Corona-Testzentren führen 70 Schnelltests durch, rechnen aber 1000 ab. Diese Schlagzeile machte in der vergangenen Woche die Runde. Recherchen von WDR, NDR und der "Süddeutschen Zeitung" haben ergeben, dass in manchen Testzentren wohl teilweise gehörig gepfuscht wird. Abrechnungsbetrug ist das Stichwort. Bei "Anne Will" am Sonntagabend in der ARD ist passenderweise der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geladen.
Außerdem waren in der Sendung zu Gast:
Bevor Spahn überhaupt auf das "Test-Debakel" an sich eingeht, verteidigt er zunächst einmal die kostenlosen Bürgertests an sich.
So viel zum Eigenlob, danach muss er sich und sein Ministerium aber verteidigen. Denn dort wurde die Testverordnung aufgestellt, die den Betrug möglich gemacht hatte. Und Spahn verteidigt sich, indem er die direkte Verantwortung erstmal verschiebt.
„Die Gesundheitsämter vor Ort müssen dazu (zur Durchführung von Tests, Anm. d. Red.) beauftragen“, erklärt Spahn. Das Problem, wie Moderatorin Will einwirft, liege aber vor allem darin, dass in der Testverordnung steht, dass die ermittelten Daten „keinen Bezug zur getesteten Person“ zulassen dürfen. Die Lücke in der Verordnung, die die Massenabrechnung möglich macht.
Spahn sieht die Verantwortung aber weiterhin nicht (hauptsächlich) bei sich selbst oder seinem Ministerium, weil er „aus Berlin nicht jedes Testzentrum kontrollieren“ kann. Das mag stimmen, am Ende liegt es aber zumindest im Aufgabenbereich des Gesundheitsministeriums, solche Lücken in der Verordnung gar nicht erst entstehen zu lassen. „Es ist Betrug, das ist kriminell“, stellt Spahn dann eindeutig klar. Er kündigt schließlich schärfere Kontrollen und Gespräche an, um so etwas in Zukunft zu verhindern.
Anne Will bohrt nach, führt an, dass in den letzten vier bis sechs Wochen über 600 Millionen Euro an die Testzentren geflossen seien. Spahn lässt sie dafür dann aber auflaufen:
Dann dürfen auch andere mal zu Wort kommen: „Ich bin bei der Verurteilung der Regierung in dieser Situation vorsichtiger als zum Beispiel die SPD“, sagt FDP-Chef Lindner. Er warnt, dass man die von Spahn gelobte Testinfrastruktur im Herbst nochmal brauchen werde, wenn sich „das Infektionsgeschehen verändert“. Für ihn sei der jetzige Vorfall eine Chance, einen „Neustart“ der Teststrategie zu veranlassen.
Lindner ist Wahlkämpfer durch und durch. Auch an diesem Abend. Mit der Bundestagswahl vor der Brust und guten Umfragewerten der FDP im Rücken, bringt er sich und seine Partei schon mal vorsichtig für eine mögliche Regierungsbeteiligung in Stellung – und nimmt plötzlich, nach vielen Monaten mit sehr viel Kritik an dessen Arbeit, den Gesundheitsminister und die Regierung im Allgemeinen in Schutz:
Anne Will bemerkt schnippisch, ob sich da gerade eine große Freundschaft zwischen Spahn und Lindner anbahnt. Lindner entgegnet: „Eine große Seriösität der FDP“ – woraufhin er selbst lachen muss.
Aber zurück zum Ernst der Situation: Arzt Janosch Dahmen, gleichzeitig auch Bundestagsabgeordneter für die Grünen, hat nämlich ordentlich Kritik im Gepäck. Sein größter Punkt bezieht sich nicht auf die Abrechnungen, sondern auf die Qualität der Schnelltestungen. Dahmen argumentiert, dass viele Schnelltests nicht „richtig“ durchgeführt werden würden, also etwa dass das Teststäbchen nicht lange genug in der Nase gedreht oder dass nicht lange genug auf das Testergebnis gewartet wird.
Er fordert einen höheren Qualitätsstandard. Das Problem daran: Es gibt nicht genug geschultes medizinisches Personal, um jedes Testzentrum zu besetzen, man ist auf Freiwillige angewiesen.
Freiwillig ist ein gutes Stichwort, wenn man zum Beispiel über Covid-Impfungen spricht. Thema: „Öffnung der Impf-Priorisierung ab dem 7. Juni“. Journalistin Christina Berndt kritisiert diesen Schritt:
Ihrer Meinung nach wirke es so, als wolle man nun möglichst allen Menschen ein Impfangebot machen. Sie empfindet die Öffnung der Priorisierung als „nicht richtig“. Denn: Es gebe noch genug Menschen aus risikobehafteteren Gruppen, die noch keine Impfung bzw. noch keine zweite Impfung erhalten hätten. Sie befürchtet, dass durch die Öffnung und durch die nun anvisierte Impfung von Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren andere Menschen, die den Impfstoff nötiger haben, auf der Strecke bleiben.
Janosch Dahmen steuert einen weiteren Punkt bei, nämlich, dass die Öffnung der Priorisierungsordnung vor allem die niedergelassenen Arztpraxen treffen würde – wegen des hohen Extra-Aufwands. Da reicht es Gesundheitsminister Spahn: „Entschuldigen Sie mal. Die ersten, die schon sehr früh gefordert haben, dass die Priorisierung wegfallen soll, waren Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft.“
Journalistin Berndt pflichtet ihm bei: „Sie haben schon recht, die Rolle der Ärzte war schon sehr seltsam." Und hat einen Kompromissvorschlag: "Aber wir können ja sagen, wir heben die Priorisierung bei den Ärzten auf, aber wir halten sie in den Impfzentren aufrecht.“
Das beantwortet Spahn mit einem einfachen "manche Bundesländer machen das doch so", womit dieser Teil der Debatte auch schon wieder versandet. Stattdessen entbrennt eine Diskussion über ein mögliches Impfangebot an Kinder und Jugendliche, dass Spahn ins Spiel gebracht hatte und wofür rund fünf bis sechs Millionen Impfdosen benötigt werden würde. Christian Lindner erklärt dazu, dass der Impfstoff dann woanders fehlen würde, Spahn verteidigt seine Befürwortung einer solchen Kampagne:
Bei einer solchen Menge könne man dieses Angebot einer strukturierten Impfung seiner Meinung nach also durchaus machen. Diese Einschätzung teilen die anderen Gäste der Runde jedoch nicht, vor allem der Aspekt, dass dieser Impfstoff dann an "wichtigeren Stellen" fehlen würde, dominiert die Debatte.
Die Impf-Debatte endet dann nicht wirklich befriedigend mit kontrahierenden Aussagen, von denen einige mehr oder weniger im Raum stehen bleiben. Stattdessen duellieren sich Janosch Dahmen und Christian Lindner lieber noch ein bisschen in der Frage, welche Partei eigentlich welche Position beim Thema „Schulöffnungen“ eingenommen hatte und welche davon natürlich auch am besten war. Quintessenz: Die Grünen hätten in der Schul-Debatte als einzige Partei wirklich gefordert, dass die Schulen wieder aufgemacht werden, Lindners Antwort: „Falsch“. Denn er und die FDP hätten ebenfalls mit einem Stufenplan, auf Basis anderer Inzidenz-Werte, die Öffnung der Schulen angestrebt. Das Ende der Sendung beendet dann auch diese Debatte.