Nilam Farooq und Florian David Fitz sind jetzt gemeinsam im Kinofilm "Eingeschlossene Gesellschaft" zu sehen.Bild: Gerald Matzka/Getty Images
Interview
14.04.2022, 13:1514.04.2022, 13:21
Der neue Kinofilm "Eingeschlossene Gesellschaft" beleuchtet die Situation an unseren Schulen. Mit spitzen, wortreichen Dialogen werden die unterschiedlichen Lehrtypen aufgezeigt und jedem einzelnen von ihnen wird der Spiegel vorgehalten. Nilam Farooq und Florian David Fitz spielen neben Anke Engelke oder Justus von Dohnanyi die Hauptrollen. Auch sie verkörpern jeweils ein Klischee, welches es sichtbar zu machen gilt.
Im Interview mit watson sprechen die Kinostars Nilam und Florian über ihre eigene Schulzeit, sagen, in welche Schubladen sie immer wieder gesteckt werden, erklären, warum für sie die Debatte rund ums Gendern noch lange nicht zu Ende gedacht ist und legen dar, wo sie Missstände mit Blick auf die Zukunft der jungen Generation sehen.
watson: Ihr habt eure Filmpremiere gefeiert. Florian, für dich war es deine erste seit der Corona-Pandemie. Auf Instagram hast du anlässlich dessen geschrieben: "Vati darf wieder raus." Wie war das für dich?
Florian David Fitz: Ich bin noch ungläubig, dass das alles wieder funktioniert. Erstmal freue ich mich total, dass es wieder passiert. Es war auch wieder schön mitten in einem Kinosaal, wo nicht nur jeder zweite Platz besetzt ist, einen Film anzugucken. Aber andererseits denke ich mir auch: Ist es jetzt vorbei, hat sich das jetzt einfach erledigt? Ich kann es noch gar nicht richtig glauben.
Nilam Farooq: Ich ticke da anders. Ich bin mehr ein Gewohnheitstier und kann ganz schnell einfach sagen: "Super!" Ich weiß nicht, ob es Verdrängung ist. Es gibt auch Menschen, die gesagt haben: "Gott, so viele Leute auf einmal." Aber ich sage da: "Geil!" Mir ist das andere alles schon klar, aber irgendwie funktioniert das für mich ganz gut.
Nilam, du hattest bereits eine Corona-Erkrankung.
Nilam: Ja, ich hatte Corona. Schön war es nicht und noch mal will ich es jetzt nicht haben.
Florian: Ich hatte es auch schon, deswegen will ich es nicht noch mal. Vor allem war es organisatorisch eine Herausforderung. Ehrlich gesagt esse und trinke ich sehr, sehr gerne und nichts riechen können, ist einfach nicht mein Ding.
Der Film weckt in einem selbst Erinnerungen an die Schulzeit. An welchem Punkt habt ihr euch wiedergefunden?
Nilam: Ich würde sagen von vorne bis hinten. Das Lehrerzimmer war immer ein riesen Mysterium, ich war nie in einem. Aber von den Lehrerrollen her gibt es auf jeden Fall einige, wo ich sage, die hatte ich auch. Das ändert sich nach dem, was ich höre, schleppend bis gar nicht. Wenn du mit Eltern redest, die gerade Kinder in der Schule haben, dann sagen die: "Ja, das ist echt so." Das ist wie eine Art Bewerbungsqualifikation.
Florian: Ich bin überrascht, dass es diese Typen noch gibt. Ich habe gedacht, die sind eher aus meiner Kindheit. Aber offensichtlich gibt es die noch, wenn wir jetzt dauernd angesprochen werden, dass jeder einen Lehrer kennt, der so ist. Es ist auch interessant zu schauen, warum das so ist. Es gibt überall strange Leute, aber diese sind in diesem Metier.
"Ich war sicher nicht der Klassenclown, ich war aber auch nicht auf den Mund gefallen."
In dem Film gibt es krasse Beispiele von Lehrkräften, die man sich nicht an den Schulen wünscht.
Florian: Ganz so krass wie im Film ist es vielleicht nicht. Als ich in der Grundschule war, gab es noch Lehrer, die Kriegsschäden hatten. Wir hatten einen Physiklehrer, der hat immer von der Wehrmacht gesprochen. Ich dachte mir: "Willst du mich veraschen, man? Altnazi."
Wenn ihr an die Schulzeit denkt: Welche Rollen habt ihr dort eingenommen?
Florian: Ich finde es sehr interessant, dass wir denken, dass wir eine Rolle eingenommen haben. Die Schulzeit ist 13 Jahre lang, da gab es diverse Stadien. Aber klar, man findet irgendwann seine Nische. Ich war jetzt keiner, der hinten runtergefallen ist. Ich war sicher nicht der Klassenclown, ich war aber auch nicht auf den Mund gefallen. Ich glaube, dass Nilam eine der ärgerlichsten Arten von Schülerinnen war, die gesagt haben, Schule war scheiße, interessiert mich nicht und dann mit einem Zweier-Abi rauskamen.
Nilam: Da gab es wirklich noch schlimmere. Ich bin unter dem Radar gelaufen. Ich war gut im Nichtdasein und im Spicken. (lacht) Er hat sogar mit 2,0 im Gegensatz zu mir mit 2,2 das bessere Abitur. Aber Florian ist in Bayern zur Schule gegangen und ich in Berlin. Deswegen hat er eigentlich mindestens eine 1,2. (lacht)
Hier ist Nilam Farooq in ihrer Rolle als Sara Schuster zu sehen.Bild: BantryBay Productions GmbH/Deutsche Columbia Pictures Filmproduktion GmbH/Degeto Film GmbH - Wolfgang Ennenbach
Du, Nilam, sagst in dem Film, gerichtet an die Männer: "Genuss ohne Reue. Sie haben immer ein schlechtes Gewissen." Wie schwer fiel es dir, dich in die Rolle der Sara Schuster hineinzuversetzen?
Florian: Nilam ist ständig ohne Reue. (lacht)
Nilam: Mir fiel es nicht schwerer als bei anderen Rollen. Zum einen kann ich total was mit dieser Powerfrau anfangen, die sich nimmt, was sie will und andererseits kann ich aber gar nichts mit diesem Konkreten anfangen, für was sie einsteht. Deswegen verstehe ich Genuss ohne Reue bei manchen Dingen, aber nicht im Sinne von Sara Schuster bezogen auf die Männerwelt.
Darum geht es in "Eingeschlossene Gesellschaft"
Kinostart: 14. April 2022
Ein Familienvater (Thorsten Merten) kämpft an einer Schule um einen Punkt für seinen Sohn, damit er zum Abitur zugelassen wird. Dafür müssen sich sechs Lehrkräfte in einer Konferenz beraten. Nach und nach fallen die Masken und es kommen die wahren Gesichter der Beteiligten zum Vorschein.
"Das war meine größte Herausforderung neben der Sportlehrer-Lockenpracht und dem Trucker-Bart."
Florian, was war für dich bei den Dreharbeiten die größte Herausforderung?
Florian: Sechs Wochen bei 40 Grad in einem Kunstseidenjogginganzug zu drehen. Nilam, du hattest es noch härter, weil du einen Angora-Pulli anhattest. Du hast sogar ein bisschen geschwitzt. Anke schafft es komischerweise mit Wollstrumpfhose, Perücke und einem Wollkostüm ihre Körperfunktion so runterzufahren, dass sie einfach nicht schwitzt. Ich hingegen warf diese Klamotten von mir. Ich hatte Shorts an, habe immer die Hose ausgezogen und bin die ganze Zeit in Schlappen rumgelaufen, wenn man unerwartet nicht im Bild war. Das war meine größte Herausforderung neben der Sportlehrer-Lockenpracht und dem Trucker-Bart.
Die Dreharbeiten fanden für euch nur im Lehrerzimmer und in der Schule statt. Arbeitet dadurch der Cast noch enger zusammen?
Florian: Das ist auf jeden Fall was anderes. Ich finde es für Schauspieler so angenehm. Ich fand auch, dass das ein angenehmer Drehort war, weil wir direkt draußen waren und das Wetter schön war. Was die Gruppendynamik angeht, ist es total gut, wenn du die ganze Zeit in einem Mustopf vor dich hin kochst, weil es der Situation hilft, wenn wir permanent zusammen sind. Wir saßen wirklich sechs Wochen aufeinander. Anke, Nilam und ich sind große Spieler und alle haben nachgezogen. Das war ein großer Spaß.
Nilam: Was der Zuschauer gar nicht sieht: Als Schauspieler chronologisch drehen zu dürfen, ist echt dankbar. Wir hatten zum Glück bei so einem Film die Möglichkeit dazu. Das hat schon ganz tolle Vorteile. Die Gruppe muss dann stimmen, weil es sonst blöd wird. Aber in diesem Fall hat es richtig gut geklappt.
Die Lehrkräfte müssen sich beratschlagen, welche Entscheidung sie für einen Schüler treffen.Bild: BantryBay Productions GmbH/Deutsche Columbia Pictures Filmproduktion GmbH/Degeto Film GmbH - Wolfgang Ennenbach
Also gekracht hat es nicht am Set.
Florian: Das Schöne ist, wenn man die ganze Zeit miteinander spielt, entsteht natürlich auch im Schauspielsinne großes Vergnügen darin, weiterzuspielen. In der Pause haben wir die ganze Zeit auf dem Pausenhof gesessen und Scharade gespielt. Da ging das Spielerische weiter. Wir sind so viel Profi, dass man sagt, man will sich auch eine gute Zeit bereiten. Man möchte sich nicht selbst das Leben zur Hölle machen. Es gibt wahrscheinlich Leute, die damit kein Problem haben.
"Irgendwo braucht es diese Hierarchie auch, sonst macht jeder, was er will."
Jeder von euch verkörperte im Film ein Klischee aus der Schulzeit. Justus von Dohnanyi spielt den konservativen Lehrer Klaus Engelhardt, Anke Engelke als Heidi Lohmann gilt als altkluge, unbeliebte Lehrkraft. Mit welchem Typ habt ihr die größten Schwierigkeiten gehabt?
Florian: Mit dem Justus-Lehrer hat keiner ein Vergnügen.
Nilam: Mit Heidi auch nicht. Ich glaube, am schwierigsten hatten es tatsächlich die einsamen Bernd Vogel dieser Schulen, weil sich da dieses autoritäre Problem zeigt, ernstgenommen zu werden und irgendwann tanzt dir wirklich jeder auf der Nase herum. Bei den Vertrauenslehrern muss es eine echte Augenhöhe sein und nicht so ein vorgegaukeltes ich-reiche-dir-die-Hand-Auge.
Florian: Aber aus Schülersicht sind die super Autoritären, so richtige Arschloch-Nazis, das Schlimmste. Ich glaube aber auch, dass so ein Vertrauenslehrer wie Holger Arndt auch nicht immer so gut bei den Schülern ankommt, sondern auf der anderen Seite eher eine harte Front.
Besonders das Machtverhältnis steht im Mittelpunkt. Was denkt ihr darüber mit Blick auf eure eigenen Erfahrungen mit Ungerechtigkeit?
Florian: Jeder wird in seinem Leben mit Ungerechtigkeit konfrontiert und das kann dir in der Schule natürlich passieren. Ich kann jetzt nicht sagen, dass es ein konkretes Problem bei mir war.
Nilam: Wenn, dann ist es fast schon normal, dass es dieses Machtgefüge gibt. Irgendwo braucht es diese Hierarchie auch, sonst macht jeder, was er will. Aber andererseits ist das Punktesystem nicht immer fair. Ich hatte zum Glück jetzt keine großen Vorkommnisse, was das angeht.
Also seid ihr gut durch die Schule gekommen?
Florian: Ja. Es hat mir noch keiner ein System gezeigt, das besser funktioniert. Es ist ähnlich wie im Kapitalismus. Man kann ihn sehr gut auseinandernehmen und sagen: Warum brauchen wir ein System, das auf "Kämpf dich selbst nach vorne" basiert? Aber die anderen Systeme, die von der Theorie besser sein müssten, haben einfach bis jetzt nicht so gut funktioniert.
"Ich hoffe, dass es im Leben nie dahinkommt, dass es an einem Punkt hängt."
In dem Film geht es um einen Punkt, der über das Schicksal und die schulische Laufbahn eines Schülers entscheidet. Florian, du bist selbst Vater. Kannst du die Hilflosigkeit des gezeigten Elternteils nachvollziehen, der für seinen Sohn kämpft?
Florian: Was Autor Jan Weiler zurecht gemacht hat, ist das Zuspitzen auf diesen einen Punkt, was das Wohl oder Wehe von diesem Kind ist. Nur dann kriegt er das Abitur, nur wenn er das Abitur kriegt, ist er was in dieser Gesellschaft. Ob das sinnvoll ist, ist eine sehr gute Frage. Ich hoffe, dass es im Leben nie dahinkommt, dass es an einem Punkt hängt. Heidi Lohmann sagt vorher, dieser eine Punkt hat eine lange Geschichte. Da hat sie recht. Du hattest 50.000 Straßen, wo du als Kind anders hättest abbiegen können, bevor es so weit kommt und der Vater sagt: "Ich möchte diesen einen Punkt haben." Bis dahin hätte es gar nicht kommen müssen.
Dem Vater ist im Film letztlich seine Verzweiflung anzusehen.
Florian: Auf der anderen Seite hätten mir meine Eltern vorher auf die Füße getreten, wenn es so richtig gewesen wäre. Aber die hätten auch irgendwann gesagt: "Pass auf, es ist deine Sache, mache das Abi oder mache es nicht. Wir empfehlen es dir, aber wenn nicht, dann nicht." Das ist die Haltung, die ich auch haben würde. Irgendwann sind es keine Kinder mehr, sondern Jugendliche.
Die Lehrer beratschlagen sich im Film, ob sie dem Schüler den Punkt für das Abitur geben sollen.Bild: 2022 BantryBay Productions GmbH/Deutsche Columbia Pictures Filmproduktion GmbH/Degeto Film GmbH - Wolfgang Ennenbach
Dann sind sie für sich selbst verantwortlich.
Florian: Irgendwann musst du ihnen die Verantwortung geben und sagen: "Pass mal auf, es ist dein Leben." Das ist ein ganz wichtiger Knackpunkt in unser aller Leben, weil davor machen wir es für die Eltern, die Lehrer. Wir machen es, weil wir gezwungen werden. Du musst spätestens irgendwann auf dem Gymnasium checken, dass die anderen uninteressant sind. Du musst es für dich entscheiden und das ist, finde ich, eine große Erleichterung.
"Ich würde auch gerne den Kindern mehr Entspannung zukommen lassen und diesen Fokus rausnehmen."
Als Elternteil versucht man im besten Fall für sein Kind einzustehen.
Florian: Du sollst einstehen. Ehrlich gesagt finde ich aber auch wir leben in einer Zeit, wo wir alles, was mit uns, unseren Kindern zu tun hat so krass hochhängen, dass alles, was uns widerfährt, eine unfassbare Beleidigung ist, wo du sagst: Das ganze Leben ist nicht dazu eingerichtet, um uns zu akkumulieren und es geht nicht immer nur um meine Kinder, meine Familie. Das finde ich übertrieben. Das war mal entspannter. Ich würde auch gerne den Kindern mehr Entspannung zukommen lassen und diesen Fokus rausnehmen.
Nilam: Das ist alles sehr verhärtet.
Florian: Lass die doch mal, lass die Kinder doch mal aus dem Blick. Ja, sie werden hinfallen, ja, sie können überfahren werden. Das gehört leider dazu. In dem Moment, wo sie geboren sind, können sie sterben, das ist tatsächlich eine grausame Wahrheit.
Der Film lebt von spitzen Dialogen. Auch das Thema Gendern wird aufgegriffen. Nilam, du sagst in dem Film: "Ich bin eine Frau und ich möchte auch so angesprochen werden." Wie seht ihr die Debatte?
Nilam: Ich muss das jetzt auch lernen, was mich genervt hat. Mich haben dann Leute gefragt: "Fühlst du dich denn nicht angesprochen, wenn ich sage: Meine Freunde?" Ich fühle mich angesprochen, aber wir brechen uns alle keinen Zacken aus der Krone, wenn wir der jüngeren Generation das direkt mitgeben, damit die das nicht lernen müssen. Wenn am Ende Sprache einen Unterschied machen kann, dann stellt sich die Frage, warum man das nicht umsetzen soll. Aber jetzt so darauf zu pochen und jeden Fehler aufzuzeigen, nervt natürlich. So ist es mit allen Diskussionen, die groß geführt werden. Vielleicht braucht es das gerade und dann darf es gerne wieder entspannter werden.
Florian: Ich gehöre zu einer anderen Generation als Nilam. Für dich ist das viel selbstverständlicher als für mich. Ich teile das Ziel total, logisch, wer teilt dieses nicht, wer nicht auf den Kopf gefallen ist. Ich habe aber das Gefühl, dass es komischerweise einen Umweg über etwas Trennendes nimmt. Durch die Ausdefinierung, es hört nicht bei Mann und Frau auf, sondern es muss weitergehen, wird immer irgendjemand ungerecht behandelt. Für mich fühlt es sich jetzt getrennter an als vorher. Es stimmt, dass es ungerecht war, aber jetzt, wo man darüber nachdenkt, fühlen sich bestimmt viele Frauen nicht mehr gemeint, die sich vorher gemeint gefühlt haben.
Worin siehst du das größte Problem?
Florian: Jetzt plötzlich, wenn ich nicht mehr beides sage, fühlt es sich getrennter an, obwohl wir doch eigentlich sagen wollen: Am Ende wäre es das Ideale, wenn wir statt Frau und Mann einfach Menschen sagen. Aber jetzt, um das zu definieren, wird es noch mehr auseinandergekämmt und deswegen hat das für mich einen ganz widersprüchlichen Effekt. Ich verstehe das Problem und ich habe auch keine gute Lösung dafür. Da bin ich noch nicht happy mit.
Nilam: Der Weg ist vielleicht nicht richtig gegangen, aber die Idee ist schon mal richtig. Der Zustand jetzt gerade ist keiner, das definitiv.
Florian: Nein und es ist eine Verhärtung auf beiden Seiten, weil die einen sich so in die Ecke gedrängt fühlen, dass sie Arschloch-beharrende-Sexisten sind. Die große Debatte, die du führen kannst, ist: Stimmt, die Sprache ist nicht gleich verteilt, die Sprache hat eine Geschichte, aber können wir das Ziel der Gleichstellung anders erreichen und das mit in Kauf nehmen? Das ist wie beim rückwärtigen Verändern von Kinderbüchern.
"Ich finde, es werden komischerweise mehr Gegensätze rausgestellt, obwohl das Ziel ein Verbindendes ist."
Wie siehst du das?
Florian: Soll ich lieber meinem Kind das Kinderbuch vorlesen und erklären, guck mal, früher haben wir das so gesagt und das ist problematisch, weil? Das heißt, den Kontext mitzugeben. Aber da gibt es 1000 Arten und gerade wird so getan, als gäbe es nur zwei. Es wird binärer. Ich finde, es werden komischerweise mehr Gegensätze rausgestellt, obwohl das Ziel ein Verbindendes ist.
Versuchst du denn trotzdem, darauf zu achten?
Florian: Ich versuche natürlich zu inkludieren. Für mich ist es dann auch eleganter, beides zu sagen als das mit den "innen". Da kommst du ganz schnell grammatikalisch in Problemstellungen. Bei den Personalpronomen wird es dann schon sehr schwierig.
Nilam: Da wird es richtig schwierig. Ich finde das witzig, weil ich mich das im Film sagen höre und da war die Thematik für mich auch relativ neu. Da sage ich es gefühlt falsch, weil ich es zu betont wiedergebe. Mittlerweile ist das viel routinierter und dann geht es einigermaßen. Man gewöhnt sich daran, aber es gibt Worte, die gehen nicht rein. Kolleg_innen habe ich drin, aber es gibt andere Sachen, da ist es noch nicht verknüpft.
Florian: Anke Engelke macht das ganz viel. Bei ihr habe ich das wirklich zum ersten Mal als ganz natürlich empfunden. Aber jetzt kommt die nächste Stufe. Dann sagt jemand: "Pass auf, ich fühle mich weder dem einen noch dem anderen zugehörig. Wo bin ich?" Für mich ist dann die einzige Lösung, zu sagen: Dann hören wir mit dieser ganzen Differenzierung auf. Es gibt nur noch Menschen, was eigentlich der Schritt sein sollte. Es ist auch total interessant, dass die Debatte bei uns geführt wird. Ich möchte sagen, dass mehrheitlich die Gesellschaft daran so Mittel interessiert ist.
In den sozialen Medien ist die Debatte auch immer wieder Thema.
Florian: Da gibt es Rechtspopulisten, die genau das benutzen, um zu sagen: "Guck mal, die Arschlöcher kümmern sich nur darum und nicht um die richtigen Ungerechtigkeiten, die bestehen."
Nilam: Es ist kompliziert.
"Natürlich habe ich auch Erfahrungen mit der Ellenbogengesellschaft gemacht, aber dafür musst du nicht Schauspielerin werden."
"Jeder gegen jeden und jeder nur für sich", dies sagst du, Nilam, in dem Film. Hier wird auch die Ellenbogengesellschaft thematisiert.
Nilam: Florian hat das ganz schön gesagt: Man kommt im Zusammenleben nicht drumherum, dass es passiert, dass man Ungerechtigkeit erfährt. Am Ende ist der Umgang damit wohl am wichtigsten, weil eine optimale Welt, in der sowas nicht passiert, gibt es nicht – auch wenn es scheiße ist und man das nicht will. Irgendwie gehört das dazu. Ja, ich habe auch Ungerechtigkeit erfahren in meinem Leben. Natürlich habe ich auch Erfahrungen mit der Ellenbogengesellschaft gemacht, aber dafür musst du nicht Schauspielerin werden.
Es besteht bis heute auch der Trugschluss, dass du erst Youtuberin warst und dann Schauspielerin geworden bist.
Nilam: Auch das ist eine Ungerechtigkeit, aber so ist das leider. Um etwas in seinem Bereich zu erreichen, braucht man nicht immer Ellenbogen, Konkurrenz ist auch nicht automatisch schlecht.
Florian: Du kriegst keine Rolle, weil du jemanden aus dem Weg geräumt hast. So läuft das beim Schauspielberuf nicht. Da hast du andere Ungerechtigkeiten.
Florian David Fitz spielt den Sportlehrer Peter Mertens.Bild: 2022 BantryBay Productions GmbH/Deutsche Columbia Pictures Filmproduktion GmbH/Degeto Film GmbH - Wolfgang Ennenbach
Am Anfang war es bei dir, Nilam, so, dass aufgrund deines Namens ein Regisseur zu dir meinte, du kannst niemanden mit deutschem Namen spielen. Das hat sich mittlerweile geändert, oder?
Nilam: So viele Lorbeeren will ich da nicht vergeben. Es hat sich gewandelt, aber es passiert sehr langsam. Dafür ist Sönke Wortmann ein tolles Beispiel. Ich habe bei Sönke eine Naima gespielt und jetzt hat er mich eine Sara Schuster spielen lassen. Ich denke, dass niemand in den Film geht und sich denkt: "Das passt aber nicht, dass sie Sara heißt." Ich finde es schön, dadurch ein kleines Exempel zu statuieren. Das ist die Gesellschaft und das muss man aufzeigen. Ich fühle mich da immer noch missverstanden, aber es geht in die richtige Richtung.
Diversität und Gleichberechtigung ist immer wieder ein Thema. Auch in der Filmwelt wird viel über die Bezahlung von Frauen diskutiert. Da muss noch einiges getan werden.
Nilam: Da fühle ich mich auch unfair behandelt vom Staat und den Steuern, muss ich sagen. Deswegen gibt mir auch Florian die Hälfte seiner Gage. (lacht)
Florian: Nein. Ich gebe dem Staat die Hälfte meiner Kohle. (lacht) Von den Transferleistungen kannst du versuchen, was zu bekommen.
"Das sind Fragen, die man sich immer wieder stellen sollte."
Welche Botschaft nehmt ihr aus dem Film mit?
Florian: Ich finde es viel spannender, dass es großen Fragengibt, die aufgeworfen werden: Was machst du? Wie wollen wir mit unseren Kindern umgehen? Womit sollen die Kinder am Ende aus dieser Institution rausgehen? Das sind Fragen, die man sich immer wieder stellen sollte.
Nilam: Dazu kommt, wie man das Schulsystem verbessert. Florian meinte, dass es noch nicht wirklich die Lösung dafür gibt. Man kann immer viel kritisieren, aber was man ändert, ist entscheidend.
Wo seht ihr besondere Missstände, die durch Corona einmal mehr sichtbar wurden?
Florian: Ich habe das nicht richtig mitbekommen. Ich habe nur gesehen, dass viele Schulen nicht digitalisiert sind und immer noch mit einer Faxadresse arbeiten.
Nilam: Ich hätte mir mehr lebensnahe Themen gewünscht. Nach der Schule habe ich mich gefragt: Wie geht das jetzt? Dafür habe ich nie wieder eine Wurzel gezogen. Ansonsten wäre es toll, wenn alle individuell betrachtet werden und man nicht dieses große System hätte. Wie das wirklich gehen soll, ist eine andere Frage.
Findet ihr es wichtig, dass im Film mit Klischees gebrochen wird? Die Lehrkräfte werden nach und nach entlarvt.
Nilam: Filme funktionieren ganz oft nur über Klischees. Deswegen finde ich das wichtig. Bei "Eingeschlossene Gesellschaft" ist es schön, die nicht so stehen zu lassen, sondern am Ende menschlich zu machen. Mit einem Engelhardt-Lehrer oder einer Heidi Lohmann kannst du sogar mitgehen, was vielleicht absurd ist. Aber so hat jeder seine Geschichte und deswegen funktioniert das.
Florian: Worauf ich Lust habe, ist diese Leute, die stark gemalt sind, was man Klischee nennen könnte, zusammen in einen Druckkessel zu setzen und dann das Feuer anzumachen. Interessant wird es mit jeder Figur, die einen anderen Standpunkt hat, den du nachvollziehen kannst. Jede Figur steht für eine Frage.
Gegen welche Klischees kämpft ihr denn an?
Florian: Das Leben besteht aus Schubladen. Sobald man mit Interviews zu tun hat, werden notwendigerweise Sachen verkürzt. Sonst wird es schwierig, weil man zuspitzen und pointieren muss. Genauso müssen sich Geschichten pointieren. Wenn du Schauspieler bist und erfolgreich eine Art von Rolle gespielt hast, dann wird dir tendenziell natürlich dieselbe Rolle noch mal angeboten. Ich habe in meinem Leben diverse Schubladen durch. Es war erst Schwiegermutters Darling, dann war es "Doctor’s Diary", der böse Arrogante, dann war es der Spezialist für Behinderungen. Du musstest durch die Migranten-Schublade, die Youtuber-Schublade.
Nilam: Youtuberin, Migrantin, ich bin eine Frau, ich bin in Deutschland geboren, was viele auch nicht verstehen.
Florian: Wir alle haben Schubladen. Die große Frage ist, ob wir ab und an die Schublade wechseln dürfen.