Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte mehrere Wochen lang gegen Till Lindemann, nachdem diverse Frauen Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger öffentlich artikuliert hatten. Seit dem 29. August steht fest: Gegen ihn wird keine Anklage erhoben. Die Zukunft der Band war zuletzt ungewiss, zu einem neuen Album oder einer Tour ist nichts bekannt.
Gerade erst tourten Rammstein durch Europa, die letzten Konzerte fanden Anfang August in Brüssel statt. Trotz der Anschuldigungen waren die Shows ein kommerzieller Erfolg, viele Fans stehen weiterhin hinter Lindemann. Zuletzt machte der Gitarrist Richard Kruspe immer wieder mit kryptischen Statements bei Instagram auf sich aufmerksam, die Hinweise auf die Zukunft geben könnten – oder eben auch nicht.
Die jüngste Entscheidung der Staatsanwaltschaft könnte hingegen definitiv großen Einfluss auf die kommenden Wochen und Monate haben. Gegenüber watson gibt Prof. Dr. Susanne Binas-Preisendörfer von der Universität Oldenburg eine Einschätzung ab. Ihre Forschungsgebiete sind Musik und Medien.
Watson: Frau Binas-Preisendörfer, wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass es bald ein neues Album oder eine Tour von Rammstein geben wird?
Prof. Dr. Susanne Binas-Preisendörfer: Der ganze Medien-Aufruhr, den die Vorwürfe mit sich brachten, führte unweigerlich dazu, dass Rammstein in aller Munde waren beziehungsweise weiterhin sind. Genau das ist schon immer ihr Ziel gewesen. Eine weitere Tour oder ein neues Album ist schon daher jetzt auf jeden Fall wahrscheinlicher geworden. Es lohnt sich für sie, da die Aufmerksamkeit ungebrochen ist. Die Schlagzeilen spielen ihnen in die Hände. Auch wenn die Schlagzeilen negativ waren und sich das Label bis zur Klärung der Anschuldigungen offiziell keine Marketingmaßnahmen unterstützen wollte, läuft die Marketingmaschinerie auf Hochtouren. Das war schon immer das Geschäft von Rammstein.
Wird die Band denn auch weiterhin Stadien füllen können?
In Musiker-Kreisen habe ich in der letzten Zeit ein wenig Zurückhaltung wahrgenommen. Es gibt durchaus einige, die sagen: "Das ekelt mich an, das höre ich mir nicht mehr an." Ich schätze andererseits, dass sich das typische Rammstein-Publikum davon nicht beeindrucken lässt, denn die Band ist gerade auch durch Tabu-Brüche in jeder Hinsicht berühmt geworden.
Rammstein werden also nicht "gecancelt" ...?
Im Gegenteil! Jetzt sind sie wieder im Aufwind.
Bei der letzten Tour gab es provokante Anspielungen auf die Vorwürfe, indem Till Lindemann Song-Texte veränderte. Die Penis-Kanone und der Song "Pussy" wurden hingegen gestrichen. Was ist mit Blick auf die Bühnen-Show künftig zu erwarten?
Ich vermute, sie werden sich ein wenig zurückhalten oder zumindest andere Bilder auf der Bühne inszenieren, um ihrem Image der Tabu-Brecher weiterhin gerecht zu werden. Die Konzerte werden womöglich in eine weniger sexualisierte Richtung gehen, wiewohl sexuelle Obsessionen oder der Verweis auf diese ein gesellschaftlich relevantes Thema sind, eben nicht nur bei Rammstein.
Das Verfahren gegen Lindemann ist eingestellt. Welche Konsequenzen haben die Vorwürfe der letzten Wochen womöglich dennoch für sein Image?
Die Frage ist: Was ist überhaupt sein Image? Er ist nun einmal ein "alter weißer Mann", jetzt wird er immer mehr als eine Art "alternder Gnom" dargestellt. Genau dieses Image könnte er sich ganz bewusst erschließen. Das Spiel mit Ekel und Brutalität spielte bei der Selbstinszenierung von Rammstein schließlich schon immer eine Rolle, ein Saubermann war Lindemann nie. Vermutlich wird sein künftiges Image nicht mehr wie bisher sexuell so stark aufgeladen sein – und ja, damit lehne ich mich weit aus dem Fenster.
Wie werden die anderen Bandmitglieder in den nächsten Wochen und Monaten mit der Situation umgehen?
Sie erzählen ihren Roman sicherlich weiter – wenngleich mit neuen Facetten, schätze ich. Denn sie sind jetzt wirklich alt. Sie werden nicht auf jugendlich machen und wie Mick Jagger von den Rolling Stones auf der Bühne herumhampeln. Sie werden weiter an ihrem popkulturellen Image arbeiten, dabei aber die eingeschlagenen Pfade nicht komplett verlassen. Rammstein ist ein Produkt mit Geschichte. Es bleibt spannend, wie diese nun – nach diesem medialen und juristischen Einbruch –weitererzählt wird.