Lernen vom TV-Bildschirm: Schon lange gilt das Klischee nicht mehr, dass Fernsehen dumm machen würde. Neben Bildungsformaten der öffentlich-rechtlichen Sender erfreuen sich auch Influencer, die ihr Wissen auf Youtube teilen, wie Mai-Thi Nguyen-Kim ("MaiLab") oder Mirko Drotschmann ("MrWissen2go"), großer Beliebtheit.
Gerade jetzt, während der Corona-Krise, sind digitale Bildungsinhalte umso wichtiger. In Zeiten der Pandemie wurden die enormen digitalen Lücken an Schulen deutlich, es fehlte nicht nur an Tablets und Laptops für die Kinder und Jugendlichen, sondern teilweise auch an digitaler Kompetenz bei den Lehrkräften. Schließlich sind die meisten von ihnen nicht dahingehend ausgebildet worden, per Videokonferenz zu unterrichten, den perfekten Bildausschnitt zu finden oder technische Probleme lösen zu können.
Deswegen hat sich der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, bei einer Bundespressekonferenz auf Nachfrage von watson dafür ausgesprochen, den Präsenzunterricht in Schulen zu ändern und mehr digitale Unterrichtsformate zu erstellen – auch mithilfe von professionellen Moderatoren und Youtubern:
"Lehrerinnen und Lehrer werden deshalb aber nicht überflüssig", erklärte er. "Sondern sie sollten dann mit der frei werdenden Kapazität der Unterrichtsvorbereitung in die Einzelbetreuung von Schülerinnen, Schülern und Studierenden einsteigen."
Gegenüber watson wirbt Theurer nun im Nachgang erneut für ungewöhnliche Methoden, was den Schulbetrieb in Pandemiezeiten betrifft. Um so schnell wie möglich wieder Präsenzunterricht sicherstellen zu können, "sollten wir auch unkonventionelle Methoden wie leere Kinosäule oder Wechselunterricht nutzen", fordert der Fraktionsvize. "Innovative digitale Formate können eine sinnvolle Unterstützung für Lehrer und Pädagogen im Schullalltag sein, sowie für Kinder und Jugendliche, die im Lockdown sinnvoll ihre Zeit nutzen wollen", erklärt Theurer seinen Vorschlag.
Möglich sei beispielsweise auch, dass "in Kooperation mit Youtubern die Lehrplaninhalte digitalkonform aufbereitet werden", schlägt Theurer weiter vor. Die Lehrer könnten dann auf ihre Schüler sowie deren Lernfortschritte und Fragen "verstärkt einzeln eingehen", so der FDP-Politiker.
Was halten die Sender, Moderatoren und Youtuber selbst von diesen Vorschlägen? Können sie Lehrer möglicherweise sogar in Teilen ersetzen? Und wie finden die Lehrer die Idee, digitalen Unterricht von Moderatoren und Youtubern durchführen zu lassen? Watson hat bei ihnen nachgefragt.
Eine Sprecherin der ARD sagte gegenüber watson, dass die Homeschooling-Angebote, die der Sender für Schüler und Schülerinnen fächerübergreifend zusammengestellt hat, sehr gut ankommen "und die Reichweiten sind wie schon im ersten Lockdown über alle Angebote hinweg sprunghaft gestiegen". Insofern zeigt sich das Konzept Bildungsfernsehen als Erfolg bei dem öffentlich-rechtlichen Sender.
Reicht das digitale Bildungsprogramm allerdings aus, um eine gute Schulbildung zu gewährleisten? Bedeutet das automatisch, dass Lehrer durch Moderatoren ersetzt werden könnten? Nein, findet die Talkshow-Moderatorin Sandra Maischberger. Gegenüber watson sagt sie:
In ihrer Sendung "Maischberger. Die Woche" spricht die Moderatorin mit ihren Gästen regelmäßig über das aktuelle politische Geschehen. Gleichzusetzen mit der Bildung von Kindern und Jugendlichen ist das allerdings nicht, gibt Maischberger zu verstehen:
So sehe das im Übrigen auch Polittalk-Moderatorin Anne Will, bestätigt eine Sprecherin der ARD gegenüber watson. Will führt jeden Sonntagabend durch eine Talkshow mit aktuellen Themen aus der Politik.
Der Wissenschaftsjournalist und Moderator Ranga Yogeshwar, bekannt aus der Wissenschaftssendung "Quarks", die er bis 2018 moderierte, sagt gegenüber watson, dass es klüger wäre, "einen guten Orientierungskompass" zu bauen: "Vielleicht ein System, wo man jungen Leuten einfach mal sagt: 'In dem Fach findest du hier gute Inhalte oder in der Mathematik gibt es dort was."
Beispielhaft nennt er den englischsprachigen Mathematikkanal "3Blue1Brown" von Grant Sanderson. "Da präsentiert jemand mathematische Inhalte in einer Form, die dermaßen gut ist. Das ist weit mehr, als ein Youtuber nebenbei macht", so Yogeshwar.
Es mangele generell nicht an kreativen und hervorragenden Vermittlungsangeboten. Wichtiger wäre es, jungen Menschen eine gute Liste dieser Angebote zu geben.
Yogeshwar warnt allerdings auch, dass der normale Youtuber mit Lehrvideos nicht punkten können wird, "wenn er sich nicht wirklich intensiv mit der Vermittlung auseinandergesetzt hat". Er sagt:
Der Bayerische Rundfunk freut sich, dass "der Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich digitale Bildung in diesen Zeiten auf breiter Ebene erkannt wird", so ein Sprecher des BR gegenüber watson. Der Sender stimmt Theurer in seinen Aussagen teilweise zu:
Der Fokus müsse auf didaktisch und medial optimaler Umsetzung liegen, um langfristiges Verständnis mit den Stärken von Bewegtbild zu fördern, sagt der Sprecher weiter.
Der BR habe mit seinem Bildungsangebot ARD-alpha nicht erst seit der Pandemie ein breites digitales Lernangebot, das sich an den Lehrplänen der Schulen orientiere. Moderatoren der Lernvideos sind unter anderem die erfolgreichen Youtuber Dana Newman für Englisch sowie Philip Häusser für Physik und Biologie. Sein Lernprogramm habe der BR seit dem ersten Lockdown 2020 unter dem Label "Schule daheim" auch weiter ausgebaut. Der Sprecher sagt:
Die aktuellen Zugriffszahlen zeigen laut des BR, dass diese Angebote offenbar sehr gut die Bedürfnisse und Erwartungen treffen: "So ist die Nutzung der Videos von 'Schule daheim' seit Beginn der aktuellen Schulschließungen um das Fünffache gestiegen – mit über 1 Million Views allein in den beiden Wochen seit 11. Januar. Zugleich stieg auf dem Youtube-Kanal 'alpha Lernen' die Abonnentenzahl um 17 Prozent und die Zahl der Videoviews um das 5,5-fache."
Ist der steigende Erfolg der Bildungsprogramme der Sender nun ein Zeichen dafür, dass Theurers Idee in Zukunft fruchten könnte? Dazu äußert sich der Sender konkret nicht. Die aktuelle Entwicklung zeigt allerdings, dass die Formate zumindest gerne unterstützend hinzugezogen werden.
Wie stehen die privaten Sender zu der Möglichkeit, Lerninhalte von Moderatoren und Youtubern präsentieren zu lassen? Bildungsinhalte haben ihren Platz traditionell eher bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Dennoch hat watson bei den größten Privatsendern nachgehakt und nach ihrer Einschätzung gefragt.
"Digitaler Schulunterricht liegt in der Hoheit von Schulen. Und das ist gut so", teilt ProSieben gegenüber watson mit und verweist trotzdem auf seine vorabendliche Wissensshow "Galileo". "ProSieben lädt alle Schülerinnen und Schüler jeden Abend 19.05 Uhr zu 'Galileo' ein. Da kann man immer etwas schlauer werden." Doch der Sender stellt klar: "Klassischen Schulunterricht kann 'Galileo' aber nicht ersetzen. Aber das will 'Galileo' auch nicht."
Auch RTL verbindet man wohl gemeinhin nicht direkt mit Bildungsfernsehen. Ob der Sender sich trotzdem vorstellen könnte, seine Moderatoren auch für schulische Inhalte vor die Kamera zu stellen? Eine Sprecherin antwortet:
Es fehle zudem die Zeit, zusätzlich pädagogische Lehrvideos aufzuzeichnen. Verständlich, schließlich kann nicht jeder lehrplankonforme Videos aus dem Ärmel schütteln. RTL bleibt also bei den bisherigen Steckenpferden, Unterhaltung und Informationsvermittlung an Erwachsene.
Eine ähnliche Position vertritt Sat.1. Schulunterricht will man dann doch lieber den Lehrern überlassen. "So wie unsere Moderatoren ihren Job gelernt haben und mit viel Herzblut ausfüllen, sind Lehrer und Erzieher dazu ausgebildet, Kindern den Schulstoff zu vermitteln, was sie sicher mit Leidenschaft und Kreativität auch während des Lockdowns tun", teilt der Sender gegenüber watson mit. "Auf unseren Sat.1-Plattformen bieten wir dann gern mit unseren Programmen etwas Abwechslung in den Homeschooling-Pausen."
"Sat.1 Frühstücksfernsehen"-Moderator Christian Wackert ergänzt:
Laut Wackert müssten zunächst einmal viele Fragen geklärt werden: "Wer wird alles erreicht? Kann ich sicherstellen, dass alle Lernenden, die ich dann erreiche, auf demselben Stand sind? Wie gelingt der Transfer des zu vermittelnden Stoffs an die Moderatoren? Müssen Lehrerinnen und Lehrer hier zusätzlich Zeit für aufbringen?"
Wackert könnte sich höchstens vorstellen, Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen, den Hauptjob allerdings sieht er nach wie vor bei den Pädagogen:
Mirko Drotschmann, der bei Funk den Youtube-Kanal "MrWissen2go" betreibt, begeistert 1,4 Millionen Abonnenten mit Inhalten zu Politik und Gesellschaft. Seit 2017 gibt es auch den Kanal "MrWissen2go Geschichte", speziell für Geschichtsthemen.
Obwohl Drotschmann mit seinen Inhalten eine große Reichweite erzielt, würde auch er es sich nicht anmaßen, einen Lehrer oder eine Lehrerin zu ersetzen, selbst für Lernvideos nicht: "Ich bin zwar studierter Historiker und Journalist, aber kein Pädagoge." Zumal man Theurers Aussage, dass Moderatoren und Youtuber möglicherweise den digitalen Unterricht auf diese Art und Weise übernehmen sollten, auch durchaus negativ auslegen könnte:
Sein Programm bei Funk sieht Drotschmann eher als eine Erweiterung des Schulunterrichts, aber keinen Ersatz: "Gerne stehe ich, zum Beispiel mit meinen Videos, als Ergänzung zu digitalem Unterricht zur Verfügung. Aber der Hauptjob sollte bei den Profis bleiben, die eine fundierte pädagogische Ausbildung haben."
Hier findest du den Kanal von "MrWissen2go" für dein Politik- und Gesellschaftswissen
Diana zur Löwen, die auf ihrem Youtube-Kanal über 600.000 Menschen erreicht, findet den Vorschlag, Youtuber und Moderatoren in Lehrvideos einzusetzen, prinzipiell gut.
Sie arbeitet bereits an einer ähnlichen Idee gemeinsam mit der Organisation Ohhh! Foundation, zu der unter anderem Jugend gegen Aids gehört. Gemeinsam wollen sie sexuellen Aufklärungsunterricht mithilfe von Youtubern und Youtuberinnen lockerer und für junge Menschen zugänglicher gestalten. "Ich kann mir vorstellen, dass gerade Tabu-besetzte Themen dadurch für Schüler und Schülerinnen viel nahbarer werden", so die Influencerin gegenüber watson. "Auch, weil man sich das von einem Safe Space wie von Zuhause aus angucken kann."
Zur Löwen glaubt, dass Deutschland generell ein neues Verständnis von digitalem Lernen aufbauen sollte. "Das sollte mehr sein, als Dokumente herunterladen, ausfüllen und wieder hochladen." Weiterhin sagt zur Löwen:
Hier findest du den Kanal von Diana zur Löwen
Ähnlich sieht das auch Robin Blase. Auf seinem Youtube-Kanal "RobBubble" präsentiert er seinen 227.000 Usern und Userinnen eine Mischung aus Lustigem und Wissenswertem, als Lehrer-Ersatz sieht er sich und seine Kollegen und Kolleginnen allerdings nicht:
Blase glaubt, dass gerade während der Pandemie einige Youtuber die Schülerinnen und Schüler gut unterstützen konnten. "Und das passierte ja auch schon vor der Pandemie, dass Videos von Youtubern und Youtuberinnen fürs lernen Zuhause oder sogar im Unterricht genutzt wurden." Weiterhin gibt Blase zu bedenken:
Hier findest du den Kanal von "RobBubble"
Lisa Sophie Laurent, vor allem bekannt von ihrem Interview 2017 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kanzlerkandidat Martin Schulz, kann sich auch nicht vorstellen, Lehrer und Lehrerinnen im Unterricht per Video zu ersetzen. Sie versteht allerdings das Argument, "dass das Thema Medienkompetenz oft Herausforderungen mit sich bringt und dass Inhalte von Youtuberinnen und Youtubern oder Moderatorinnen und Moderatoren aus dem Bildungsfernsehen vielleicht unterhaltsamer vermittelt werden können", wie sie gegenüber watson sagt.
Videos von Youtuberinnen und Youtubern sieht auch sie als gute Ergänzung zum Schulunterricht, beispielhaft nennt sie dabei Kanäle wie "TheSimpleClub", "MrWissen2go Geschichte" oder "Mathe by Daniel Jung". Lisa Sophie Laurent gibt aber zu bedenken:
Hier findest du den Kanal von Lisa Sophie Laurent
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DL), Heinz-Peter Meidinger, findet grundsätzlich alle Initiativen und Unterstützungsmaßnahmen begrüßenswert, die Lehrkräfte in der Pandemie insbesondere beim Distanzunterricht zu unterstützen.
"Es gibt ja auch schon ein immer größer werdendes Angebot von ARD und ZDF für die rechtefreie Zurverfügungstellung von Sendungen, die Lehrplanstoff in den verschiedenen Fächern mitabdecken helfen", sagt Meidinger gegenüber watson. "Ich habe auch selbst an solchen Beratungen mitgewirkt, wo es beispielsweise darum ging, 45- und 60-Minuten-Sendungen auf im Unterricht gut einsetzbare 10- oder 20-Minuten-Formate einzudampfen."
Auch stellt der DL fest, dass die Zahl der Lehrkräfte, die für ihre Schülerinnen und Schüler Lernvideos produzieren, sich vervielfacht hat, so Meidinger, der selbst Direktor einer Schule in Bayern ist. Trotzdem:
So etwas sei nicht von heute auf morgen machbar, gute flächendeckend einsetzbare Lernvideos erfordern viel konzeptionelle Vorarbeit. "Lehrkräfte legen großen Wert darauf, dass Unterrichtsmaterialien und Medien gut in das eigene Unterrichtskonzept und die jeweiligen Lehrpläne eingepasst werden können", so Meidinger. "Angesichts von 50 verschiedenen Schularten und 16 Bundesländern (mit oft abweichenden Schwerpunktsetzungen und Begrifflichkeiten) ist das sehr schwierig."
Generell sieht der Lehrerpräsident noch Nachholbedarf beim digitalen Schulunterricht:
Derzeit seien der größte Hemmschuh beim Distanzunterricht technische Defizite (IT-Struktur, schnelles Internet, Lernplattformen), nicht unbedingt der Mangel an für Digitalunterricht geeigneten Unterrichtsmaterialien.
Theurers Vorschlag, dass Moderatoren und Youtuber verstärkt im digitalen Unterricht eingesetzt werden könnten, finden manche spannend. Er stößt jedoch auch auf Skepsis. Die Macher von Bildungsfernsehen und Lerninhalten auf Youtube glauben nicht, dass sie einen Lehrer digital ersetzen könnten. Eine große Unterstützung, vor allem während der Pandemie, bieten sie hingegen schon.
Einzelne TV-Sender und Youtuber sind daher schon jetzt zumindest eine enorme Hilfe und eine unterhaltsame Art und Weise, zu lernen.