Im Oktober des vergangenen Jahres postete der Sänger Gil Ofarim auf Instagram ein Video, in dem er behauptete, dass er in dem Leipziger Hotel Westin aufgefordert worden sei, seine Kette mit Davidstern abzunehmen. Das veröffentlichte Video löste eine Welle der Solidarität mit Ofarim aus – und Empörung über das angeblich Geschehene. Unter anderem demonstrierten hunderte Menschen vor dem Hotel gegen Antisemitismus.
Knapp sechs Monate später hat sich das Blatt gewendet: Nachdem zahlreiche Zeugen befragt worden waren und ein Digitalforensiker die Aufnahmen von Überwachungskameras aus dem Hotelbereich ausgewertet hatte, kam die Anklagebehörde zu folgendem Schluss: "Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat sich in der Gesamtschau der hieraus gewonnenen Erkenntnisse das Geschehen, wie es von Gil Ofarim in seinem veröffentlichten Video geschildert worden ist, tatsächlich so nicht ereignet."
Das hat nun Konsequenzen für Ofraim: Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat den Musiker und Schauspieler wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung und Verleumdung angeklagt. Außerdem wird Ofarim vorgeworfen, bei einer polizeilichen Vernehmung am 12. Oktober nicht nur den falschen Geschehensablauf wiederholt, sondern ihn außerdem ausdrücklich angezeigt zu haben. Das Verfahren gegen einen von Ofarim durch Antisemitismusvorwürfe belasteten Leipziger Hotelmitarbeiter wurde hingegen eingestellt, wie die Ermittlungsbehörde am Donnerstag mitgeteilt hatte. Außerdem wurde bekannt, dass aufgrund der großen öffentlichen Wirkung des Falls die Anklage vor dem Landgericht und nicht vor dem Amtsgericht erfolgt.
Einer, der sich im Oktober auch zu Wort meldete, nachdem Gil Ofarim das Video über den angeblichen Antisemitismus-Vorfall veröffentlicht hatte, war Shahak Shapira.
Der in Israel geborene Comedian ist wie Ofarim Jude, seit 2002 lebt er in Deutschland. Am Silvesterabend 2014 wurde Shapira in einer Berliner U-Bahn von einer Gruppe antisemitischer Männer angegriffen – und setzte sich zur Wehr. Nach diesem Ereignis schrieb er das autobiografische Buch "Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!" über diese und weitere Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland.
Im Oktober 2021 veröffentlichte Shahak Shapira unter anderem folgenden Tweet zu dem angeblichen Antisemitismus-Vorfall: "Wenn Deutschland einem diskriminierten Musiker nur halb so viel Glaubwürdigkeit zutrauen würde, wie einem Comedian, gegen den eine zweistellige Anzahl an Missbrauchsvorwürfen im Raum stehen, dann wäre es nicht Deutschland."
Damit bezog sich der 34-Jährige auf einen "Spiegel"-Bericht, in dem mehrere Frauen Comedian Luke Mockridge sexueller Übergriffe beschuldigte. Zuvor hatte eine Ex-Freundin Anzeige gegen ihn wegen versuchter Vergewaltigung erstattet.
Gegenüber watson sprach Shahak Shapira nun darüber, wie er die Entwicklungen rund um den Fall Gil Ofarim wahrgenommen hat:
Und weiter sagte er: "Es spricht ja erstmal nichts dagegen, jemandem solidarisch gegenüber zu sein, wenn man glaubt, dass die Person Unrecht erfahren hat." Man könne auch solidarisch sein, ohne gegen die Beschuldigten zu schießen – "also nicht ich, ich bin viel zu kindisch, aber andere, reifere Menschen". Gleichzeitig räumte er ein, dass das Leipziger Hotel sich schon einiges hat anhören müssen, was natürlich nicht in Ordnung gewesen sei, aber:
Wir erinnern uns: Nicht nur Privatpersonen demonstrierten nach dem Davidstern-Eklat vor dem Ort des Geschehens, sondern auch auch Angestellte des Hotels selbst. Allerdings zeigten sie sich mit einem Banner, das viele verwirrte. Neben dem Logo des Hotels war darauf eine Israel-Flagge und ein Halbmond zu sehen. Nicht nur Shahak Shapira fragte sich, was genau das solle. Auf Twitter witzelte er darüber: "'Wir müssen auf den Vorfall reagieren!' 'Ok pass auf, wir machen einen Banner mit unserem Logo und mit dem Logo von den Juden' 'Haben die ein Logo?' 'Nimm das mit den blauen Streifen, vom Judenland. Und pack noch den Halbmond von der Türkeiflagge dazu. Sicher ist sicher'".
Viele, auch Shapira, müssen zugeben, im Fall von Gil Ofarim vorschnelle Schlüsse gezogen zu haben, doch der Buchautor hat Zweifel, ob sich so etwas verhindern lässt:
Im Oktober setzte Shahak Shapira auch folgenden Tweet zum Fall Gil Ofarim ab: "Das einzige, was ich definitiv nicht glaube, ist dass ein Rockmusiker in die Lobby eines Leipziger Hotels reinsteppt und sich denkt: 'Wie kann ich jetzt einen Antisemitismusfall erfinden um mehr Platten zu verkaufen'. Beleidigend für unsere Marketing Skills auch."
Auch jetzt, sechs Monate später, kann sich Shapira nicht erklären, warum Ofarim falsche Aussagen über den Vorfall in dem Leipziger Hotel getätigt haben soll:
Im Gespräch mit watson stellte er jedoch eine Vermutung auf, die "einige sauer machen" werde:
Zum Schluss wurde er noch was in eigener Sache los: "Hört auf die Experten und nicht auf mich. Ich mach Stand-Up und keine Antisemitismusforschung. Ich weiß eh nicht, warum mich jemand dazu interviewen will, ich mach’s nur wegen Tourpromo, so unverschämt bin ich. 'Bad Vibes Only'. Kauft Tickets."
Gil Ofarim hat sich noch nicht zu der Anklage geäußert, jedoch hat er seinen Instagram-Account deaktiviert. Mittlerweile gibt es ein Statement der Hotel-Kette. Eine Sprecherin der Marriott-Gruppe, zu der das Westin Leipzig gehört, sagte gegenüber "t-online": "Wir sind schockiert und betroffen über die in diesem Fall erhobenen Anschuldigungen und ihre Auswirkungen auf die Allgemeinheit."