Die Aufregung war groß, als sich Helene Fischer vor Start ihrer Mega-Tour eine Rippenfraktur zuzog. Das hatte zur Folge, dass sie ihren Auftakt in Bremen verschieben musste. Die Sängerin erklärte damals, dass sie "dem dringenden ärztlichen Rat folgen" müsse. Nun gab es einen weiteren Schock-Moment für sie und ihre Fans: Bei ihrem Auftritt in Hannover verletzte sich die Sängerin am Trapez, Blut lief ihr übers Gesicht. Im Anschluss wurde ihre Show abgebrochen.
Auf Instagram sagte sie später dazu: "Das Konzert gestern in Hannover sollte eigentlich ein fulminanter Abschluss des ersten Teils unserer Tour werden. 43 Shows haben wir bisher gespielt!" Und weiter: "Macht euch um mich bitte keine Sorgen. Mir geht es gut. Ich wurde bestens versorgt. Ich wollte zwar direkt wieder raus zu euch, allerdings musste dann auch ich erkennen: Die Wunde war zu tief, um weiterzumachen. Ich bin dann später noch im Krankenhaus fantastisch genäht worden, und es wurde auch kein Bruch oder Sonstiges festgestellt."
Nun nutze die Künstlerin die Pause, um sich zu erholen und wieder etwas aufzutanken. Am 25. August findet schließlich das nächste Konzert in Köln statt. Im Interview mit watson erklärt jetzt Motivationstrainer und Sportpsychologe Matthias Herzog, was der Unfall für sie zu bedeuten haben könnte.
Watson: Herr Herzog, Helene Fischer verletzte sich erneut am Trapez. Dieses Mal musste sie ihr Konzert abbrechen. Wie körperlich anstrengend ist die Show?
Matthias Herzog: Körperlich wie mental ist die Show sehr anstrengend. Helene singt, tanzt und agiert als Artistin. Hinzu kommt das ständige Umziehen als zusätzliche Belastung. Während der Show hat sie nicht wirklich eine Pause. Sie steht unter Dauerstrom. Gleichzeitig darf sie sich keine Fehler leisten bei ihren artistischen Einlagen. Fehler beim Tanzen oder Singen sind undramatisch. Fehler wie am Trapez können wie am Sonntag aber leider schmerzhaft enden.
Helene steht teilweise fünfmal hintereinander auf der Bühne. Lässt die Konzentration mit so einem Kraftaufwand letztlich nach?
Unser Körper braucht regelmäßig Pausen. In der Trainingslehre wird oft nach drei Tagen Training ein Tag Pause eingebaut. Helene tritt fünf Tage am Stück auf. Das machen selbst kaum Künstler, die nur singen und ein bisschen tanzen – wenn man das denn tanzen nennen kann. Die meisten tanzen ja nicht wirklich. Jeder Tag Show zerrt mehr an der Konzentration und den Energiereserven, sowohl körperlich als auch mental.
Was könnte eine weitere Herausforderung sein?
Hinzu kommt, dass es die letzte Show vor der Sommerpause war. Wenn du da als Künstler bereits mit dem einen oder anderen Gedanken im "Urlaub" bist, passieren unnötige Fehler wegen mangelnder Konzentration. Das ist menschlich. Du musst bis zum Schluss hochkonzentriert performen. Nicht umsonst heißt es im Sport: Das Spiel endet, wenn der Schiri abpfeift. Im Fall von Helene endet die Show mit dem Abschlussapplaus und dem Verbeugen aller Künstlerinnen und Künstler vor dem Publikum. Aber ein bis zwei Prozent weniger Einsatz und Konzentration werden am Ende bestraft. Das durfte Helene schmerzhaft erfahren.
Ist die Tour mittlerweile zu anspruchsvoll, sodass sie das nicht mehr so machen kann wie früher?
Helene liebt es, sich bei jeder Tour aufs Neue herauszufordern. Ihr Anspruch ist, jede Tour für ihre Fans mit neuen, noch spektakuläreren Showeinlagen zu toppen. Das ist ein natürlicher Prozess, den wir aus der Show-Welt kennen. Jeder Bondfilm muss noch krassere Stunts haben. Es geht überall um höher, schneller, weiter. Irgendwann ist jedoch das Limit erreicht. Was bei Helene hinzukommt, ist, dass sie mit jeder Tour auch älter wird. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Es ist ein natürlicher Prozess, dass wir Menschen mit steigendem Alter mehr trainieren müssen, um dieselben Leistungen zu liefern, wie im jüngeren Alter.
Wie wirkt sich das aus?
Darüber hinaus brauchen wir, je älter wir werden, mehr Regeneration – sprich: Pausen. Das Altern kann auch Helene nicht austricksen, auch wenn sie unfassbar fit ist und jetzt vielleicht viele sagen werden: "Die ist doch nicht alt." Für eine Hochleistungssportlerin, die sie für ihre Shows sein muss, um zu performen, ist sie medizinisch gesehen "alt". Nicht umsonst gehen viele Spitzensportler mit Anfang 30 in Sportler-Rente.
Was ändert sich für den Körper?
Das wird jeder bestätigen können, der mit Anfang 20 für Partys um die Häuser gezogen ist. Das hat uns früher nicht groß gestört, wenn die Nacht mal nur zwei Stunden hatte oder wir mehrere Nächte am Stück gefeiert haben. Mit über 30 oder gar 40 braucht es plötzlich einen ganzen Tag Erholung oder sogar mehr nach einer durchzechten "wilden" Nacht.
Könnte so ein erneuter Unfall am Trapez Helene jetzt besonders unter Druck setzen?
Helene ist ein absoluter Profi. Allein den Schlag ins Gesicht am Trapez so professionell abzufangen und noch sicher in den Armen ihres Partners zu landen, zeigt, welche Selbstdisziplin, Ausdauer und Professionalität Helene besitzt. Da kommt ihr die "russische Schule" zugute. Helene hat bereits als Kind Ballett gemacht und wir alle wissen, welche Torturen Sportlerinnen und Sportler aus Osteuropa und Asien bereits als junge Menschen erfahren. Wer sich da durchsetzt, ist im Alter vorbereitet. Helene steckt das locker weg. Ich glaube, sie empfindet hier keinen Druck. Und selbst wenn: Helene liebt den Druck. Ansonsten könnte sie solche Shows nicht abliefern.
Was macht das mit der psychischen und physischen Verfassung?
Helene konnte wieder einmal zeigen, was sie für eine starke Persönlichkeit ist. Wäre sie nicht blutüberströmt gewesen, hätte ihr kaum jemand angemerkt, dass überhaupt etwas passiert ist. Ich bin überzeugt davon, dass sie gestärkt daraus hervorgeht und zukünftig noch besser aufpassen wird, um derartige schmerzhafte Fehler zu vermeiden. Bekanntlich lernen wir am meisten aus unseren Fehlern. Je schmerzhafter sie sind, desto größer sind in der Regel die Lernerfahrungen.
Im August steht sie wieder auf der Bühne.
Insgesamt darf Helene "locker" bleiben. Sie hat die erste Hälfte ihrer Tour souverän gemeistert. Sie wird mit ihrem Team den Fehler in Hannover analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Und sie kann dankbar sein, dass es die letzte Show vor der Tourpause war. Ansonsten hätten wieder mehrere Konzerte verschoben werden müssen.