoren für die Sendungen der "Heute"-Formate auszuwählen, seien jedoch "die entscheidenden Kriterien immer Qualität und Kompetenz", heißt es in dem Statement weiter. Dem ZDF sei es "grundsätzlich ein Anliegen, in seinem Programm die Vielfalt der deutschen Gesellschaft zu zeigen – und das gilt natürlich auch für die Moderatorinnen und Moderatoren". Der Sprecher erklärt weiter:
"RTL Aktuell" ist bereits seit 1988 auf Sendung. Die Nachrichten werden täglich um 18.45 Uhr live aus Köln gesendet.
Eine Zeit lang befand sich nur der Hauptmoderator im Studio, nun sind wieder zwei Sprecher anwesend: Peter Kloeppel, Maik Meuser oder Charlotte Maihoff sind für die Nachrichten zuständig, Ulrike von der Groeben, Birgit von Bentzel, Jana Azizi oder Andreas von Thien für den Sport. Damit gibt es zwar zwei männliche Hauptmoderatoren und nur eine Moderatorin, doch durch die Sportmoderatorinnen sind die Frauen dann doch wieder mit 4:3 in der Überzahl.
Eine RTL-Sprecherin teilt watson in Bezug auf die Wichtigkeit von Frauen in Nachrichtensendungen mit:
Auch RTL 2 sendet mit den "News" werktags um 17 ein eigenes Nachrichtenformat. Es richtet sich an die typische junge Zielgruppe des Senders. Allerdings wird das Format mittlerweile nicht mehr vom Sender selbst verantwortet, sondern von infoNetwork der RTL Mediengruppe in Köln produziert. Diese ist auch für "RTL Aktuell" verantwortlich.
Die "RTLZWEI News" werden von Christoph Hoffmann, Meike Gehring und Stephanie Brungs moderiert. Moderatorin Kathi Wörndl ist derzeit in Elternzeit. Hier sind die Frauen mit 2:1 – im Normalfall sogar 3:1 in der Überzahl.
Da die "News" von RTL 2 mittlerweile nicht mehr von einer eigenen Redaktion des Senders verantwortet werden, möchte der Sender zu diesem Thema kein eigenes Statement abgeben. Es gilt aber auch hier, wie für die gesamte Mediengruppe RTL: Die Themen Gender und Diversity sind "grundsätzlich sehr wichtig", genau wie Vielfalt für die Qualität der Arbeit "zwingend" ist.
Seit 1985 hat auch Sat.1 seine eigene Nachrichtensendung. Die rund 15-minütigen "Sat.1 Nachrichten" werden täglich um 19.55 Uhr ausgestrahlt. Außerdem gibt es werktags im Rahmen des "Sat.1-Frühstücksfernsehens" jeweils kurze Nachrichtenblocks.
Die jeweils etwa fünfminütigen Nachrichtenblöcke während des Frühstücksfernsehens werden entweder von Ina Dietz, Gabi Becker, Max Oppel oder Alexandra Kröber präsentiert. Durch die Hauptnachrichten am Abend führt in der Regel Marc Bator. Vertreten wird er von Heiko Paluschka, Max Oppel, Ina Dietz, Katja Losch oder Stephanie Puls. Damit ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen.
Eine Sendersprecherin teilte auf Anfrage von watson zu der Männer-Frauen-Verteilung in den "Sat.1 Nachrichten" mit:
Im Dezember 2004 wurde aus den "ProSieben Nachrichten" die "Newstime". Das knapp zehnminütige Format wird immer um 18 Uhr ausgestrahlt.
Das Moderatoren-Team besteht aus Michael Marx, Laura Dünnwald, Leslie Nachmann und Stephanie Puls. Michael Marx ist der Hauptmoderator der Sendung, doch neben ihm finden sich ausschließlich Frauen. Mit 3:1 kann sich die "ProSieben Newstime" über eine hohe Frauenquote freuen.
Der Sender wollte sich zu der Thematik Frauen in Nachrichtensendungen und im weiteren Programm des Senders nicht dezidiert äußern. Man konzentriere sich darauf, "gutes Programm mit guten Moderator:innen zu machen. Das gilt für Shows, Magazine und Nachrichtensendungen".
Während im TV an vielen Stellen noch immer die Männer dominieren, sind die Frauen in den Nachrichtensendungen stark vertreten. Ein positives Signal sei das laut Prof. Drüeke allemal:
Die Frage ist auch: Was passiert hinter den Kulissen, fernab der Kameras? Beim ZDF liegt die Beschäftigungsquote der Frauen bei 50,4 Prozent, wie es jedoch bei den anderen Sendern aussieht, bleibt offen.
Laut Drüeke geht es aber auch nicht ausschließlich darum, den Fokus nur auf Frauen zu legen, das würde "unsere gesellschaftliche Diversität" nicht abbilden. "Denn auch dabei zeigt sich, dass zumeist eine Normierung stattfindet und nur bestimmte Gruppen von Frauen gezeigt werden. Auch gibt es in unserer Gesellschaft weitere Ungleichheiten im Zugang zu und in einer gleichberechtigten Teilhabe an Medienprozessen, etwa in Bezug auf Alter, Körper oder Migrationsgeschichte", so die Kommunikationswissenschaftlerin.
Hinzukäme, dass wir uns fragen müssten, "ob mit der medialen Darstellungen – wie eben die aktive Sprecher:innen-Rolle in Nachrichtensendungen – eine 'anerkennende Sichtbarkeit' verbunden ist. Werden Frauen als Nachrichtensprecherinnen als gleichberechtigt wahrgenommen oder weiterhin als 'Exotinnen' betrachtet?", gibt Drüeke zu bedenken. Man müsse immer schauen, wie sie gerahmt werden und wie auch über sie berichtet wird. Denn laut Studien seien Frauen als Journalistinnen und Nachrichtenredakteurinnen auch immer wieder Angriffen wie Hatespeech ausgesetzt.
Laut Drüeke sei es generell wichtig, dass in Sendungen verschiedene Personen und Gruppen gezeigt werden und mit möglichst wenig Stereotypisierungen und Rollenzuschreibungen gearbeitet wird. "Medien liefern Identifikationsangebote und sie entwerfen eine Art von 'Realität'. Dass diese divers ist und verschiedene Personengruppen inkludiert sowie gleichberechtigt darstellt, ist damit von enormer Wichtigkeit", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin der Universität Salzburg. Dies umzusetzen, sei eine Forderung, die für vielfältige Medienangebote gelte – egal, ob es dabei um Nachrichtensendungen oder fiktionale Angebote gehe.